Die Technologiebranche war lange Zeit ein Sektor, der von optimistischer Innovation und dem Versprechen auf Fortschritt geprägt war. Doch hinter der Oberfläche verbirgt sich eine zunehmend tiefere ideologische Spaltung, insbesondere innerhalb der sogenannten Tech-Rechten. Diese Gruppe, bestehend aus einflussreichen Unternehmern, Investoren und Denkern, steht vor einem fundamentalen Bruch in ihrer politischen Vision und ihrer Haltung gegenüber Staat, Gesellschaft und globalen Rivalen. Die Debatte zwischen Figuren wie Joe Lonsdale, Mitbegründer von Palantir, und Balaji Srinivasan, ehemaliger CTO von Coinbase und Befürworter des „Network State“-Konzepts, offenbart die inneren Konflikte zwischen zwei sehr unterschiedlichen Zukunftsentwürfen für Silicon Valley und die techgetriebene Welt. Die Auseinandersetzung, die im April 2025 in einem privaten Signal-Chatraum, einem virtuellen Treffpunkt für Tech-Insider stattfand, markiert nicht nur persönliche Differenzen, sondern illustriert auch das Aufeinanderprallen zweier gegensätzlicher Ideologien.
Joe Lonsdale vertritt eine Position, die offen die Zusammenarbeit mit dem US-Militär und der Regierung betont. Er sieht in einer engen Allianz zwischen Technologieunternehmen und dem militärisch-industriellen Komplex die beste Möglichkeit, amerikanische geopolitische Macht zu stärken und den wachsenden Einfluss Chinas abzuwehren. Seiner Sicht nach stellt China eine existentielle zivilisatorische Bedrohung dar – sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Im Gegensatz dazu verfolgt Balaji Srinivasan eine radikal andere Vision. Sein Konzept der „Network States“ zielt darauf ab, mit technologiebasierten, dezentralisierten Gemeinschaften neue, souveräne Stadtstaaten zu schaffen, die fernab nationalstaatlicher Kontrolle existieren können.
Über jene Stadtstaaten sollen innovative Technologien wie Blockchain und Kryptowährungen zum Einsatz kommen, um eine neue Elite zu etablieren, die frei von den Restriktionen klassischer Staaten agiert. Dabei handelt es sich um eine Form von technologisch gestütztem Libertarismus, der das bestehende politische System hinter sich lassen will und damit ein utopisches Modell der digitalen Souveränität skizziert. Diese ideologische Kluft innerhalb der Tech-Rechten steht exemplarisch für die historische Entwicklung der Technologiebranche und ihre politische Verzahnung. Während das moderne Silicon Valley vielfach als Hort libertärer Ideen gilt, unterstreicht die aktuelle Spaltung, dass autoritäre und sogar faschistische Tendenzen schon immer Teil des politischen Spektrums in der Tech-Branche waren – wenn auch in unterschiedlichen Manifestationen. Die Wurzeln von Lonsdales Perspektive reichen zurück bis in den Zweiten Weltkrieg, als die Vereinigten Staaten durch immense staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung die technologische Überlegenheit gegenüber Nazi-Deutschland und später der Sowjetunion sichern wollten.
Die florierende Kooperation zwischen Technologieunternehmen und der Militärindustrie hat damit eine lange Tradition und führte erst in den letzten Jahren zu einem Wiederaufleben eines „militärisch-industriellen Komplexes“ im High-Tech-Sektor. Parallel zu diesen tradierten Machtstrukturen entstand in den 1960er- und 1970er-Jahren eine Gegenbewegung in der Tech-Szene, entfacht durch die Antikriegsproteste gegen den Vietnamkrieg und durch die Hippie-Bewegung inspiriert. In diesem Umfeld formte sich ein libertärer Geist, der technologische Innovationen vor allem als Mittel zur individuellen Freiheit und zur Begrenzung staatlichen Einflusses begriff. Silicon Valley entwickelte sich zu einer Bastion dieser Ideale, die den Staat mehrheitlich als potenziellen Feind betrachteten, dessen Macht durch technische Entwicklung gedämpft werden sollte. In den letzten Jahren haben maßgebliche Vertreter der Tech-Elite wie Peter Thiel und Joe Lonsdale eine Abkehr von dieser libertären Haltung vollzogen und forcieren die strategische Allianz mit der US-Regierung vor allem im Kontext des geopolitischen Wettbewerbs mit China.
Hierbei wird die technologische Überlegenheit bzw. die Kontrolle über wichtige Zukunftstechnologien als zentraler Faktor nationaler Sicherheit betrachtet. Palantir agiert dabei als Schrittmacher, indem es aktiv mit Verteidigungsministerien kooperiert und auf die Reformation von Beschaffungsprozessen setzt, um neuartige Tech-Unternehmen gegenüber traditionellen Rüstungskonzernen zu stärken. Diese neue Tech-Militär-Industrie-Partei argumentiert, dass die vorherige Fokussierung auf consumerorientierte Produkte – Smartphones, soziale Medien und Ähnliches – eine fatale Fehleinschätzung war, die die USA verwundbar gemacht hat. In ihrem Narrativ gilt China nicht nur als kommerzielle Konkurrenz, sondern als existenzieller Bedrohungsakteur, gegen den eine harte amerikanische Antwort notwendig ist, um die technologische und politische Vormachtstellung zu sichern.
Demgegenüber sieht Srinivans Vision in der technologischen Unabhängigkeit und der Errichtung von dezentralisierten, technologiebasierten Gesellschaften den Weg in die Zukunft. Indem Technologie-Enthusiasten und Unternehmer autonome Zonen schaffen, die schweben über der nationalstaatlichen Kontrolle, wollen sie neuen politischen Gemeinschaften schaffen, in denen sogenannte „Tech-Zionisten“ privilegierte Rechte genießen. Sein Umzug nach Singapur und seine distanzierte Haltung gegenüber amerikanischer Hegemonie sind Ausdruck seines Wunsches, diese neue Ordnung jenseits der Grenzen bestehender Staaten zu errichten. Die ideologische Kluft zwischen der Verfechtung staatsbasierter militärischer Stärke und der Absage an nationale Souveränität zugunsten dezentraler Autonomie steht also nicht nur für einen Streit um Weltanschauungen, sondern auch für einen Kampf um die Zukunft der Technologiebranche selbst. Beide Projekte eint die Vision einer autoritären Ordnungsstruktur, in der eine technologische Elite enorme Macht besitzt und die breite Bevölkerung marginalisiert wird.
Unterschiede bestehen vor allem darin, wo und wie diese Macht ausgeübt werden soll – innerhalb traditioneller Nationalstaaten oder in neuen semi-autonomen Technikgemeinschaften. Diese Entwicklungen werfen gravierende Fragen auf bezüglich der Rolle von Technologieunternehmen in modernen Gesellschaften. Die zunehmende Nähe zwischen Tech-Konzernen und Sicherheitsbehörden oder Militär birgt das Risiko der Militarisierung von Innovationen und einer globalen Eskalation geopolitischer Spannungen. Gleichzeitig birgt die Idee der Network States neue Gefahren, indem sie demokratische Legitimität und gesellschaftlichen Zusammenhalt untergräbt, um privatwirtschaftlichen und technokratischen Herrschaftsansprüchen Vorschub zu leisten. Vor diesem Hintergrund gilt es, die Ideologien und Machtkonzepte innerhalb der Tech-Rechten kritisch zu hinterfragen.
Insbesondere die Versuche, Technologie als Werkzeug zur politischen Reorganisation einzusetzen – sei es für koloniale Machtprojektionen, sei es für libertär-autoritär geprägte Fluchtfantasien – müssen in den Kontext eines verantwortungsvollen und inklusiven Umgangs mit Innovationstechnologien gestellt werden. Das Potenzial von Technologie zur Stärkung von Freiheit und Teilhabe steht ebenso zur Debatte wie die Gefahr der Reproduktion von Ungleichheit und Repression. Die Auseinandersetzung zwischen Lonsdale und Srinivasan symbolisiert eine tiefere Krise von Silicon Valley: die Spannung zwischen dem Erbe des libertären Tech-Utopismus und der Realität des autoritären Kapitalismus, der immer enger mit staatlicher Macht verflochten ist. Wie diese Konflikte ausgehen werden, hat weitreichende Konsequenzen für den Einfluss der Technologie auf Politik, Gesellschaft und globale Machtverhältnisse. Abschließend bleibt festzuhalten, dass weder die Unterordnung unter einen neuen militärischen Komplex noch die Abkehr in autonome Technologie-Staaten als positive Lösung angesehen werden sollten.
Beide Pfade bergen erhebliche Risiken für Demokratie, Menschenrechte und globale Stabilität. Eine kritische, pluralistische und demokratisch verfasste Diskussion über die Rolle von Technologie in der Zukunft unserer Gesellschaft ist somit wichtiger denn je. Nur wenn die autoritären Tendenzen innerhalb der Tech-Elite aufgehalten werden, kann Technologie als Kraft für das Gemeinwohl gedeihen und eine gerechtere, offenere Gesellschaft ermöglichen.