Victoria’s Secret steht erneut im Rampenlicht der Finanz- und Modewelt – diesmal aber nicht aufgrund einer neuen Produktkampagne oder eines weltweiten Expansionsplans, sondern wegen einer deutlichen Aufforderung von Barington Capital, einem bedeutenden Investor der Marke, das Führungsgremium umfassend zu erneuern. In einem öffentlichen Schreiben hat Barington die aktuelle Unternehmensführung scharf kritisiert, Zweifel an der strategischen Ausrichtung geäußert und eine Neuausrichtung gefordert, die sich wieder auf die Kernkompetenzen und das Kerngeschäft konzentriert. Die Forderung nach einer grundlegenden Umstrukturierung des Managements wirft ein Schlaglicht auf Herausforderungen, die Victoria’s Secret seit der Abspaltung von L Brands im Jahr 2021 begleiten und zeigt die hohen Erwartungen an die Führung eines renommierten internationalen Modeunternehmens. Barington hält über ein Prozent der ausstehenden Stammaktien von Victoria’s Secret und hat insbesondere die Performance des Modekonzerns in den letzten Jahren kritisiert. Nach Ansicht des Investors hat das aktuelle Board unter der Leitung der Vorsitzenden Donna James eine dramatische Zerstörung von Shareholder-Value in Höhe von 2,4 Milliarden US-Dollar zugelassen, während Investitionen und Übernahmen in Höhe von 1,8 Milliarden US-Dollar wenig bis keinen nachweisbaren Mehrwert generierten.
Die unzufriedenen Aktionäre sehen vor allem die strategischen Entscheidungen des aktuellen CEOs Hillary Super kritisch. Ihrer Meinung nach fehle es ihr an der notwendigen Erfahrung und strategischen Weitsicht, um den dringend benötigten Turnaround einzuleiten. Insbesondere wird die Entscheidung, den Fokus vom traditionellen Kernsegment, also der Wäsche und Dessous-Kollektion, abzulenken und dabei vermehrt auf Nebenmarken wie Pink oder den Bereich Athleisure zu setzen, als problematisch bewertet. Dieser Schritt habe offenbar von der nötigen Konzentration auf das Hauptgeschäft sowie eine internationale Expansion abgelenkt. Barington sieht darin eine gefährliche Abkehr von dem, was Victoria’s Secret einst einzigartig machte: eine konsistente und klare Markenidentität mit einem starken Fokus auf die Kernprodukte.
Die Kritik an der sogenannten "Super Squad" – dem Führungsteam, das intern als besonders schlagkräftig beworben wird – verdeutlicht den ernsten Vertrauensverlust der Aktionäre. Die Bezeichnung wirke angesichts rückläufiger Unternehmenskennzahlen eher hochnäsig und unangemessen. Die Forderung von Barington geht jedoch weit über Kritik hinaus: Ein wichtiger Punkt ist die Neubewertung der Zusammensetzung des Vorstands. Sechs der neun derzeitigen Direktoren waren bereits während der kritischen Phase des Wertverfalls an Bord. Zudem fehle es einigen unabhängigen Vorstandsmitgliedern an der nötigen Expertise, um ein globales Konsumgüterunternehmen erfolgreich zu führen und international zu skalieren.
Barington plädiert daher für einen komplett neu aufgestellten Vorstand mit ausgewiesener Erfahrung in den Bereichen Markenrevitalisierung, operative Umsetzung, globale Marktexpansion und Wertsteigerung für Aktionäre. Zudem sehen die Aktionäre in dem sogenannten "Shareholder Rights Plan" von Victoria’s Secret, der in Fachkreisen auch als "Giftpille" bezeichnet wird, eine negative Marktsignalwirkung. Dieser Plan könnte potenzielle Übernahmeangebote oder andere praxisnahe Maßnahmen, die den Unternehmenswert steigern könnten, verhindern und so letztlich gegen die Interessen der Aktionäre wirken. Trotz der Kritik muss auch erwähnt werden, dass Victoria’s Secret im letzten Quartalsbericht für das Geschäftsjahr 2024 eine positive Performance verzeichnen konnte. Die Umsatzerlöse stiegen leicht auf 2,10 Milliarden US-Dollar und die operativen Ergebnisse sowie das Ergebnis je Aktie übertrafen die Erwartungen von Analysten.
Das Unternehmen erlebte zudem ein Wachstum bei vergleichbaren Umsätzen um fünf Prozent. Diese Zahlen zeigen, dass zwar Herausforderungen bestehen, das Unternehmen jedoch auch über eine solide Basis verfügt, auf der aufgebaut werden kann. Baringtons Empfehlungen zielen darauf ab, Victoria’s Secret wieder auf seinen bisher erfolgreichen Kurs zu bringen. Der Fokus soll wieder auf die Kernmarke gelegt werden – mit einem klaren Qualitätsanspruch, einer kreativen und kohärenten Marketingstrategie sowie einer Wiederbelebung legendärer Kampagnen wie etwa der berühmt-berüchtigten Angels. Darüber hinaus soll das Merchandising strengeren Regeln folgen, um wieder ein einheitliches und begehrtes Produktsortiment zu gewährleisten.
Die Kritik und Forderungen von Barington spiegeln einen Trend wider, den viele etablierte Marken erleben: In einer globalisierten und sich schnell verändernden Konsumentenlandschaft ist es essenziell, eine klare strategische Ausrichtung zu haben und Entscheidungen konsequent umzusetzen. Diversifizierungen in zu viele Randbereiche oder eine zu starke Ausdehnung ohne klaren Fokus können Markenidentität und Profitabilität stark beeinträchtigen. Das Beispiel Victoria’s Secret zeigt eindrücklich, wie anspruchsvoll es ist, den Ruf und den Erfolg einer großen Marke auch nach Umstrukturierungen und Spin-offs zu bewahren. Die eingeschlagene Richtung hat weitreichende Auswirkungen nicht nur auf die finanzielle Performance, sondern auch auf die Marktpositionierung und das Konsumentenvertrauen. Im Zentrum steht nun die Frage, wie schnell und effektiv das Unternehmen auf die Forderungen der Investoren reagiert und ob es gelingt, die richtigen Führungspersönlichkeiten mit der nötigen Erfahrung und Vision zu gewinnen.
Die kommenden Monate dürften entscheidend sein für die Zukunft von Victoria’s Secret. Ein erfolgreicher Turnaround könnte den Aktienkurs stabilisieren und die Marke für neue Generationen von Verbrauchern attraktiv machen. Ein versäumter Kurswechsel hingegen könnte die Position im hart umkämpften Markt weiter schwächen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Victoria’s Secret vor einem entscheidenden Wendepunkt steht. Die Herausforderungen sind groß, aber mit einer konsequenten Fokussierung auf die Kernkompetenzen und einer stärkeren Ausrichtung auf internationales Wachstum und operative Effizienz hat die Marke gute Chancen, alte Erfolge neu zu beleben und dabei die Interessen der Aktionäre bestmöglich zu bedienen.
Die Börsen und die Modewelt werden die Entwicklung mit Spannung verfolgen, denn Victoria’s Secret war und bleibt eines der bekanntesten und einflussreichsten Unternehmen im Bereich Damenwäsche und Mode weltweit.