Die Aktienmärkte in den USA haben seit Mitte April eine beeindruckende Aufwärtsbewegung erlebt. Diese Erholung kam zu einem Zeitpunkt, als die Kurse infolge von Unsicherheiten rund um angekündigte Zölle temporär unter Druck geraten waren und sogar kurzzeitig in den Bereich eines Bärenmarktes fielen. Eine der wichtigsten Triebfedern dieser Rallye waren private Anleger, die beim Einbruch der Kurse gezielt Aktien nachgekauft haben – ein Verhalten, das als Dip-Kaufen bekannt ist. Doch mittlerweile zeigen sich erste Anzeichen dafür, dass diese Gruppe an Käufern ermüdet und ihr Engagement zurückfährt. Experten von JPMorgan warnen, dass diese Erschöpfung der Retail-Trader die positive Dynamik des Marktes ins Wanken bringen könnte, womit sich die Rallye erschöpfen könnte.
Privatanleger haben in den vergangenen Monaten besonders während der volatilen Phase innerhalb eines turbulenten Handelsklimas eine bemerkenswerte Rolle gespielt. Während die Börsen zunächst von der Unsicherheit bezüglich der neuen Handelszölle belastet wurden, nutzten viele individuelle Investoren die Kursrücksetzer gezielt zum Nachkauf. Diese Strategie, das sogenannte Dip-Kaufen, trug maßgeblich dazu bei, größere Verluste zu verhindern und den Aktienmarkt zu stabilisieren. In April zeichnete sich insbesondere eine hohe Aktivität der Retail-Investoren ab, die bei historisch hohen Volumina am Markt engagiert waren. Die jüngste Analyse von JPMorgan deutet jedoch darauf hin, dass dieser Trend an Kraft verliert.
Nach starken Kaufperioden seit Mitte 2023 sind die privaten Anleger im Mai offenbar etwas zurückhaltender geworden, wenngleich die fundamentalen Börsenbedingungen unverändert volatil bleiben. Diese Zurückhaltung kann teilweise als Müdigkeit interpretiert werden, da eine längere Phase intensiver Käufe auch bei erfahrenen Investoren zu einer gewissen Ermattung führen kann. Für die weitere Entwicklung des Aktienmarktes hat diese Veränderung weitreichende Folgen. Einer der zentralen Punkte, die JPMorgan in seiner Analyse hervorhebt, ist, dass neben dem Ausbleiben des Impulses aus dem Retail-Sektor auch institutionelle Anleger bereits einen Großteil ihrer Positionen wieder aufgebaut haben. Dies gilt insbesondere für aktienfokussierte Hedgefonds, die ihre Engagements erhöht haben, sowie für Makro-Hedgefonds, die das große Short-Covering größtenteils abgeschlossen haben.
Gleichzeitig zeigen sich ausländische Investoren weiterhin zurückhaltend und beteiligen sich nur wenig am Kauf neuer Aktienpositionen. Diese Kombination lässt nur wenig Raum für eine starke zusätzliche Kaufdynamik, die den S&P 500 weiter nach oben treiben könnte. Die Bedeutung der Retail-Trader als Stütze der Rallye ist im Grunde genommen eine Fortsetzung früherer Marktphasen, in denen private Anleger als wichtige Nachfragetreiber agierten. Seit dem Tiefpunkt der Marktturbulenzen während der Pandemie, und schon davor, haben Privatanleger häufig mit schnellen und volatilen Reaktionen auf Marktereignisse ihre Marktmacht bewiesen. Das Dip-Kaufen rückte dabei immer wieder in den Fokus, da es gerade in stressigen Marktphasen zur Stabilisierung beitrug.
Dennoch zeigt die tagesaktuelle Entwicklung, dass dieser Effekt sich nicht unbegrenzt fortsetzen lässt. Ein weiterer Aspekt, der die Erschöpfung der Retail-Investoren bedingt, ist die psychologische Belastung eines über einen längeren Zeitraum dauerhaften Zukaufs von Aktien. Immer wieder steigende Märkte setzen Anleger unter Druck, die nicht nur mit der Volatilität umgehen müssen, sondern auch mit der Unsicherheit bezüglich gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen, wie etwa eines möglichen wirtschaftlichen Abschwungs. Handelskonflikte, Inflationssorgen und geopolitische Risiken tragen zu einer insgesamt angespannten Stimmung bei, die ein dauerhaftes aggressives Einkaufen erschwert. JPMorgan betont, dass ohne eine weitere deutliche Kurskorrektur, die neue Kaufmöglichkeiten schafft, die positiven Impulse aus dem Einzelhandelssektor vorerst ausbleiben dürften.
Retail-Trader warten nach der Rallye der ersten Monate auf neue Einstiegsgelegenheiten, um sich erneut zu engagieren. Ohne frischen Nachschub an gedämpften Kursen fehlt jedoch der Treibstoff für den nächsten Schub am Aktienmarkt. Die Frage, wie sich der Markt in den kommenden Wochen und Monaten entwickelt, ist eng mit den globalen Handelsverhandlungen und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage verbunden. Sollte es gelingen, an der Handelsfront Fortschritte zu erzielen, könnten Risiken abnehmen und die Zuversicht zurückkehren, was wiederum auch den institutionellen und privaten Anlegern neue Kaufanreize bieten würde. Ebenso entscheidend ist, ob die amerikanische Wirtschaft einen Rückgang des Wachstums oder gar eine Rezession vermeiden kann.
Eine schlechte Konjunkturentwicklung würde die Chancen auf einen erneuten, starken Rallyeschub spürbar verringern. Ergänzend zu diesen makroökonomischen Faktoren spielen auch Marktgegebenheiten und Bewertungsniveaus eine Rolle. Nach einem kräftigen Anstieg des S&P 500 um 18 Prozent seit Mitte April stehen viele Aktien nicht mehr zu besonders günstigen Bewertungen zur Verfügung. Das schränkt den Handlungsspielraum für Investoren, die auf preiswerte Käufe setzen, spürbar ein. Die Rolle der ausländischen Investoren bleibt ein weiterer Unsicherheitsfaktor.
Während heimische institutionelle Anleger ihre Positionen kräftig erhöht haben, halten sich internationale Marktteilnehmer deutlich zurück. Diese Zurückhaltung könnte mit geopolitischen Spannungen, Währungsrisiken und unterschiedlichen wirtschaftlichen Prognosen zusammenhängen und trägt dazu bei, dass die Katalysatoren des Marktes insgesamt begrenzt sind. Abschließend lässt sich festhalten, dass das Dip-Kaufen der Einzelhändler ein entscheidendes Element in der jüngsten Erholung der Aktienmärkte darstellte. Die Anzeichen einer Ermüdung dieser Gruppe erhöhen das Risiko, dass die Rallye an Dynamik verliert, sofern andere Marktteilnehmer keine neuen Impulse setzen können. Anleger sollten daher die Entwicklungen sowohl im Verhalten der Retail-Trader als auch in den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen genau beobachten, um sich auf unterschiedliche Szenarien einstellen zu können.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob der US-Aktienmarkt weiterhin von einem breiten und nachhaltigen Käufervolumen getragen wird oder ob die Erholung ins Stocken gerät und eine Phase erhöhter Volatilität und möglicher Kursrückgänge beginnt. Für Investoren gilt es, trotz der aktuellen positiven Entwicklung vorsichtig und wachsam zu bleiben, denn die schwindende Kraft einer so wichtigen Käufergruppe ist ein frühzeitiges Warnsignal für die weitere Marktbewegung.