Der Einbruch in der Zahl der Ladendiebstähle stellt den Einzelhandel im Vereinigten Königreich vor große Herausforderungen. Laut aktuellen Daten des Office for National Statistics (ONS) wurden im Jahr 2024 über 516.000 Fälle von Ladendiebstahl gemeldet, was einen Anstieg von 20 % gegenüber dem Vorjahr bedeutet und ein Rekordhoch seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2003 darstellt. Diese besorgniserregende Entwicklung hat große wirtschaftliche Folgen für Händler und belastet zudem das Personal, das vermehrt Übergriffe und Druck am Arbeitsplatz erlebt. Als Antwort auf diese zunehmende Problematik implementieren führende Supermarktketten wie Tesco und Sainsbury’s nun eine neuartige Technologie, die auf einem Konzept basiert, das aus dem Fußball bekannt ist: das Video Assistant Referee (VAR)-System.
Diese sogenannten VAR-ähnlichen Kameras ermöglichen es, Diebstähle in Echtzeit zu erfassen und die Täter mit ihren eigenen Handlungen unmittelbar zu konfrontieren. Doch wie funktioniert diese Technologie genau und welchen Einfluss hat sie auf den Einzelhandel in Deutschland und darüber hinaus? Im Zentrum steht eine kleine, mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Kamera, die über den Selbstbedienungskassen angebracht wird. Mithilfe von Computer-Vision-Algorithmen verfolgt sie präzise die Bewegung jedes einzelnen Produkts, das von der Kundin oder dem Kunden gescannt wird. Erkennt das System, dass ein Artikel nicht ordnungsgemäß registriert wurde, sei es versehentlich oder mit Vorsatz, wird unmittelbar ein Video angezeigt – eine kurze Wiederholung des Ereignisses, in der der Kunde seine Handlung aus nächster Nähe sieht. Diese sofortige visuelle Rückmeldung wird meist von einer erklärenden Nachricht begleitet, die freundlich darauf hinweist, dass ein Artikel möglicherweise nicht korrekt gescannt wurde.
Durch das direkte Zeigen des eigenen Verhaltens entsteht eine Art Selbstkontrolle, die viele Ladendiebe abschreckt, da sie „in flagranti“ erwischt werden, ohne dass ein Polizist oder Ladendetektiv eingreifen muss. Im Gegensatz zu herkömmlichen Überwachungskameras, deren Aufnahmen erst im Nachhinein ausgewertet werden, handelt es sich hierbei um eine interaktive Lösung, die Kunden in Echtzeit anspricht. Ihre Wirkung basiert nicht auf Bestrafung, sondern auf einem psychologischen Mechanismus, der bewirkt, dass Menschen eher dazu neigen, korrekte Handlungen vorzunehmen, wenn sie unmittelbar mit den Konsequenzen ihres Verhaltens konfrontiert werden. Einzelhandelsexperten sehen hierin eine vielversprechende Möglichkeit, den Anstieg der Diebstähle zu bremsen und gleichzeitig die Mitarbeitenden zu entlasten, da weniger Zwischenfälle manuell aufgeklärt werden müssen. Zudem verbessert die Technologie auch die Scan-Genauigkeit insgesamt, sodass Fehler und Verzögerungen an Selbstbedienungskassen abnehmen.
Die Präzision erstreckt sich sogar auf kleinere Artikel wie Kräuterpäckchen oder Batterien, deren unbeabsichtigtes Übersehen früher häufiger zu Problemen geführt hat. Durch die Visualisierung können Kunden ihren Einkaufsprozess besser nachvollziehen und gegebenenfalls selbst korrigieren. In der Gesamtbetrachtung zeigt sich, dass das VAR-ähnliche Kamerasystem nicht nur gegen Diebstahl wirkt, sondern auch den gesamten Check-out-Prozess transparenter und fairer macht. Die Einführung dieser Technologie erfolgt vor dem Hintergrund, dass der Einzelhandel in Großbritannien laut British Retail Consortium (BRC) jährlich Kosten in Höhe von über 2,2 Milliarden Pfund durch Diebstahl und damit verbundene Sicherheitsmaßnahmen entsteht. Neben dem wirtschaftlichen Schaden leiden auch die Mitarbeiter durch zunehmende Gewalt- und Missbrauchsfälle.
Die VAR-ähnlichen Kameras können hierbei ein wichtiges Werkzeug sein, um die Situation zu entschärfen, indem sie die Kunden auf eine respektvolle Art zur Rechenschaft ziehen und gleichzeitig das Personal entlasten. Während die Technologie in Großbritannien gerade erst erprobt wird, kann sie auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern als Vorbild dienen. Die Herausforderungen des technologischen Wandels im Einzelhandel und die wachsenden Sicherheitsanforderungen machen den Einsatz intelligenter Systeme immer wichtiger. Besonders bei Selbstbedienungskassen, die zunehmend genutzt werden, bietet die Integration von KI-basierter Videoüberwachung die Möglichkeit, Kosten zu senken und Diebstähle effektiv zu reduzieren. Über den rein technischen Nutzen hinaus hat die visuelle Rückmeldung eine große psychologische Wirkung.
Wenn Menschen unmittelbar sehen, wie ihr Verhalten auf einem Bildschirm abgebildet wird, erzeugt dies eine erhöhte Selbstwahrnehmung und Verantwortlichkeit. Dies gilt auch für Gelegenheitsdiebe, die ansonsten möglicherweise versucht hätten, unbeobachtet zu handeln. Indem das System Fehler sanft aufzeigt, entsteht ein positiver Umgang mit potentiellen Diebstahlsituationen ohne das Gefühl einer Vorverurteilung. Gleichzeitig wirft diese Technik Fragen zum Datenschutz und der Akzeptanz bei Kunden auf. Die Aufnahmen werden in der Regel lediglich temporär gespeichert und nur verwendet, um den Check-out Prozess zu optimieren sowie Fehlscans zu verhindern.
Wichtig ist eine transparente Kommunikation durch Händler, um die Kundschaft über Zweck und Sicherheit der Daten zu informieren und die Technik nicht als Überwachungsinstrument erscheinen zu lassen. Bei korrekter Anwendung kann dies jedoch das Vertrauen stärken und ein modernes Einkaufserlebnis schaffen. Zusätzlich bietet die Technologie die Möglichkeit, die Effizienz der Selbstbedienungskassen zu erhöhen, indem sie häufig auftretende Fehler identifiziert und so auch langfristig Optimierungspotentiale aufzeigt. Auf diese Weise profitieren Händler und Konsumenten gleichermaßen. Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass der Einsatz von KI und Echtzeitüberwachung im Einzelhandel weiter zunehmen wird.
VAR-ähnliche Kameras könnten neben ihrer Rolle bei der Diebstahlprävention auch bei der Qualitätskontrolle, der automatisch unterstützten Kundenberatung und sogar bei der Analyse von Kundenverhalten eingesetzt werden. Die Kombination aus modernster Technologie und menschlicher Psychologie wird dabei helfen, den Handel sicherer, effizienter und kundenfreundlicher zu gestalten. In einer Zeit, in der die Herausforderungen durch steigende Diebstahlszahlen und Fachkräftemangel wachsen, bieten intelligente Lösungen wie diese eine nachhaltige Möglichkeit, den Betrieb zu optimieren und die Kundenzufriedenheit zu steigern. Insgesamt stellt das System eine innovative Antwort auf die zunehmenden Probleme im Einzelhandel dar. Die Möglichkeit, Ladendiebe quasi „in flagranti“ selbst zu sehen, hat das Potenzial, das Einkaufsverhalten nachhaltig zu verändern.
Durch den behutsamen Einsatz moderner Technologien kann so ein sichereres und angenehmeres Einkaufserlebnis entstehen, das sowohl Händler als auch Kunden schützt und unterstützt.