Die Entwicklung der Arbeitswelt in den letzten hundert Jahren hat viele Überraschungen bereitgehalten, doch eine der tiefgreifendsten und zugleich beunruhigendsten Erkenntnisse ist das Aufkommen sogenannter „Bullshit Jobs“ – Arbeitsplätze, die von den Beschäftigten selbst als sinnlos und überflüssig empfunden werden. Der Begriff wurde maßgeblich von dem Anthropologen David Graeber geprägt und beschreibt eine soziale Realität, die trotz aller technologischen Fortschritte vielen Menschen das Gefühl gibt, unnötige Tätigkeiten zu verrichten. Diese Situation hat nicht nur Auswirkungen auf die individuelle Lebensqualität, sondern auch auf die moralische und gesellschaftliche Gesamtlage.Bereits im Jahr 1930 machte der Ökonom John Maynard Keynes eine kühne Prognose: Aufgrund des technischen Fortschritts würde es bis zum Ende des Jahrhunderts zu einer drastischen Verkürzung der Arbeitszeit kommen, sodass eine 15-Stunden-Woche für viele Arbeitnehmer realistisch wäre. Technisch betrachtet hat sich die Welt tatsächlich so entwickelt, dass viele Routineaufgaben automatisiert wurden und Produktivität enorm gestiegen ist.
Doch entgegen der Erwartung erleben wir heute oftmals eine gegenteilige Realität: Anstatt weniger zu arbeiten, streben viele Menschen weiterhin oder sogar noch mehr Arbeit an, und zwar in Jobs, die häufig als überflüssig wahrgenommen werden. Die Ursache für dieses Paradox liegt in der Verschiebung der Arbeitsstruktur. Während traditionelle Berufe in Landwirtschaft, Industrie oder als Hausangestellte stark zurückgegangen sind, ist ein enormer Zuwachs an Beschäftigten in den Bereichen Verwaltung, Management, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Personalwesen und weiteren Verwaltungssektoren festzustellen. Diese Tätigkeiten tragen nur selten direkt zur Herstellung oder Verteilung von materiellen Gütern bei, sondern umfassen oftmals Bürokratie und Verwaltung, die manchem als entbehrlich erscheint. So entstanden nicht nur neue Industrien wie Finanzdienstleistungen und Telemarketing, sondern auch umfangreiche administrative Zweige, die den Alltag der sogenannten produktiven Arbeitnehmer begleiten und manchmal sogar behindern.
Das erschreckende daran ist, dass viele der Betroffenen selbst ein tiefes Bewusstsein dafür haben, dass ihre Arbeit wenig gesellschaftlichen Mehrwert schafft. Interviews und Umfragen zeigen immer wieder, dass etwa Unternehmensjuristen, PR-Berater oder Verwaltungsmitarbeiter häufig selbst ihre Tätigkeit als sinnlos einschätzen. Dieses Gefühl führt zu einer inneren Entfremdung von der Arbeit, die sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken kann. Es erzeugt eine Mischung aus Frustration, Wut und Resignation, ein Gefühl der Vergeblichkeit, das von der Gesellschaft jedoch weitgehend ignoriert wird.Die Gründe, warum solche Arbeitsplätze entstanden sind und weiterhin bestehen, sind komplex und scheinen nicht allein durch ökonomische Notwendigkeiten erklärbar.
Im Sozialismus etwa war es üblich, Arbeitsplätze als gesellschaftliche Pflicht zu schaffen, auch wenn sie keinen wirtschaftlichen Nutzen hatten. Im Kapitalismus aber, so würde man erwarten, müssten Unternehmen auf Effizienz setzen und überflüssige Stellen abbauen. Doch trotz technologischem Fortschritt expandiert der administrative Sektor weiter. Eine plausibelere Antwort liegt im politischen und moralischen System unserer Gesellschaft begründet.Es scheint eine bewusste oder unbewusste Übereinkunft der herrschenden Klasse zu geben, die Bevölkerung mit Arbeit zu beschäftigen, nicht primär um den wirtschaftlichen Fortschritt voranzutreiben, sondern um gesellschaftliche Kontrolle zu bewahren.
Eine Gesellschaft, in der viele Menschen frei über ihre Zeit verfügen, könnte zu Unruhe und politischen Umbrüchen führen, ähnlich wie dies in den 1960er Jahren beobachtet wurde. Arbeit wird daher als moralischer Wert hochgehalten – wer keiner regulären Beschäftigung nachgeht, gilt schnell als moralisch verwerflich oder faul. Diese gesellschaftliche Haltung legitimiert und stabilisiert die Existenz selbst unnötiger Jobs.Das hat tiefe psychologische Konsequenzen. Menschen, die wissen, dass sie eigentlich nichts Wichtiges tun, entwickeln meist ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Tätigkeit.
Sie fürchten einerseits die eigene Überflüssigkeit, suchen sich andererseits Verbündete in der eigenen Gruppe, um gegen andere angrenzende Arbeitsbereiche Neid und Konkurrenz auszuleben. Diese Dynamik erinnert an Graebers bildliche Beschreibung von Menschen, die statt ihrer eigentlichen Fähigkeiten sinnlose Aufgaben ausführen, wie ein hervorragend ausgebildeter Schreiner, der in einer Fischpfanne arbeiten muss, obwohl das Frittieren kaum jemand braucht. Obwohl der Fisch gar nicht gebraucht wird, kümmern sie sich mit Bitterkeit darum, damit niemand anderes zu viel davon erledigt, was zu einem endlosen, ineffektiven Aktionismus führt. Dieses Bild lässt sich als Metapher für die vielen unnötigen administrativen Abläufe in modernen Unternehmen und Verwaltungen verstehen.Auch die gesellschaftliche Wahrnehmung der einzelnen Berufe offenbart eine paradoxe Situation.
Diejenigen, die direkten Nutzen für andere Menschen stiften – etwa Pfleger, Müllmänner, Lehrer oder Handwerker – werden oft schlechter entlohnt oder gesellschaftlich weniger wertgeschätzt, als viele in der Verwaltung oder im Finanzsektor Beschäftigte. Die wahre Notwendigkeit der Arbeit wird vielmals ignoriert oder gar abgewertet, während teuer bezahlte Manager und Lobbyisten eine Machtposition genießen, die auf kaum nachvollziehbaren Wertbeiträgen beruht. Diese Ungleichheit fördert soziale Spannungen und Missverständnisse, verstärkt jedoch gleichzeitig die Aufrechterhaltung einer Arbeitswelt, in der sinnlose Jobs scheinbar unvermeidbar sind.Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie eine Gesellschaft künftig mit diesem Phänomen umgehen kann. Der technologische Fortschritt bietet das Potenzial, Menschen von Routinearbeiten zu befreien und mehr Freizeit für persönliche und kreative Entfaltung zu ermöglichen.
Doch dies wird nur möglich sein, wenn grundlegende gesellschaftliche, ökonomische und politische Veränderungen stattfinden. Ein neues Verständnis von Arbeit, das nicht nur auf Effizienz und Produktivität, sondern auf Sinnhaftigkeit und Lebensqualität achtet, müsste entwickelt werden. Dazu gehört auch eine kritische Reflexion der bisherigen Moralvorstellungen über Arbeit und Wert sowie der Umgang mit sozialer Ungleichheit.Die Debatte um Bullshit Jobs wirft somit grundsätzliche Fragen auf: Welche Rollen sollen Arbeit und Beschäftigung im Leben des Einzelnen und der Gesellschaft spielen? Wie kann es gelingen, Arbeit so zu gestalten, dass sie nicht nur wirtschaftlichen Zielen dient, sondern auch psychologischen Bedürfnissen und gesellschaftlichem Zusammenhalt? Und welche Bedeutung hat der Begriff der „Notwendigkeit“ heute in einer Welt, die technologisch allmählich das Potenzial besitzt, den Zwang zur Jahrzehnte langen Erwerbsarbeit in Frage zu stellen?Das Phänomen der sinnlosen Jobs ist mehr als nur eine wirtschaftliche oder individuelle Herausforderung. Es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft – ihrer Werte, ihrer Ungleichheiten und ihrer Zukunftsfähigkeit.
Wer sich mit der modernen Arbeitswelt auseinandersetzt, muss diese Dimensionen verstehen und hinterfragen, um Wege in eine erfüllendere und menschlichere Arbeitsrealität zu finden. Eine Arbeitswelt, die trotz oder gerade wegen technologischer Möglichkeiten nicht nur ausgefüllte Arbeitsstunden zählt, sondern Lebenssinn und soziale Gerechtigkeit fördert, könnte einen wichtigen Schritt in diese Richtung bedeuten.