Die Welt der Technologie ist geprägt von einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen der Idee von Befreiung durch Innovation und der gleichzeitigen Gefahr von Unternehmensmacht, die genau diese Freiheit einschränkt. Dieses Spannungsfeld beschreibt Cory Doctorow in seiner Kolumne „There Were Always Enshittifiers“ im Locus Magazine vom März 2025 eindrucksvoll. Dabei zeichnet er eine lange Historie nach, in der die Technik zunächst als Mittel zur Emanzipation und Selbstbestimmung galt, sich jedoch Schritt für Schritt in das Werkzeug von Kontrolle, Restriktionen und Profitmaximierung verwandelt hat. Die Geschichte der sogenannten „Enshittifiers“ – eine selbstironische Bezeichnung für jene Akteure, die die Qualität von Plattformen, Produkten oder Dienstleistungen systematisch verschlechtern, um ihre eigenen Gewinne zu maximieren – ist eng mit der Entwicklung der Computerindustrie verknüpft. Anhand eines fiktiven Unternehmens namens Fidelity Computing, das Doctorow in seinem Roman „Picks and Shovels“ beschreibt, wird exemplarisch gezeigt, wie dieser Prozess schon in den frühen 1980er Jahren begann.
Fidelity Computing, eine bizarre PC-Firma, die von Vertretern verschiedener Glaubensgemeinschaften geführt wird, attackiert mit einer Kombination aus teils absichtlich sabotierter Hardware und gezielter Inkompatibilität die Freiheit ihrer Nutzer. Es geht etwa um Disketten, deren bestimmter Sektor absichtlich beschädigt wurde, um den Kunden nur teure Ersatzprodukte anzudrehen. Diese „weird PC“-Falle ist eine frühe Version heutiger Lock-in-Modelle, bei denen Konsumenten mit künstlichen Barrieren gefangengehalten werden. Die Geschichte zeigt, dass diese Techniken nicht etwa eine Neuerfindung unserer Zeit sind, sondern ihre Wurzeln in den Pionierjahren der Computerei haben. Doctorow verweist auf berühmte Meilensteine wie Bill Gates’ „Open Letter to Hobbyists“ von 1976, in dem Gates die frühe Hacker-Community dafür attackierte, Software frei zu teilen und zu kopieren – eine Praxis, die damals als ethisch und für den technischen Fortschritt essentiell galt.
Für Gates und seine Gefolgsleute bedeutete das Teilen von Software Raubkopie, wenn es nicht zu ihren eigenen Gunsten geschah. Dieses ambivalente Verhältnis zur Selbstbestimmung der Nutzer ist grundlegend für das, was Doctorow als „Enshittifizierung“ beschreibt. Die Versuche, Datenträger wie Disketten kopiersicher zu machen, sind ein weiteres zentrales Thema. Projekte wie Apples SSAFE (Software Security from Apple’s Friends and Enemies) offenbaren, wie mühselig und erfolglos diese Unterfangen waren. Der legendäre Steve Wozniak, ein Mitgründer von Apple, war stets in der Lage, diese Kopierschutzmaßnahmen innerhalb kürzester Zeit zu knacken.
So scheiterten die Begehrlichkeiten der Industrie, Kontrolle über Software und Daten zu erlangen. Heute sind diese altbekannten Muster in neuer Gestalt wiederzufinden. Ob es sich um die überteuerten Tintenpatronen von Druckern, die strengen Vorgaben von App-Stores oder exklusive proprietäre Reparaturdienste handelt, die dem Kunden die Freiheit nehmen, selbst Reparaturen durchzuführen oder preiswerte Alternativen zu wählen – die Wurzeln all dessen liegen in den frühen Enshittifizierungsstrategien. Doctorow macht klar, dass diese Strategien nicht zufällig oder rein technisch sind, sondern bewusste Geschäftsmodelle zur Gewinnmaximierung und Kundensperre. In seinem Roman „Picks and Shovels“ bildet auch eine Gegenbewegung einen wichtigen Gegenpol: Ein Startup namens Computing Freedom, das von ehemaligen Mitarbeiterinnen des Fidelity-Unternehmens gegründet wurde, um genau diese Beschränkungen zu überwinden.
Durch reverse engineering und das Schaffen von Kompatibilität kämpft die Gruppe für offene Systeme, Benutzerfreiheit und Interoperabilität – Werte, die früher die Grundlage der Tech-Szene bildeten und heute oft verloren gegangen sind. Diese „adversarial interoperability“ oder die Kunst, eigene Auswege in geschlossene Systeme einzubauen, war einst weit verbreitet und hat maßgeblich zu Innovationen beigetragen. Sie ist ein Akt der Rebellion gegen kommerzielle Zwänge und hat Unternehmen dazu gezwungen, offener und benutzerfreundlicher zu werden. Doch die zunehmende Gesetzgebung, allen voran der Digital Millennium Copyright Act (DMCA) von 1998, hat viele dieser Praktiken kriminalisiert und die demokratischen Kontrolle über Technologien weiter ausgehöhlt. Ein weiterer Aspekt in Doctorows Analyse ist die verkannte Beziehung zwischen Tech-Unternehmen und Staat.
Trotz gegenteiliger Behauptungen streben viele sogenannte „Anti-Staat“-Millionäre und Milliardäre nach staatlicher Macht oder privilegierter Nähe zu politischen Entscheidungsträgern. Große Waffen- und Verteidigungsverträge aus der Mainframe-Ära finden eine moderne Fortsetzung in no-bid-Deals und Einflussnahmen, wie etwa im Fall Elon Musks und Tesla. Die staatliche Unterstützung und Regulierung spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie sich Monopole herausbilden und sich ihre Macht konsolidiert. International betrachtet ist die Rolle der USA als Technologieexporteur nicht allein durch Betriebssysteme und Hardware geprägt, sondern vor allem durch internationale Handelsabkommen, die mit strengen geistigen Eigentumsrechten verbunden sind. Diese IP-Vorschriften verhindern Reverse Engineering, Modding und unabhängige Reparaturen in anderen Ländern, was amerikanischen Firmen weltweit Marktkontrolle sichert.
Europäische Länder, die sich ursprünglich gegen solche Regulierungen wehrten, wurden durch Handelsdruck und wirtschaftliche Erpressung gezwungen, diese Regelwerke zu übernehmen – ein eklatantes Beispiel für wirtschaftliche Machtpolitik. Doctorow skizziert, dass aktuelle politische Entwicklungen, etwa die Androhung von Zöllen während der Trump-Regierung, Chancen für eine Abkehr von diesen IP-Fesseln bieten könnten. Indem solche Beschränkungen aufgehoben werden, könnten europäische Unternehmen und Verbraucher die Freiheit zurückerlangen, Geräte zu jailbreaken, eigene App Stores zu betreiben und alternative Reparaturangebote zu schaffen. Dies würde gegen die hochprofitablen Geschäftsmodelle großer amerikanischer Tech-Konzerne gerichtet sein und den Markt liberalisieren. Der Kampf gegen Enshittifizierung ist somit kein bloßer Rückblick in die Vergangenheit, sondern eine dringend notwendige Forderung für die Zukunft.
Cory Doctorow fordert eine Wiederbelebung des indomitablen Hacker-Geists, der einst die Offenheit und Teilhabe an Computern geprägt hat. Die Protektionismuswände, die Tech-Unternehmen und Regierungen errichtet haben, müssen durchbrochen werden, damit wieder Innovation, Benutzerfreiheit und Wettbewerb gedeihen können. Seine Arbeit und sein Roman „Picks and Shovels“ dienen dabei als Spiegel der heutigen Zeit und als Mahnung, dass die Probleme nicht neu sind, sondern immer wieder kehren, solange wirtschaftliche Interessen über den Nutzen und die Freiheit der Nutzer gestellt werden. Gegen dieses „immer schon da gewesene“ Phänomen der Enshittifizierung hilft nur konsequenter Widerstand, kreatives Denken und politisches Handeln. In der jetzigen Phase, in der immer mehr Menschen die zerstörerischen Auswirkungen von Monopolen, überbordender Kommerzialisierung und eingeschränkter Nutzerrechte erkennen, gewinnt Doctorows Botschaft an Bedeutung: Es ist Zeit, die rechtlichen, wirtschaftlichen und technischen Grundlagen so zu verändern, dass Technologiefreiheit und Nutzerkontrolle wieder an erste Stelle rücken.
Nur so kann die historische Linie von Enshittifizierern durchbrochen werden und eine neue Ära beginnen, in der Technologie jene Befreiungstools sind, die sie von Anfang an sein sollten.