Nahrungsergänzungsmittel erfreuen sich weltweit immer größerer Beliebtheit. Immer mehr Menschen greifen zu Vitaminen, Mineralstoffen und pflanzlichen Extrakten, um ihre Gesundheit zu unterstützen und einem bewussteren Lebensstil nachzugehen. Doch während die Produktvielfalt im Regal oft den Eindruck erweckt, ein breites, unabhängiges Angebot vorzufinden, sieht die Realität hinter den Kulissen ganz anders aus. Die Branche wird weitgehend von einigen wenigen Mega-Konzernen beherrscht, die eine Vielzahl der bekannten Marken kontrollieren. Diese Entwicklung wirft wichtige Fragen über Transparenz, Qualität, Ethik und Wahlmöglichkeiten der Verbraucher auf – und das nicht nur in Deutschland, sondern global.
Einer der ersten Punkte, der bei der Recherche zu diesem Thema auffällt, ist die erstaunliche Marktkonzentration. Viele der Marken, denen Verbraucher vertrauen, gehören inzwischen Pharmariesen oder großen Lebensmittelkonzernen. So gehört die Marke „One-A-Day“, die für viele ein Klassiker der Vitaminpräparate darstellt, heute zum deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen Bayer. Dieses Unternehmen ist auch bekannt für seine Übernahme von Monsanto, einem Konzern, der besonders in der öffentlichen Wahrnehmung für kontroverse Pflanzenschutzmittel und Gentechnik steht. Ein weiteres Beispiel ist „Centrum“, eine der populärsten Vitaminmarken weltweit.
Diese Marke war lange Zeit Teil von Pfizer, einem der größten Pharmakonzerne. Seit einer größeren Fusion gehört Centrum jetzt zu GlaxoSmithKline (GSK), einem global agierenden multinationalen Unternehmen, das in zahlreichen Bereichen der Gesundheitsversorgung aktiv ist. Diese Entwicklungen zeigen auf, wie Nahrungsergänzungsmittel verstärkt in den strategischen Fokus großer Pharmaunternehmen gerückt sind. Ein besonders interessantes Phänomen ist die Übernahme sogenannter „natürlicher“ oder „organischer“ Marken durch Konzerne, die im Ruf stehen, weniger auf Nachhaltigkeit zu achten. Garden of Life zum Beispiel, ein Anbieter, der sich vor allem durch sein organisches, auf Vollwertkost basierendes Sortiment bekannt gemacht hat, steht inzwischen unter der Kontrolle von Nestlé.
Dieser Schweizer Lebensmittelriese wird häufig für seine Geschäftspraktiken kritisiert, die in den Augen mancher Verbraucher der Ethik widersprechen. Ebenso wurde die Traditionsmarke Solgar, die für ihre hochwertigen Nahrungsergänzungsmittel geschätzt wird, kürzlich an Nestlé verkauft. Auch Marken, die in den USA ihren Ursprung haben, sind Teil dieser Entwicklung. Rainbow Light, bekannt für seine pflanzenbasierten Supplemente und als Vorreiter in Bereichen wie Spirulina, gehört heute dem Haushaltskonzern Clorox, der hauptsächlich für Reinigungsmittel und Haushaltsprodukte bekannt ist. Diese Mischung zeigt, wie breit und vernetzt die Besitzverhältnisse im Supplement-Bereich inzwischen sind.
Die japanische Pharmafirma Otsuka Pharmaceutical wiederum besitzt „Nature Made“, eine der wenigen Marken, deren Produkte USP-verifiziert sind. Die United States Pharmacopeia (USP) überprüft und zertifiziert Qualität und Reinheit von Supplementen. Dabei sind nur etwa ein Prozent aller Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt USP-zertifiziert, was die hohe Qualität von Nature Made besonders hervorhebt. Dennoch wird auch diese Qualitätsmarke vom japanischen Pharma-Giganten kontrolliert. Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel ist dabei ein äußerst lukratives Geschäft.
Im Jahr 2021 wurde der globale Markt auf rund 151,9 Milliarden US-Dollar geschätzt, mit einer erwarteten jährlichen Wachstumsrate von knapp 9 Prozent bis 2030. Dieses Wachstum erklärt das Interesse großer Unternehmen, kleine und mittelgroße Hersteller aufzukaufen. Für Konzerne, die ohnehin im Gesundheitsbereich aktiv sind, bieten Supplements eine natürliche Erweiterung ihres Portfolios. Aus Verbrauchersicht stellt sich die Frage, wie man mit dieser Marktkonzentration umgehen soll. Die Illusion einer großen Angebotsvielfalt wird durch Interkonzerne und Übernahmen zunehmend widerlegt.
Zwischen den Produkten, die auf dem Markt erscheinen, und der tatsächlichen Eigentümerschaft klafft eine breite Lücke. Die Chancen, unabhängig und nachhaltig produzierte Supplements zu finden, werden dadurch kleiner – und gleichzeitig steigt die Abhängigkeit von den Qualitäts-, Preis- und Marketingstrategien weniger Unternehmen. Ein Boykott großer Konzerne ist deshalb schwierig, da auch viele klein erscheinende Marken, die oft als „alternativ“ oder „natürlich“ beworben werden, in Wahrheit von denselben großen Unternehmen kontrolliert werden. Das erschwert es, wirklich unabhängige Nahrungsergänzungsmittel zu finden. Zudem setzen manche Verbraucher auf Zertifikate wie das USP-Zeichen, um sicherzugehen, dass die Qualität der Produkte stimmt, doch auch diese sind rar und nicht zwingend ein Garant für einzelne ethische oder ökologische Standards.
Die Situation wirft jedoch auch eine grundsätzliche Frage nach Transparenz und Verbraucherschutz auf. Wäre es nicht wünschenswert, dass Hersteller offenlegen müssen, wer die eigentlichen Eigentümer sind? Und wie könnten staatliche Regulierungen dazu beitragen, einen faireren Markt zu gewährleisten? Die Ergänzungsmittelbranche bewegt sich an der Schnittstelle von Nahrung, Medizin und Lifestyle und benötigt deshalb klare Standards und klare Informationen für die Verbraucher. Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Markt für Nahrungsergänzungsmittel zwar vielfältig wirkt, in Wahrheit aber von einigen wenigen Mega-Konzernen kontrolliert wird. Diese Konzerne haben Zugriff auf große Ressourcen, ein weit verzweigtes Marketingnetz und oft intransparente Strukturen, durch die die Kontrolle über zahlreiche Marken ausgeübt wird. Für Verbraucher bedeutet dies, informiert zu bleiben, Etiketten und Herkunft zu prüfen sowie kritisch zu hinterfragen, welche Unternehmen hinter den jeweiligen Produkten stehen.
Nur so kann man eine bewusste und verantwortungsvolle Kaufentscheidung treffen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass unabhängige Brachenvertreter, kleine Produzenten und staatliche Institutionen zusammenarbeiten, um einen ausgewogenen Wettbewerb sicherzustellen und den Markt nachhaltig zu gestalten. Denn trotz der Marktdominanz großer Konzerne gibt es auch weiterhin Raum und Nachfrage für innovative, nachhaltige und unabhängige Nahrungsergänzungsmittel – wenn Verbraucher und Politik dies unterstützen.