Die Volksmusik ist ein bedeutender Teil des kulturellen Erbes vieler Gesellschaften weltweit. Insbesondere die englischsprachigen Länder verfügen über eine reiche Tradition von Liedern, die mündlich überliefert wurden und vielfältige regionale sowie zeitliche Varianten aufweisen. Um diese Fülle an Liedern systematisch zu erfassen und zugänglich zu machen, wurde der Roud Folk Song Index geschaffen – ein einzigartiges und umfassendes Nachschlagewerk, das für Wissenschaftler, Musiker und Liebhaber gleichermaßen von unschätzbarem Wert ist. Der Roud Folk Song Index ist eine Datenbank mit etwa 250.000 Referenzen zu fast 25.
000 einzelnen Liedern, die hauptsächlich aus der englischsprachigen mündlichen Überlieferung stammen. Das Projekt wurde von Steve Roud initiiert, der als ehemaliger Bibliothekar und Folklorist ein großes Interesse an der Erhaltung und Erforschung von traditioneller Musik hatte. Die Datenbank verbindet historische Drucke, wie etwa Broschüren (Broadsides), mit Feldaufnahmen und schriftlichen Sammlungen, die über mehrere Jahrhunderte zusammengetragen wurden. Damit bietet sie eine bislang unerreichte Übersicht über englische Volkslieder weltweit, vor allem aus dem Vereinigten Königreich und Nordamerika. Die Hauptfunktion des Roud Folk Song Index besteht darin, verschiedene Varianten eines Liedes miteinander zu verknüpfen.
Da traditionelle Volkslieder häufig in unterschiedlichen Versionen weitergegeben wurden – mit wechselnden Textzeilen, Titeln oder Melodien – stellt das Problem der Variabilität für Forscher eine Herausforderung dar. Rouds Index löst dieses Problem, indem jedem Lied eine eindeutige Nummer, die sogenannte „Roud-Nummer“, zugewiesen wird. Diese Nummer ermöglicht es, alle gesammelten Varianten eines bestimmten Lieds in der Datenbank schnell aufzufinden und zu vergleichen. So lassen sich Entwicklungslinien und regionale Unterschiede detailliert nachvollziehen. Der Index ist nicht nur eine Sammlung von Titeln, sondern beinhaltet umfassende Informationen zu den gesammelten Quellen.
Dazu gehören Angaben zu den Sängern beziehungsweise Sammlern, deren Herkunft, das Jahr der Sammlung, Veröffentlichungsorte und -daten sowie Hinweise darauf, wo die Text- oder Musikversionen veröffentlicht wurden. Für Wissenschaftler bietet dies eine wertvolle Grundlage zur Analyse von Traditionen und zur genealogischen Erforschung von Liedwurzeln. Auch für Musiker eröffnet der Index eine Schatztruhe an Liedern und Versionen, die in neuen Interpretationen wiederentdeckt werden können. Der Roud Folk Song Index hat eine eigene, systematisierte Nummerierung entwickelt, die zunächst auf einem manuellen System basierte: Steve Roud begann in den 1970er Jahren mit handschriftlichen Karteikarten, die er später digitalisierte. Das System wurde so gestaltet, dass verwandte Songvarianten unter derselben Nummer zusammengefasst sind.
Dabei wurde bewusst keine inhaltliche Wertung oder chronologische Reihenfolge zugrunde gelegt, sondern pragmatisch eine eindeutige Zuordnung geschaffen, die flexible Recherchen ermöglicht. Obwohl niedrigere Nummern meist bekanntere oder ältere Lieder repräsentieren, ist dies keine feste Regel. Der Index umfasst auch Querverweise zu anderen etablierten katalogisierenden Systemen für Volkslieder, wie den Child Ballads von Francis James Child und dem Laws-Index von George Malcolm Laws. Diese Verknüpfungen erlauben eine noch tiefere Forschungsebene, da zum Beispiel ein bekanntes Balladenmuster anhand seiner Child-Nummer leichter nachverfolgt werden kann. Die Kombination dieser Kategorien macht den Roud Folk Song Index zu einer der umfassendsten und vernetztesten Datenbanken für englischsprachige Folklore weltweit.
Erst ab 2006 wurde der Roud Folk Song Index online verfügbar und wird heute über die Vaughan Williams Memorial Library der English Folk Dance and Song Society zugänglich gemacht. Die Digitalisierung hat die Verfügbarkeit der Daten für ein breites Publikum enorm verbessert. Intuitive Suchfunktionen erlauben es, über Titel, erste Zeilen oder auch thematische Stichworte gesuchte Lieder einfach zu finden. Auf diese Weise fungiert die Datenbank als unverzichtbares Werkzeug sowohl für akademische Arbeiten als auch für Laien, die sich für englische Volksmusik interessieren. Neben seiner Funktion als reine Liedersammlung trägt der Index auch zur Bewahrung von mündlichen überlieferungen bei, die andernfalls verloren gingen oder in Vergessenheit geraten wären.
Durch die Dokumentation von verschiedensten Quellen – von historischen Druckerzeugnissen bis hin zu Audioaufnahmen aus dem 20. Jahrhundert – bewahrt der Index ein immaterielles Kulturerbe, das die sozialen und historischen Kontexte der Volksmusik widerspiegelt. Es existieren internationale Parallelen zum Roud Folk Song Index. Beispielsweise gibt es ähnliche Sammlungen wie das lettische „Dainu Skapis“ oder das deutsche Essen Folk Song Database, die allerdings regional spezifische oder auch internationale Musiktraditionen abdecken. Im Vergleich findet der Roud Index breite Anerkennung als eines der größten und bestvernetzten Archivierungssysteme speziell für englischsprachige Volksmusik.
Der Nutzerkreis des Roud Folk Song Index ist vielfältig: Neben musikhistorischen Forschern und Ethnologen profitieren auch Komponisten und Musiker von der durchsuchbaren Fülle an Liedtexten und Details rund um deren Geschichte. Ebenso trägt die Datenbank zum Verständnis von kulturellen Identitäten bei, da Volkslieder oft kollektive Erlebnisse und Traditionen widerspiegeln. Die Möglichkeit, unterschiedliche Versionen zu vergleichen, ermöglicht es, die Dynamik mündlicher Überlieferungen sichtbar zu machen und ihr Fortleben in verschiedenen Regionen nachvollziehen zu können. Ein weiterer Vorteil der digitalen Version ist die kontinuierliche Erweiterung und Pflege durch Steve Roud und andere Mitarbeiter der English Folk Dance and Song Society. Neue Sammlungen, Aufnahmen und Druckwerke werden regelmäßig hinzugefügt und die Datenbank wächst somit stetig.
Dadurch stellt der Index nicht nur eine Momentaufnahme dar, sondern bleibt ein lebendiges, dynamisches Werkzeug. Die große Zahl an Einträgen und Querverweisen bedeutet allerdings auch, dass der Roud Folk Song Index für Neueinsteiger zu Beginn komplex erscheinen kann. Dennoch erleichtern umfangreiche Hilfestellungen und Benutzeranleitungen auf der Website den Zugang zu den vielfältigen Such- und Filtermöglichkeiten. So können selbst Nutzer ohne tiefgehende Vorkenntnisse erfolgreich mit der Datenbank arbeiten. Generell kann der Einfluss des Roud Folk Song Index auf die Wissenslandschaft der Volksmusik nicht überschätzt werden.