In der Welt der wissenschaftlichen Publikationen markierte der Distill-Hiatus im Jahr 2021 einen bedeutsamen Einschnitt und regte gleichzeitig eine vielschichtige Debatte über die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens an. Distill war in den letzten fünf Jahren vor dem Hiatus bekannt für seine innovative Herangehensweise an wissenschaftliche Artikel, insbesondere durch den Einsatz interaktiver Erklärungen, anschaulicher Visualisierungen und experimenteller Kommunikationsmethoden. In einem Umfeld, das vor allem von traditionellen, oft starren Publikationserwartungen geprägt ist, stellte Distill eine Oase für kreative Autoren dar, die ihren Lesern komplexe wissenschaftliche Sachverhalte zugänglicher und lebendiger vermitteln wollten. Die Ankündigung der einjährigen Pause, die sich möglicherweise verlängern könnte, war für viele in der wissenschaftlichen Gemeinschaft überraschend und zeigte gleichzeitig die Herausforderungen auf, denen sich alternative Publikationsmodelle gegenübersehen. Der Rückzug von Distill als aktivem Journal wirft grundlegende Fragen über die Nachhaltigkeit und Effektivität traditioneller und nicht-traditioneller Veröffentlichungsformen auf.
Zu den zentralen Beweggründen für den Hiatus gehört die zunehmende Unsicherheit des Redaktionsteams darüber, ob Distill als Journal überhaupt den gewünschten Einfluss entfalten kann. Die Struktur eines wissenschaftlichen Journals bringt eine Vielzahl von organisatorischen und zeitlichen Belastungen mit sich, die insbesondere bei einem ehrenamtlich geleiteten Projekt wie Distill zu massivem Burnout führten. Diese Belastungen beeinträchtigen die Kernarbeit des Teams – die Unterstützung von Autoren bei der Herausgabe innovativer wissenschaftlicher Beiträge. Stattdessen tendiert das Team nun dazu, Autoren zu ermutigen, Distill-ähnliche Arbeiten eigenständig zu veröffentlichen, etwa über alternative Plattformen wie VISxAI oder eigene Webprojekte. Das ursprüngliche Ziel von Distill, als Brücke zwischen traditionellen und Online-Publikationen zu dienen, beruht auf der Annahme, dass nur eine formale Veröffentlichung in einem Journal solchen Arbeiten die nötige Anerkennung und institutionelle Gewichtung verschafft.
Nach vier Jahren zeigt sich jedoch, dass diese Theorie nicht im erhofften Ausmaß greift. Institutionen, die liberaler in der Bewertung dieser unkonventionellen Arbeiten sind, honorieren sie ohnehin, während konservative Einrichtungen kaum umzustimmen sind. Die Existenz eines spezialisierten Journals scheint somit nur begrenzt Einfluss darauf zu haben, wie solche Inhalte wahrgenommen werden. Vielmehr sind es der Aufwand und die seltene Kombination aus wissenschaftlicher Expertise und gestalterischem Können, die Autoren davon abhalten, solche innovativen Artikel zu schaffen. Die Stärke von Distill lag über die Jahre vor allem in der intensiven Betreuung von Autoren.
Personalintensive Unterstützung, wie das Überarbeiten von Texten, die Gestaltung von Diagrammen oder das Ausarbeiten komplexer Erklärungen, war für viele Artikel essenziell und wurde freiwillig vom Redaktionsteam geleistet. Diese Art von Mentoring ist jedoch schwer skalierbar und steht im Konflikt mit den Anforderungen eines unabhängigen Journals, da Redaktion und Autor gleichzeitig Mentoren- und Kontrollrollen übernehmen müssen. Daraus entstanden auch Spannungen bezüglich der Autorenschaft, weil Redakteure in vielen Fällen einen Beitrag leisteten, der eine Co-Autorenschaft nahelegte – ein Widerspruch zum Bedürfnis, als Journal neutral zu bleiben. Ein weiteres Dilemma ergab sich daraus, dass ein nicht unerheblicher Anteil der veröffentlichten Artikel von Mitgliedern des Redaktionsteams selbst stammte. Während solche Beiträge oft als Bereicherung und experimentelle Vorreiter galten, wurde dies gelegentlich als Interessenkonflikt wahrgenommen und von mancher Seite kritisiert.
Dennoch spiegelt dieser Umstand die besondere Leidenschaft und Expertise des Teams wider, die maßgeblich zur hohen Qualität der Veröffentlichungen beitrug. Zusätzlich erhöhte sich durch die organisatorischen Herausforderungen zunehmend das Gefühl, dass Distill in seiner jetzigen Form mehr Schaden anrichten könnte als nutzen. Die angestrebte intensive Autorenbetreuung konnte aufgrund von Burnout und Zeitknappheit nicht aufrechterhalten werden, und der lange Review-Prozess ließ Distill im Grunde zu einem herkömmlichen Journal mit wenig zeitlicher Flexibilität und Innovationsfreiraum werden. Dies steht jedoch im klaren Widerspruch zu der ursprünglichen Vision, die Distill prägte. Auch die Wirkung von Distill auf den Fachbereich ist ambivalent.
Während es vieles inspirierte und neue Standards setzte, besteht die Gefahr, dass das Fortbestehen eines vergleichsweise kleinen und besonderen Projekts andere Initiativen blockiert, die ähnliche Ideen in einem anderen Format umsetzen könnten. Aufgrund dieser reflektierten Analyse entschieden die Distill-Macher, eine einjährige Pause anzusetzen, die durchaus dauerhaft verlängert werden kann. Sie verstehen diese Auszeit als notwendig, um den Wert von Distill zu bewahren, ohne Qualität oder Autorenbetreuung signifikant zu verwässern. Die Open-Source-Verfügbarkeit der Distill-Vorlage ermöglicht es anderen, eigenständig auf den entwickelten Tools aufzubauen und neue Wege der Publikation zu beschreiten. Der Trend hin zur Selbstveröffentlichung gewinnt durch diese Entwicklung erheblich an Gewicht.
Immer mehr Forscher nutzen Plattformen wie Arxiv und Plattformen für eigene Webseiten, um ihre Arbeiten schnell, flexibel und in innovativen Formaten einem Fachpublikum zugänglich zu machen. Diese neue Art der Publikation ermöglicht nicht nur eine schnellere Verbreitung von Forschungsergebnissen, sondern auch eine engere Verbindung zwischen Forschern, die ihre Arbeiten direkt austauschen und diskutieren können. Gleichzeitig wirft der Rückzug von Distill wichtige Fragen bezüglich des Peer-Review-Prozesses und seiner Effizienz auf. Traditionelle Begutachtungsmethoden spielen eine wesentliche Rolle in der Qualitätssicherung wissenschaftlicher Veröffentlichungen, weisen aber auch Schwächen und hohe Kosten auf. Ein stärker fokussierter, selektiver Review, der vor allem kontroverse oder publikumsträchtige Arbeiten prüft, könnte effektiver sein als ein flächendeckender Standardprozess bei jeder Veröffentlichung.
Für Nachwuchsforscher ist die Nachfrage von Feedback und Mentoring wichtig, doch die gegenwärtige Struktur erweist sich oft als wenig hilfreich oder überwältigend. Alternativmodelle jenseits klassischer Journale bieten Chancen für mehr Transparenz, Geschwindigkeit und neue Formen der Zusammenarbeit, ohne dabei die wissenschaftliche Qualität aus den Augen zu verlieren. Abschließend zeigt der Distill-Hiatus exemplarisch auf, wie sich das wissenschaftliche Publizieren im digitalen Zeitalter wandelt. Er unterstreicht die Herausforderungen, denen sich Innovationen im Spannungsfeld zwischen etablierten Strukturen und neuen Möglichkeiten stellen müssen. Die Erfahrungen von Distill können vielen Projekten als wertvolle Lektion dienen – im Hinblick auf die Balance zwischen redaktioneller Betreuung und Nachhaltigkeit, die Verbindung von Wissenschaft und Design sowie die Rolle von Gemeinschaft und offenen Plattformen.
Während Distill als Organismus pausiert, lebt sein Geist in der Community und den offenen Werkzeugen weiter, die es hinterlässt. Dieser Wandel lädt Forschende und Institutionen gleichermaßen dazu ein, die Zukunft der Wissenschaftskommunikation neu zu denken und mutig neue Wege zu erschließen.