All We Ever Wanted (2024): Ein Blick auf die Turbulenzen der Freundschaft im heißen Sand von Fuerteventura „All We Ever Wanted“ – ein Titel, der vielversprechend klingt und die Erwartungen an einen Film weckt, der die menschliche Verstrickung, die Komplexität von Beziehungen und die Suche nach Identität thematisiert. Frédéric Jaeger, ein aufstrebender Regisseur und Drehbuchautor, präsentiert sein Langfilmdebüt, das als Abschlussfilm an der Universität der Künste Berlin entstand. Der Film nimmt uns mit auf eine Reise, die in der vulkanischen Wüste von Fuerteventura spielt, und entfaltet sich als eine fesselnde Mischung aus Drama und tiefgründiger Charakterstudie. Die Geschichte fokussiert sich auf die jungen Erwachsenen Desirée, Elias und Sal, die auf den ersten Blick als ungleiches Trio erscheinen. Desirée ist eine lebenslustige, hedonistische Frau, die in den Tag hineinlebt und das Leben in vollen Zügen genießen möchte.
Ihre Urlaubsreise zu einem der beliebtesten Reiseziele gehört für sie zum Lebensstil – immer auf der Suche nach neuen Abenteuern, aber nicht unbedingt nach tiefen zwischenmenschlichen Verbindungen. Ihr Lover Elias hingegen wird als penibel und übermäßig vorsichtig dargestellt, der in einem ständigen Kampf um Kontrolle und Sicherheit steckt, während Sal, der innere Beobachter, mit seiner stillen, doch intensiven Präsenz den Rahmen der Dynamik dieser ungewöhnlichen Beziehung bildet. Die Handlung nimmt eine dramatische Wendung, als Desirées Mutter beschließt, das Budget für den bereits gebuchten Urlaub zu sperren. Damit bricht sie nicht nur den finanziellen Rückhalt, sondern auch das psychologische Gleichgewicht der Drei. Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind unfassbar: Die drei Freunde sind plötzlich auf sich allein gestellt und müssen sich in einer unerbittlichen Wüstenlandschaft behaupten.
Die Flucht in die Freiheit verwandelt sich schnell in ein Überlebensspiel, bei dem die Protagonisten nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Beziehungen zueinander neu verstehen und definieren müssen. Die Verknüpfung von Freiheit und Isolation bildet den zentralen Konflikt im Film. Es stellt sich die Frage, ob wahre Freiheit nur durch das Fehlen von materiellen Gütern möglich ist – eine Fragestellung, die zunehmend an Schärfe gewinnt, als finanzielle Sorgen und das Streben nach emotionaler Erfüllung aufeinandertreffen. Sal wird zum Katalysator für die sich entwickelnden Beziehungen. Er ist nicht nur der stille Beobachter, sondern entwickelt durch seine Anwesenheit und Zurückhaltung eine fast schon gemäße Rolle – seine Beobachtungen werden zu Spiegeln, in denen die anderen Figuren ihre wahren Wünsche und Ängste erkennen.
Jaegers Regie führt die Zuschauer virtuos durch eine emotionale Achterbahn. Statt sich auf actionreiche Szenen zu stützen, legt der Film Wert auf subtile Dialoge und beeindruckende Landschaften, die die innere geistliche und emotionale Reise der Charaktere widerspiegeln. Die vulkanische Wüste wird zum Schauplatz der inneren Kämpfe und ein Ort für tiefgründige Reflexionen. Jede Sanddüne und jeder Windstoß scheinen die Last der Unsicherheiten und Ängste der Protagonisten aufzusaugen, während sie versuchen, ihre verschlungenen Beziehungen zu entwirren. Als sie in ihrem Zelt übernachten und die Nacht unter dem Sternenhimmel verbringen, kommen die Charaktere sich näher.
Die Nacht wird zum Ort der Enthüllungen, der Vertraulichkeit und der Konfrontationen. Elias, der bisher als der Kontrolleur dargestellt wurde, beginnt, sich zu öffnen und zeigt, dass auch er unter den gesellschaftlichen Erwartungen leidet. Sal, anfangs der stille Beobachter, nimmt aktiv an den Gesprächen teil und eröffnet Diskussionen über Privilegien, Identität und die eigene Rolle in der Gesellschaft. Desirée hingegen ist auf der Suche nach ihrem eigenen Platz zwischen den beiden Männern und ringt mit der Balance zwischen Sehnsucht und erdrückenden Erwartungen. Ein Thema, das in „All We Ever Wanted“ durch alle Fäden der Handlung gewebt wird, ist der Einfluss von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen auf persönliche Beziehungen.
Besonders bezeichnend ist eine Szene, in der Desirées Mutter den Kontakt zu einem weißen Mann verbietet. Diese Momente sind nicht nur bedeutend für die Charakterentwicklung, sondern werfen auch Fragen auf über Rassismus, Macht und Kontrolle in zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Film nutzt diese Konflikte, um eine Diskussion zu initiieren über die Komplexität und die intricaten Dynamiken von Freundschaft und Liebe. Die Musik von Nicolas Fehr und Oskar Mayböck untermalt die Stimmung des Films perfekt. Sie unterstreicht die emotionalen Höhepunkte und lässt die Zuschauer tiefer in die Gedankenwelt der Charaktere eintauchen.
Zusammen mit einer einfühlsamen Kameraarbeit von Maximilian Andereya, die die Weite der Wüste und die Intimität der Charaktere einfängt, entsteht ein visueller Genuss, der sowohl die Schönheit als auch die Zerbrechlichkeit der Lebenssituationen der Protagonisten reflektiert. „All We Ever Wanted“ ist eine gelungene Untersuchung der jugendlichen Suche nach Identität und den Herausforderungen, die damit einhergehen. Es ist ein Film, der das Publikum nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt über die Art und Weise, wie wir Beziehungen leben und definieren. In einer Welt, die oft durch materielle Güter und gesellschaftliche Normen geprägt ist, stellt Jaeger die Grundsatzfrage: Was wollen wir wirklich und wie viel sind wir bereit, dafür zu opfern? Die Besucher des Filmfestes München hatten die Möglichkeit, diesen bewegenden Film zu erleben, der, trotz seiner Herausforderungen, einen Lichtstrahl der Hoffnung und der Freundschaft bietet. In diesem fesselnden Drama wird klar, dass das, was wir uns wünschen, oft mehr mit den Beziehungen zu den Menschen um uns herum zu tun hat als mit materiellen Dingen.
„All We Ever Wanted“ ist ein Film, der uns daran erinnert, dass die Suche nach Freiheit und Identität niemals eine einsame Reise ist. Diese Entdeckung macht Jaegers Werk nicht nur zeitgemäß, sondern auch universell, und lässt uns mit einem Gefühl der Verbundenheit und des Verständnisses zurück.