Die Finanztechnologiebranche, kurz Fintech, gilt seit einigen Jahren als eine der dynamischsten und innovativsten Sektoren in der globalen Wirtschaft. Insbesondere in den vergangenen Jahren konnten zahlreiche Fintechs, darunter bekannte Namen wie Robinhood, Revolut und Monzo, dank eines steigenden Zinsumfelds erhebliche Gewinne verzeichnen. Die steigenden Zinssätze führten zu einem Anstieg der sogenannten Nettozinseinnahmen – der Differenz zwischen den Kreditzinsen, die den Kunden berechnet werden, und den Zinsen, die an Sparer ausgezahlt werden. Diese Entwicklung bescherte den Unternehmen einen erheblichen Gewinnschub und stärkte ihre Marktposition. Doch der Silberstreif am Horizont könnte sich bald verflüchtigen.
Ein sinkendes Zinsniveau stellt die Geschäftsmodelle vor eine grundlegende Prüfung und zwingt die Fintechs, ihre Strategien zu überdenken und anzupassen. Die Ausgangslage im Zinsumfeld Die Zinserhöhungen, die von Zentralbanken weltweit ab 2022 vorgenommen wurden, sollten die Inflation eindämmen und die Wirtschaft stabilisieren. Neben den traditionellen Banken waren es gerade Fintech-Unternehmen, die zu Beginn dieses Zyklus mit fallenden Bewertungen kämpften, weil die höheren Zinsen die Kreditvergabe teurer machten und das Wachstum verlangsamten. Mit der Zeit jedoch passte sich die Branche an. Da Fintechs häufig über effiziente technologische Plattformen verfügen, konnten sie die gesteigerten Zinserträge optimal für sich nutzen.
Robinhood beispielweise meldete für das Jahr 2024 einen Jahresgewinn von 1,4 Milliarden US-Dollar, mit einem Zuwachs der Nettozinseinnahmen um 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Revolut steigerte seine Nettozinseinnahmen sogar um 58 Prozent, was zu einem Gewinn von 1,45 Milliarden US-Dollar führte. Monzo, eine weitere prominent digital ausgerichtete Bank, erzielte nach Jahren der Verluste erstmals einen Jahresüberschuss, unterstützt durch einen massiven Anstieg der Zinserträge um 167 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen, wie stark der Erfolg vieler Fintechs in der jüngeren Vergangenheit von einem hohen Zinsniveau abhängig war. Herausforderungen durch sinkende Zinsen Das Blatt scheint sich nun zu wenden.
Die Anzeichen einer Zinssenkung sind eindeutig, und eine breite Abwärtsbewegung bei den Leitzinsen stellt die Fintechs vor eine existentielle Herausforderung. Die Kernfrage lautet, wie nachhaltig die bisherigen Geschäftsmodelle sind, die stark auf Zinserträge setzen. Lindsey Naylor, Partnerin bei Bain & Company, bezeichnet die aktuelle Situation als einen „Test der Widerstandsfähigkeit der Geschäftsmodelle von Fintech-Unternehmen“. In einem Umfeld fallender Zinsen könnten insbesondere jene Anbieter Schwierigkeiten bekommen, deren Einnahmen vorwiegend aus der Differenz zwischen Einlagenzins und Kreditvergabe resultieren. Die Gefahr besteht darin, dass die Einnahmen einbrechen, während die Fixkosten, zum Beispiel für technologische Infrastruktur oder Kundenakquisition, weiterlaufen.
Doch der Einfluss sinkender Zinsen ist nicht für alle Fintechs gleich ausgeprägt. Einige Unternehmen zeigen bereits eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Anpassung und Diversifizierung ihrer Einkommensquellen. Ein aktuelles Beispiel ist die britische ClearBank, die angesichts zurückgehender Zinserträge verstärkt auf gebührenbasierte Einnahmen setzt. CEO Mark Fairless erläuterte, dass das Unternehmen mit den sinkenden Zinsen in seiner Planung rechnet und bewusst die Abhängigkeit von Zinserträgen reduzieren möchte. Gleichzeitig investieren sie in den Ausbau ihres Geschäfts in der Europäischen Union, was allerdings kurzfristig die Gewinne belastet.
Diversifikation als Schlüssel zum Erfolg Die Bedeutung einer breit gefächerten Einkommensstruktur wird zunehmend zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Fintechs, die sich bislang stark auf Zinserträge und Kartengebühren verlassen haben, wandeln ihre Geschäftsmodelle sukzessive. Revolut zum Beispiel bietet neben den klassischen Zahlungsdiensten mittlerweile auch Krypto- und Aktienhandel an und plant, Mobilfunkpläne in Großbritannien und Deutschland in das Angebot aufzunehmen. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, zusätzliche und stabilere Einnahmequellen zu erschließen und die Abhängigkeit vom Zinsemargen-Geschäft zu verringern. Auch der niederländische Neobank-Anbieter Bunq gilt als ein Vorreiter in Punkto Diversifikation.
Das Unternehmen, das sich hauptsächlich an sogenannte Digital Nomads richtet, erzielte 2024 einen Gewinnanstieg von 65 Prozent. Bunq erzielt Einkünfte nicht nur durch Zinsen, sondern auch durch Abonnements und Kartengebühren. CEO Ali Niknam betont, dass die langjährige Erfahrung mit einem Niedrigzinsumfeld, speziell in Europa mit seiner Episode negativer Zinssätze, der Bank hilft, gut auf den aktuellen Wandel vorbereitet zu sein. Für Firmen wie Bunq sind Zinsschwankungen weniger einschneidend, da sie ihre Umsätze breit und nachhaltig aufstellen konnten. Marktanalysten zufolge sind Fintechs mit einem ausgereiften, vielfältigen Geschäftsmodell besser für unsichere wirtschaftliche Zeiten gewappnet.
Barun Singh, Finanzexperte bei der britischen Investmentbank Peel Hunt, warnt allerdings, dass Firmen, die weiterhin stark auf Zinserträge bauen ohne weitere Einkommensquellen zu erschließen, in den kommenden Jahren mit einem signifikanten Rückgang der Erträge rechnen müssen. Langfristige Perspektiven und Anpassungsstrategien Die aktuelle Entwicklung im Zinsumfeld wirft nicht nur kurzfristige Herausforderungen auf, sondern fordert eine grundsätzliche Neubewertung der Fintech-Geschäftsmodelle. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass eine nachhaltige Profitabilität auf einer Balance zwischen Zinserträgen, Servicegebühren und innovativen Produktangeboten beruhen muss. Technologien wie künstliche Intelligenz und Data Analytics werden bereits intensiv genutzt, um das Kundenerlebnis zu verbessern und personalisierte Angebote zu entwickeln, die auch außerhalb der klassischen Bankprodukte Umsatz generieren. Zudem gewinnt das Thema Kundenbindung weiter an Bedeutung.
Unternehmen, die sich durch attraktive, bequeme und vielseitige Services hervortun, können die Kundenbasis stabilisieren und damit die Voraussetzungen schaffen, mehr Gebühren aus wiederkehrenden Dienstleistungen zu generieren. Das Vermeiden von Abhängigkeit von Zinsschwankungen durch Gebühren und andere Erlösquellen scheint dabei das Rezept für langfristigen Erfolg zu sein. Fazit Die Fintechs, die in den vergangenen Jahren von der Hochzinsphase profitierten, stehen durch den beginnenden Rückgang der Zinssätze vor einem entscheidenden Prüfstein. Die Abkehr von der reinen Zinsertragsabhängigkeit und die konsequente Diversifikation der Geschäftsmodelle wird zum ausschlaggebenden Faktor, um auch in einem Niedrigzinsumfeld profitabel zu bleiben und weiterhin wettbewerbsfähig zu sein. Während einige Unternehmen bereits erfolgreich umsteuern und ihr Angebot breit aufstellen, müssen andere noch erhebliche Anstrengungen unternehmen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen, welche Fintechs resilient genug sind, um sich in einem sich wandelnden Marktumfeld zu behaupten und neue Chancen zu nutzen.