Das EU Cyber Resilience Act (CRA) markiert einen bedeutenden Meilenstein in der europäischen Gesetzgebung, die die Cybersicherheit von Software- und Hardwareprodukten verbessern soll. Vor allem die Open-Source-Community steht dabei im Fokus, denn der neue Rechtsrahmen bringt weitreichende Konsequenzen mit sich, die sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringen. Die Diskussionen rund um den CRA zeigen, wie komplex und dynamisch die Beziehung zwischen juristischen Anforderungen und der technologischen Realität in der Open-Source-Welt ist. Das CRA wurde im Jahr 2024 verabschiedet und soll schrittweise bis 2027 vollständig in Kraft treten. Ziel ist es, die Widerstandsfähigkeit digitaler Produkte gegen Cyberangriffe zu erhöhen und gleichzeitig klare Verantwortlichkeiten bei Herstellern und Softwareanbietern zu etablieren.
Im Kern betrifft das Gesetz alle Produkte mit digitalen Elementen, die in der EU verkauft oder in Verkehr gebracht werden. Dazu gehören nicht nur klassische Hardwaregeräte, sondern auch Software, inklusive Firmware und digitale Dienstleistungen, die einen direkten oder indirekten Internetzugang besitzen. Die Open-Source-Community ist durch die Advocacy großer Organisationen wie der Eclipse Foundation, der Open Source Initiative, der Linux Foundation oder Mozilla darauf aufmerksam gemacht worden, dass das CRA eigens Ausnahmen und reduzierte Anforderungen für bestimmte Kategorien von Open-Source-Projekten vorsieht. Hobbyprojekte und Entwicklerinnen und Entwickler, die unentgeltlich an Software mitwirken, stehen rechtlich nicht im Fokus und übernehmen üblicherweise keine direkten Verpflichtungen unter dem Gesetz. Damit soll Innovation und gemeinschaftliche Entwicklung nicht erstickt werden, sondern weiterhin gedeihen können.
Doch trotz der Entlastung für nicht-kommerzielle Entwickler ist die neue Rechtslage nicht ohne Tücken. Vor allem Unternehmen, die ihre Produkte unter Nutzung von Open-Source-Komponenten herstellen und gewinnbringend vertreiben, tragen eine umfassende Verantwortung. Sie sind gesetzlich verpflichtet, Sicherheitslücken und Schwachstellen zu melden und zu beheben – und zwar nicht nur in der eigenen Software, sondern auch in allen verwendeten Open-Source-Bausteinen. Diese Pflicht umfasst einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren nach dem Inverkehrbringen des Produkts und sorgt für eine deutliche Verschiebung in der bisherigen Praxis. Traditionell herrschte in der Open-Source-Welt oftmals die Erwartung, Hersteller würden einfach Verbesserungen und Patches von den Projekten „einfordern“.
Das CRA kehrt diese Rolle um: Unternehmen sind nun selbst in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen und Fehler in genutzten Komponenten zu beheben. Ein zentraler Punkt ist dabei das Reporting von Sicherheitsvorfällen – Unternehmen müssen nicht nur geeignete Kanäle zur Meldung von Schwachstellen schaffen, sondern auch sicherstellen, dass Updates und Fixes zeitnah erfolgen. Interessanterweise sind sie dazu verpflichtet, diese Behebungen an die jeweiligen Open-Source-Projekte weiterzugeben, was den kollaborativen Charakter von Open-Source stärken kann. Allerdings ist das Einspielen von Korrekturen upstream an die Projekte abhängig von der jeweiligen Lizenz der Software. Für viele Hersteller stellt diese Situation eine Herausforderung dar, insbesondere bei der Verwaltung der oft sehr umfangreichen Abhängigkeiten moderner Softwareprodukte.
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) finden sich hier vor komplexen Compliance-Anforderungen wieder. Die Dokumentationspflichten des CRA verlangen von Unternehmen, detaillierte Aufzeichnungen über alle eingesetzten Softwarebestandteile, sogenannte Software Bill of Materials (SBOMs), sowie über durchgeführte Sicherheitsupdates zu führen und für eine Dauer von bis zu zehn Jahren verfügbar zu halten. Diese Nachweispflicht ist ein zentraler Bestandteil der künftigen regulatorischen Überwachung und kann ohne geeignete Werkzeuge und Prozesse zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führen. Die Erstellung und Pflege von SBOMs gestalten sich dabei nicht trivial. Die Gesetzgebung definiert relativ allgemein, welche Informationen enthalten sein müssen, lässt aber bei der technischen Umsetzung bewusst Flexibilität.
In der Praxis bedeutet dies, dass Unternehmen auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Tools und Formaten zurückgreifen müssen, um ihre Compliance sicherzustellen. Zudem bringt die hohe Anzahl von direkten und indirekten Abhängigkeiten in modernen Software-Ökosystemen das Risiko mit sich, dass fehlerhafte oder veraltete Komponenten übersehen werden. Dadurch motiviert das CRA viele Hersteller dazu, ihre Lieferkette zu überprüfen und bewusster mit Abhängigkeiten umzugehen – eine Entwicklung, die langfristig auch der Softwarequalität und Sicherheit zugutekommt. Auch aus Sicht der Open-Source-Projekte ergeben sich Chancen. Indem Hersteller gezwungen sind, Sicherheitslücken zu melden und öfters Fixes beizusteuern, könnten wichtige Projekte künftig von professioneller Unterstützung profitieren.
Dies stellt eine potenzielle Verstärkung der Ressourcen dar, die bislang oft auf freiwilliger Basis erbracht werden. Gleichzeitig eröffnet sich für Open-Source-Projekte die Möglichkeit, mit CE-Kennzeichnungen formal zu werden. Zwar sind sie rechtlich nicht verpflichtet, ein solches Compliance-Zertifikat zu erwerben, doch freiwillige Zertifikate können die Sichtbarkeit erhöhen und die Integration in kommerzielle Produkte erleichtern. Dennoch sorgt das Thema für berechtigte Unsicherheiten. Insbesondere kleinere Open-Source-Projekte sind mit der Sorge konfrontiert, dass bereits das Einfordern kleiner finanzieller Gegenleistungen bereits kommerzielle Verantwortlichkeiten auslöst und somit immense Anforderungen mit sich bringt.
Diese Befürchtungen basieren auf der rechtlichen Unterscheidung zwischen „Hobbyist“ und Hersteller bzw. kommerzieller Anbieter. Wer seine Software lediglich als privaten oder nicht-kommerziellen Beitrag bereitstellt, ist vom CRA weitgehend ausgenommen. Doch Transaktionen oder entgeltliche Unterstützungsangebote können dieses Verhältnis verändern und Verpflichtungen auslösen. Die Diskussionen zeigen exemplarisch, wie wichtig eine genaue juristische Einordnung der eigenen Rolle unter dem CRA für Entwickler und Projektbetreuer ist.
Die Komplexität der Gesetzgebung erfordert oft eine fachkundige Beratung, um Risiken zu vermeiden oder bewusst anzugehen. Das EU-Regelwerk unterstützt dabei gezielt KMU mit besonderen Bestimmungen, die Praxis zeigt jedoch, dass das „Ermitteln der eigenen Position“ unter dem CRA oft die erste Hürde ist. Eine weitere wichtige Dimension betrifft die sogenannten „wichtig“ und „kritisch“ eingestuften Produkte gemäß CRA. Telekommunikationsgeräte, medizinische Geräte oder Betriebssysteme zählen zu den höher regulierten Kategorien, bei denen deutlich strengere Anforderungen und Auflagen gelten. Dieser abgestufte Ansatz reflektiert das erhöhte Risiko für die Sicherheit und Stabilität, das von solchen Produkten ausgeht.
Hersteller werden hier zu ausführlicheren Vorabmeldungen und Prüfungen verpflichtet, was zusätzliche Ressourcen erfordert, aber auch die Sicherheit der Endprodukte maßgeblich stärkt. 2025 wird bereits eine Vorabphase eingeläutet, ab der Unternehmen verpflichtet sind, Sicherheitsvorfälle zu melden, noch bevor das gesamte Regelwerk in 2027 bindend wird. Dies bietet der Industrie die Möglichkeit, sich sukzessive auf die neuen Anforderungen einzustellen und erste Prozesse sowie Tooling zu etablieren. Experten aus der Open-Source-Community plädieren dafür, diese Entwicklung nicht als bürokratische Last, sondern als Chance zur Verbesserung und Professionalisierung von Softwareentwicklung und -sicherheit zu sehen. Nicht zuletzt rücken auch Aspekte wie verschlüsselte Kommunikation, Datenschutz und Integritätssicherung von Code besonders in den Fokus.
Das CRA fordert unter anderem den Einsatz von Verschlüsselungstechnologien zum Schutz von Anwenderdaten und von Mechanismen wie signierten Firmware-Images. Diese Anforderungen greifen tief in die Architektur und Entwicklung digitaler Systeme ein und verändern damit das Sicherheitsverständnis grundlegend. Allerdings bestehen auch Sorgen, dass diese Pflicht zu digitaler Kontrolle durch signierte Firmware freiheitliche Nutzungsrechte untergraben könnte, zum Beispiel im Kontext von Open-Source-Firmware oder dem „Recht auf Reparatur". Die Verknüpfung von Open-Source-Entwicklung und regulativen Maßnahmen wie dem Cyber Resilience Act steht sinnbildlich für den Wandel der digitalen Landschaft. Software ist heute allgegenwärtig und essenziell für die Infrastruktur und Wirtschaft.
Die EU versucht mit seiner Gesetzgebung, ein modernes und schützendes Regelwerk zu etablieren, das den technischen Realitäten gerecht wird. Für die Open-Source-Community bedeutet dies, ihre Rolle als Mitgestalter der digitalen Zukunft zu verstehen – im Spannungsfeld von Innovation, öffentlicher Verantwortung und rechtlicher Compliance. Für Entwickler und Unternehmen gleichermaßen besteht die Herausforderung darin, den CRA nicht nur als Pflicht zu sehen, sondern als Impuls für nachhaltige Verbesserungen in der Produktsicherheit. Die Einführung verbindlicher Sicherheitsprozesse, das Etablieren transparenter Fehlerberichte und die konsequente Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Open-Source-Projekten können das Fundament für ein vertrauenswürdiges digitales Ökosystem legen. Die Zeit bis zum Inkrafttreten im Jahr 2027 sollte genutzt werden, um für den Wandel gerüstet zu sein und dabei Synergien zu schaffen, die allen Beteiligten zugutekommen – von Entwicklern über Unternehmen bis hin zum Endnutzer.
Insgesamt wird die Umsetzung des Cyber Resilience Act die Softwarebranche in Europa nachhaltig verändern. Es zeigt sich ein Paradigmenwechsel hin zu mehr Verantwortung, Offenheit und Systemik in der Softwareentwicklung. Für Open Source besteht die große Chance, als vertrauenswürdiger Partner in diesen Prozess einzutreten, den Dialog mit der Industrie zu suchen und neue Geschäftsmodelle im Spannungsfeld von Freiwilligkeit und Regulierung zu entwickeln. Damit bleibt Open Source nicht nur innovativ, sondern auch resilient im digitalen Zeitalter.