Im Sommer 2024 offenbarte sich eine alarmierende neue Dimension der digitalen Bedrohung für politische Aktivisten im Exil. Eine Online-Kampagne richtete sich gezielt an rechtsextreme Gruppen in Großbritannien mit dem Ziel, Gegner des chinesischen Regimes zu attackieren. Im Fokus standen vor allem prominente Hongkonger Demokratieaktivisten, die in Großbritannien Schutz gefunden hatten. Diese Schauplätze weisen auf eine vielschichtige Strategie Pekings hin, mit der es versucht, oppositionelle Stimmen auch im Ausland mundtot zu machen. Die Nutzung far-rights als potentieller gewaltsamer Akteur ist dabei ein gefährlicher Schritt, der die immer komplexer werdende Verflechtung von geopolitischer Einflussnahme, Online-Manipulation und innergesellschaftlichen Spannungen beleuchtet.
Die Bedrohung beginnt mit gezielter Desinformation und der Verbreitung von Fehlinformationen auf Social-Media-Plattformen. Nach den Ausschreitungen im Jahr 2023, bei denen sich Feindseligkeiten gegen Geflüchtete entluden, konnten Gegner der chinesischen Regierung beobachten, wie ihre persönlichen Daten veröffentlicht wurden. Adressen und Standorte wurden in sozialen Netzwerken geteilt, darunter auch der von Finn Lau und Nathan Law, zwei führenden Persönlichkeiten des Hongkonger Pro-Demokratie-Movements. Besonders brisant ist, dass diese Information durch Profile verbreitet wurde, die bewusst den Eindruck erweckten, als kämen sie von britischen Rechtsextremen. Diese Strategie diente offensichtlich dazu, die bereits stark polarisierte rechte Szene in Großbritannien anzustacheln und gegen ausländische Dissidenten zu mobilisieren.
Ein bedeutsamer Aspekt dieser Kampagne war die kreative Verzahnung zwischen heimischen Radikalgruppen und mutmaßlichen staatlichen Akteuren aus China. Die Online-Aktivitäten traten auf verschiedenen Plattformen zutage, etwa auf X (ehemals Twitter) und Telegram, Kanälen, die für ihre vergleichsweise lockeren Inhaltskontrollen bekannt sind. Die Sprache in den Beiträgen war oft holprig und von Fehlern geprägt, was darauf hindeutet, dass sie nicht von Muttersprachlern verfasst wurden. Nach Recherchen von Cybersicherheitsexperten zeigen die Muster und die Verteilungsweise der Beiträge Parallelen zu früheren Beeinflussungsoperationen, die dem chinesischen Sicherheitsapparat zugeschrieben werden. Die Taktik weist auf eine neue Form von transnationaler Repression hin, bei der autoritäre Regime nicht nur auf diplomatischer oder konventioneller Ebene agieren, sondern auch digitale und gesellschaftliche Gräben in westlichen Demokratien ausnutzen.
Während es in anderen Kontexten bereits physische Entführungen, erzwungene Rückführungen oder anonyme Einschüchterungen gab, erweitert sich das Arsenal um subtilere psychologische und soziale Waffen, die die Opfer in ständiger Angst und Isolation halten. So berichtet auch Finn Lau, wie sich durch die Veröffentlichung seiner früheren Wohnanschriften eine gesteigerte Vorsicht und ein Gefühl permanenter Bedrohung in seinem Alltag manifestiert haben. Außerdem offenbart die Kampagne eine bemerkenswerte Verknüpfung zwischen lokaler rechter Gewaltbereitschaft und globalen politischen Interessen. In Großbritannien, wo sozioökonomische Probleme und Unzufriedenheit in einigen Bevölkerungsgruppen eine Variante des Rechtsextremismus gefördert haben, wurde die Fremdenfeindlichkeit durch solche Online-Aktionen für fremde Zwecke instrumentalisiert. Organisationen wie „Patriotic Alternative“, die offen rassistische Positionen vertreten, erhielten gezielte Aufrufe zur Gewalt gegen die bedachten Exilanten.
Auch prominente Persönlichkeiten wie Tommy Robinson wurden adressiert, um ihre Anhängerschaft zu mobilisieren. Die Fake-Accounts versuchten, einen Anschein von Spontaneität und organischem Interesse zu erwecken, während sie beobachtet wurden, wie sie mit einer Vielzahl von Konten koordiniert Inhalte verbreiteten. Die politische Reaktion auf diese Vorfälle zeigt sich ambivalent. Während die britischen Sicherheitsbehörden versichern, den Schutz von in Großbritannien lebenden Exilanten ernst zu nehmen und entsprechende Maßnahmen zur Überwachung und Prävention zu implementieren, sehen Betroffene oft nur begrenzte Interventionen. Die betroffenen Demokraten und Aktivisten fühlen sich oftmals allein gelassen, was ihre ohnehin prekäre Lage verschärft.
Der britische Sicherheitsminister Dan Jarvis betonte zwar öffentlich die Bedeutung der nationalen Sicherheit, ohne jedoch konkrete, öffentlich bekannte Schutzmaßnahmen zu offenbaren. Diese Entwicklung wirft grundlegende Fragen über die Rolle von Social Media in modernen Konflikten auf. Plattformen wie X und Telegram bieten zwar die Möglichkeit zur schnellen Kommunikation und Organisierung, werden aber gleichzeitig zum Nährboden für Ergebnis manipulativer Einflussnahmen. Insbesondere Regierungen wie die Chinas, die über erhebliche Ressourcen verfügen, können komplexe Bot-Netzwerke und Trollfarmen einsetzen, um Diskurse weltweit zu steuern oder zu verzerren. Die Angriffe gegen im Ausland lebende Dissidenten zeichnen sich damit als Teil eines größeren geopolitischen Spiels, in dem Information nicht nur Macht bedeutet, sondern auch Gewalt ermöglicht.
Darüber hinaus gewinnen die sozialen und politischen Auswirkungen in den Zielländern an Bedeutung. Die Nutzung der lokalen gesellschaftlichen Spannungen durch ausländische Akteure führt zu einer gefährlichen Destabilisierung. Die rechte Szene sieht sich als Werkzeug in einem internationalen Konflikt und ihre rassistisch motivierte Einstellung wird verstärkt, was zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft beiträgt. Gleichzeitig erhöht dies die Wahrscheinlichkeit von realen Gewaltakten gegen Minderheiten und politische Aktivisten. Die geschilderte Kampagne und deren Implikationen verdeutlichen eine neue Ära internationaler Repression, in der die Grenzen zwischen nationaler Sicherheit, digitaler Kriegsführung und sozialer Kohäsion zunehmend verschwimmen.