Die Anforderungen an persönliche Schutzausrüstung (PSA) steigen stetig, insbesondere in Bereichen, in denen das Risiko von Kopfverletzungen durch ballistische Einwirkungen oder stumpfe Traumata hoch ist. Ob in Kontaktsportarten, industriellen Arbeitsumgebungen oder militärischen Einsätzen: Ein effektiver Schutz muss nicht nur robust sein, sondern ebenso leicht, flexibel und komfortabel. Traditionelle Materialien stoßen bei der Balance zwischen Schutzwirkung und Tragekomfort oft an Grenzen. In diesem Kontext gewinnen neuartige Verbundwerkstoffe erheblich an Bedeutung, wie beispielsweise eine Kombination aus Aerogel und Stärke, die kürzlich in ballistischen Tests untersucht wurde.Aerogele gehören zu den faszinierendsten Materialien der modernen Werkstoffforschung.
Sie zeichnen sich durch ihre außergewöhnlich geringe Dichte und hohe Porosität aus. Mit einer Struktur, die zu über 90 Prozent aus Luft besteht, sind Aerogele ultraleicht und dennoch fähig, Energie aufzunehmen. Allerdings sind sie von Natur aus spröde und können bei dynamischen Krafteinwirkungen, wie einem Aufprall, leicht beschädigt werden. Dies begrenzt ihre direkte Anwendung als alleinige Schutzmaterialien im Bereich der ballistischen Schutzausrüstung.Parallel dazu sind sogenannte Scherverdickungsflüssigkeiten, insbesondere Stärke-basierte Varianten wie Oobleck, in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus gerückt.
Diese nicht-newtonschen Flüssigkeiten verändern unter mechanischer Belastung ihre Viskosität dramatisch. Unter normaler Beanspruchung verhalten sie sich flüssig und beweglich, bei plötzlicher Krafteinwirkung verdicken sie blitzschnell und werden nahezu fest. Diese Eigenschaft verleiht ihnen ausgezeichnete stoßdämpfende Fähigkeiten, was für Schutzkleidung im Bereich der ballistischen und stoßartigen Belastungen äußerst attraktiv ist.Die Kombination eines Aerogels mit einer Stärke-basierten Scherverdickungsflüssigkeit verfolgt den Ansatz, die Schwächen beider Materialien zu kompensieren. Indem ein aerogelförmiges Material mit einer gebackenen Stärke-Mischung imprägniert wird, entsteht ein Verbund, der sowohl die Leichtigkeit und Struktur von Aerogelen als auch die dynamische Belastungsaufnahme der Scherverdickungsflüssigkeit nutzt.
Das Backen der Stärke bewirkt eine Vernetzung der Moleküle, was die Haftung und strukturelle Integrität des Verbunds verbessert und somit die Schutzmechanismen bei ballistischen oder stoßartigen Einwirkungen optimiert.Die Testmethoden für solche neuartigen Verbundwerkstoffe sind entscheidend, um ihre tatsächliche Schutzwirkung unter praxisnahen Bedingungen beurteilen zu können. In diesem Fall wurde ein Ballistikpendel verwendet, das eine Kopfphantom-Konstruktion simuliert. Durch den gezielten Abschuss von Tennisbällen mittels eines Federmechanismus und einer gasbetriebenen Kanone auf die Proben konnte die Wirkung der Materialien auf die Bewegung bzw. Abprallhöhe des Pendels gemessen werden.
Diese Abprallhöhe ist ein Indikator für die aufgenommene und durchgelassene kinetische Energie, somit ein Maß für die Schutzwirkung des Materials. Weiterhin kamen zwei elektromagnetisch betriebene Beschleuniger, sogenannte Coilguns, zum Einsatz, die gezielt metallische Projektile mit definierter Masse und Geschwindigkeit auf die Proben abfeuerten, um die Durchschlagsfestigkeit zu prüfen.Die Ergebnisse dieser Tests zeigten deutlich die Vorteile der Aerogel/Stärke-Verbundmaterialien gegenüber reinem Aerogel. Ohne zusätzlichen Schutzhelm registrierte der gebackene Verbund bei den Pistolen-basierten Tests nur knapp ein Drittel der Auslenkungshöhe einer vergleichbaren Probe mit reinem Aerogel. Das bedeutet, dass der Verbund die Aufprallenergie wesentlich besser absorbieren und verteilen kann.
Zudem wurden empfindliche Hygroelektrik-Sensoren, die zwischen den Materialschichten angebracht waren, bei Projektilbeschuss durch die Coilguns ausschließlich in der reinen Aerogel-Probe beschädigt, während sie im gebackenen Verbund funktionstüchtig blieben. Dies unterstreicht die höhere Durchschlagsresistenz des neuen Verbunds.Solche Erkenntnisse sind besonders relevant für die Weiterentwicklung von Schutzausrüstung. Im Sport können Leichtbauhelme mit verbesserten Dämpfungseigenschaften Verletzungsrisiken, insbesondere von Gehirnerschütterungen, signifikant reduzieren. In industriellen Umgebungen könnte eine derartige Materialkombination für Schutzhelme oder Körperschutz genutzt werden, um Sicherheit bei gleichzeitig erhöhter Bewegungsfreiheit zu gewährleisten.
Selbst im militärischen Bereich eröffnet die Kombination aus geringem Gewicht und hoher Schutzwirkung neue Möglichkeiten für Personal- oder Fahrzeugschutzsysteme.Ein bedeutender Vorteil der hier verwendeten Stärke als Komponente liegt in den geringen Kosten und der Verfügbarkeit. Im Vergleich zu synthetisch hergestellten oder hoch spezialisierten Scherverdickungsfluiden senkt ein auf Stärke basierender Verbund die Produktionskosten und begünstigt eine großtechnische Herstellung. Kombiniert mit handelsüblichem Aerogel ist so eine praktikable und skalierbare Lösung für diverse Anwendungen denkbar.Jedoch bestehen auch Herausforderungen und Potenziale zur weiteren Optimierung.
Die hohe Variabilität bei der Bewegung des Ballistikpendels, bedingt durch unkontrollierte Rotationen und unterschiedliche Beschleunigungskräfte, erschwert die exakte Quantifizierung der Schutzwirkung. Verbesserte Versuchsaufbauten mit fixierten Projektillanfertigungen und präzisen Startmechanismen könnten diese Schwankungen in Zukunft reduzieren. Ebenso ist eine weitergehende materialwissenschaftliche Untersuchung notwendig, um das Zusammenspiel von Stärke und Aerogel auf mikroskopischer Ebene optimal auszunutzen, etwa durch Anpassung der Backtemperaturen oder Modifikation des Stärkezusatzes.Ein weiterer Bereich für zukünftige Forschung ist die Einbeziehung anderer Scherverdickungsmittel, wie Silikapartikel, die in Kombination mit Polyethylenglykol verbesserte rheologische Eigenschaften zeigen könnten. Diese könnten die Ballistikperformance weiter steigern und die Flexibilität der Schutzausrüstung erhöhen.
Außerdem sind arbeitsplatz- und sportartspezifische Tests angebracht, um Materialvarianten passgenau an jeweilige Belastungen und Einsatzbedingungen anzupassen.Darüber hinaus eignet sich die aerogelbasierte Struktur ausgezeichnet für die Integration funktionaler Zusatzsysteme. Die hygroskopischen Eigenschaften der Aerogele ermöglichen in Kombination mit den eingebetteten Hygroelektrik-Sensoren Potentiale für Selbstenergieversorgung oder Umgebungsüberwachung in vernetzter Sicherheitsausrüstung. Dies könnte insbesondere in der Verteidigung oder im Hochleistungssport einen Mehrwert bieten, indem Daten zu Belastungen und Aufprallereignissen in Echtzeit bereitgestellt werden.Zusammenfassend besticht der Aerogel/Stärke-Verbund durch eine vielversprechende Synthese von Leichtbau und dynamischer Belastungsabsorption, was den Weg für neue Generationen persönlicher Schutzausrüstung weist.
Die vorliegenden ballistischen Tests bestätigen die Wirksamkeit des Materials unter realistischen Bedingungen und belegen eine deutliche Steigerung gegenüber basalen Schutzmaterialien. Die Weiterentwicklung und Erprobung im praktischen Einsatz wird zeigen, wie diese Innovation einen Beitrag zur Reduktion von Kopfverletzungen leisten kann, ohne Komfort oder Beweglichkeit auszubremsen. Angesichts der stetig wachsenden Bedeutung von Schutz in Sport, Arbeitswelt und Verteidigung ist dieser Forschungsansatz besonders relevant und wegweisend für die nächste Generation sicherheitsfördernder Materialien und Ausrüstungen.