In einem bahnbrechenden Forschungsprojekt gelang es Wissenschaftlern der Universität Colorado Boulder, erstmals in der westlichen Hemisphäre mittel- und langfristig toxische chlorierte Paraffine, sogenannte Medium Chain Chlorinated Paraffins (MCCPs), in der Luft nachzuweisen. Dieser Fund ist von großer Bedeutung, da MCCPs bislang vor allem in Regionen wie Asien und der Antarktis dokumentiert wurden, während ihre Präsenz in Nord- und Südamerika bisher unbelegt war. Die Entdeckung weckt neue Umwelt- und Gesundheitsbedenken und unterstreicht die Dringlichkeit, diese bisher wenig erforschten Schadstoffe besser zu verstehen und gegebenenfalls zu regulieren. Die Forschung wurde in einem landwirtschaftlich geprägten Gebiet in Oklahoma durchgeführt, wo Wissenschaftler mit hochentwickelter Messtechnik die Bildung und Entwicklung atmosphärischer Aerosolpartikel untersuchten. Während dieser Messungen stießen sie überraschend auf klare Hinweise für MCCPs in der Umgebungsluft, obwohl sie ursprünglich nicht explizit danach gesucht hatten.
Die hochsensible Instrumentierung ermöglichte eine genaue Identifizierung chemischer Signaturen, die auf die Anwesenheit dieser toxischen Verbindungen hindeuten. MCCPs gehören zu einer Familie chlorierter Paraffine, die als toxische organische Schadstoffe gelten. Diese Stoffe werden in zahlreichen industriellen Anwendungen verwendet, etwa in metallverarbeitenden Flüssigkeiten, im Baugewerbe für PVC-Produkte sowie bei Textilien. Durch ihre weitverbreitete Nutzung und langlebige chemische Struktur besteht ein erhebliches Potenzial der Umweltbelastung. Insbesondere besteht die Befürchtung, dass sie sich ähnlich wie die bekannteren „forever chemicals“ (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, PFAS) über lange Zeiträume in Böden und der Atmosphäre anreichern und schwer abbaubar sind.
Ein zentrales Problem bei MCCPs ist ihre Ausbringung über Bioklärschlamm, auch bekannt als Klärschlamm-Dünger. Bioklärschlamm entsteht bei der Abwasserreinigung, wenn feste Rückstände vom Wasser getrennt werden. Werden diese Rückstände als Dünger auf landwirtschaftliche Felder ausgebracht, besteht die Gefahr, dass darin enthaltene toxische Chemikalien – ähnlich den nachgewiesenen MCCPs – auf Felder gelangen und als Luftschadstoffe freigesetzt werden können. In Oklahoma vermuten die Wissenschaftler, dass dieser Weg eine plausible Quelle für die gemessene Belastung darstellt. Diese These wird durch frühere Erkenntnisse unterstützt, welche zeigen, dass Klärschlamm vergleichbare organische Schadstoffe freisetzen kann.
Die Entdeckung von MCCPs in der Atmosphäre der westlichen Hemisphäre hat auch politische und regulatorische Implikationen. Aktuell stehen MCCPs auf der Liste der Chemikalien, die vom Stockholmer Übereinkommen potenziell reguliert werden sollen. Dieses internationale Abkommen zielt darauf ab, langfristig schädliche Chemikalien weltweit zu kontrollieren und auszuschließen, um die menschliche Gesundheit sowie die Umwelt zu schützen. Bereits ähnliche Stoffe wie die Short Chain Chlorinated Paraffins (SCCPs) sind reguliert und seit 2009 in den USA vom Umweltbundesamt (EPA) kontrolliert. Die FDA hat erkannt, dass durch die Beschränkung von SCCPs andere chlorierte Paraffine, insbesondere MCCPs, vermehrt verwendet werden, was unbeabsichtigte Folgen nach sich ziehen kann.
Diese Verlagerung auf Ersatzstoffe ist ein klassisches Beispiel für regulatorische Herausforderungen bei der Chemikaliensicherheit. Produkte, die zuvor problematische Stoffe enthielten, werden einfach durch verwandte, aber weniger gut erforschte Substanzen ersetzt, die möglicherweise ähnliche oder neue Risiken bergen. Die Erforschung von MCCPs steht daher erst am Anfang und erfordert weitere wissenschaftliche Untersuchungen, um die Verbreitung, Umweltauswirkungen und potenzielle gesundheitliche Risiken besser einschätzen zu können. Die Messungen der Universität Colorado Boulder wurden mit einem sogenannten nitrate chemical ionization mass spectrometer durchgeführt – einem präzisen Instrument, das chemische Verbindungen in der Luft anhand ihrer ionischen Fragmente identifiziert. Die Forscher werteten kontinuierlich Messungen über einen Zeitraum von einem Monat aus, um Veränderungen der MCCP-Konzentrationen sowie deren Verhalten als Gas oder in Partikelform zu beobachten.
Dabei zeigte sich, dass Temperatur und Umgebungsbedingungen die Verteilung der Substanzen zwischen Gasphase und Partikeln beeinflussen. Dieses Wissen ist essenziell, um Emissionsquellen zu identifizieren und das Verhalten der Schadstoffe in der Atmosphäre zu verstehen. Neben der Umweltbelastung weisen MCCPs auch potenzielle Gefahren für die menschliche Gesundheit auf. Studien aus der Vergangenheit belegen, dass chlornierte Paraffine toxisch wirken und krebserregend sein können. Sie können sich über die Nahrungskette anreichern und sind schwer abbaubar, was zu langfristiger Exposition führt.
In Anbetracht ihrer Weitwanderungsfähigkeit in der Atmosphäre besteht die Gefahr, dass lokale Verwendungen durch globale Umwelteinflüsse verstärkt werden. Die neu entdeckte Luftbelastung in der westlichen Hemisphäre ist daher besorgniserregend und macht deutlich, wie wenig bisher über die Verbreitung dieser Schadstoffe bekannt ist. Die Erkenntnisse aus der aktuellen Studie können wichtige Impulse für politische Entscheidungsträger auf nationaler und internationaler Ebene sein. Eine effektive Kontrolle von MCCPs wird nur durch ein besseres Monitoring, umfassende Umweltanalysen und wissenschaftlich fundierte Risikobewertungen möglich. Auch die Öffentlichkeit und insbesondere Landwirte sollten für potenzielle Risiken durch die Nutzung von Klärschlamm-Düngern sensibilisiert werden.
Ein weiterer Aspekt ist die notwendige Entwicklung neuer, nachhaltigerer Materialien, die als Ersatz für chlorierte Paraffine dienen können. Die Industrie ist gefragt, um Alternativen zu entwickeln, die weniger toxisch sind und nicht persistent in der Umwelt verbleiben. Parallel dazu müssen Gesetzgeber verbunden mit wissenschaftlichen Institutionen den Einsatz solcher Stoffe streng überwachen und gegebenenfalls regulieren. Neben der spezifischen Problematik um MCCPs wird durch diese Forschungsarbeit verdeutlicht, wie wichtig moderne Messmethoden und dauerhafte Feldstudien sind, um die vielschichtigen Ursachen für Umweltverschmutzung zu erfassen. Nur durch kontinuierliche Überwachung können neue Schadstoffe frühzeitig erkannt und ihre Auswirkungen analysiert werden, was wiederum zur langfristigen Gesundheit von Mensch und Umwelt beiträgt.
Zukünftige Forschungsrichtungen sollten unter anderem die saisonalen Schwankungen der MCCP-Konzentrationen sowie deren chemische Umwandlungen in der Atmosphäre untersuchen. Ebenso sind Studien zu Aufnahmewegen beim Menschen und Tieren sowie Langzeitstudien zur Toxizität von entscheidender Bedeutung. Nur so kann ein ganzheitliches Bild dieser toxischen Chemikalien entstehen und eine gezielte Vorsorge erfolgen. Abschließend unterstreicht der erstmalige Nachweis der luftgetragenen MCCPs in der westlichen Hemisphäre einen dringenden Handlungsbedarf. Umweltforschung und Chemikaliensicherheit müssen Hand in Hand gehen, um den Herausforderungen durch neue Schadstoffe wie MCCPs wirksam begegnen zu können.
Die jüngste Entdeckung bietet die Chance, wachsam zu bleiben und die Weichen für eine gesündere Umwelt und eine sichere Zukunft zu stellen.