Die Legalisierung von Cannabis in vielen Teilen der Welt hat zu einem deutlichen Anstieg des Konsums von Cannabisprodukten geführt. Neben dem klassischen Rauchen von Marihuana erfreuen sich THC-Edibles, also mit Tetrahydrocannabinol angereicherte essbare Produkte, immer größerer Beliebtheit. Diese Entwicklung wirft vielfache Fragen zur langfristigen Gesundheit auf, insbesondere zur Gefäßgesundheit und den möglichen Auswirkungen auf das Endothel, die innere Zellschicht der Blutgefäße. Das Endothel spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der Gefäßfunktion, reguliert den Blutdruck, die Durchblutung sowie die Blutgerinnung und spielt eine wesentliche Rolle bei Entzündungsprozessen. Eine gestörte Endothelfunktion, auch als endotheliale Dysfunktion bezeichnet, gilt als früher Marker für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Arteriosklerose, Bluthochdruck und Thrombosen.
Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2025 untersuchte erstmals gezielt die Auswirkungen des chronischen Konsums von Marihuana, sowohl geraucht als auch in Form von THC-Edibles, auf die endothelialen Funktionen gesunder Erwachsener zwischen 18 und 50 Jahren. Dabei wurden drei Gruppen miteinander verglichen: Personen, die regelmäßig Marihuana rauchen, solche, die THC-Edibles konsumieren, sowie eine Kontrollgruppe ohne Cannabis-Konsum und ohne Tabakrauchbelastung. Als Hauptmessgröße für die Gefäßfunktion wurde die Flussvermittelte Dilatation (Flow-Mediated Dilation, FMD) der Arterien herangezogen, ein etabliertes Verfahren, das die Fähigkeit der Blutgefäße misst, bei vermehrtem Blutfluss zu erweitern. Darüber hinaus wurde die Produktion von Stickstoffmonoxid (NO) in endothelialen Zellen, ein wichtiger Botenstoff für Gefäßerweiterung und Gefäßschutz, anhand von hummelumblischen Venenzellen untersucht, die mit Serum der Studienteilnehmer behandelt wurden. Die Ergebnisse zeigten, dass sowohl chronische Marihuana-Raucher als auch THC-Edible-Konsumenten signifikant niedrigere FMD-Werte aufwiesen als Nicht-Konsumenten.
Dies bedeutet, dass die Gefäße bei beiden Konsumentengruppen weniger flexibel waren, was auf eine beeinträchtigte endothelialle Funktion hinweist. Besonders auffällig war, dass die Abnahme der FMD-Werte bei THC-Edible-Nutzern sogar tendenziell stärker ausgeprägt war als bei Rauchern. Interessanterweise reduzierten nur die Serumproben von Marihuana-Rauchern die Stickstoffmonoxid-Produktion in den kultivierten endothelialen Zellen, während die Proben der THC-Edible-Gruppe dies nicht taten. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Mechanismen, durch die gerauchtes Cannabis und THC-Edibles die Endothelfunktion beeinträchtigen, unterschiedlich sein könnten. Während Tabak oder Rauchprodukte bekannt sind, toxische Substanzen enthalten, die direkt auf das Gefäßsystem einwirken, scheint beim Verzehr von THC-haltigen Lebensmitteln eine andere pathophysiologische Route zugrunde zu liegen.
Die Studie stellte zudem fest, dass die Häufigkeit des Konsums und die Menge an konsumiertem THC negativ mit der endothelialen Funktion korrelierten. Je häufiger und intensiver jemand Cannabis konsumierte, desto stärker war die Gefäßfunktion eingeschränkt. Diese Dose-Wirkungs-Beziehung unterstreicht die Bedeutung der Konsummenge als entscheidenden Risikofaktor. Diese Erkenntnisse werden durch die wachsende Nutzung von Cannabis insbesondere unter gesunden jungen Erwachsenen sowie zunehmend auch älteren Bevölkerungsgruppen bedeutsam. Es zeichnet sich ein Paradoxon ab: Während umfassende öffentliche Gesundheitsinitiativen weltweit traditionelle Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, etwa das Rauchen von Tabak, Bluthochdruck oder hohe Cholesterinwerte, reduzieren, könnte die zunehmende Verbreitung von Cannabis als neuem und bisher wenig beachteten Risikofaktor zu einer unerwarteten Zunahme vaskulärer Erkrankungen führen.
Die Risiken sind besonders kritisch bei älteren Menschen, die häufig Cannabis zur Behandlung chronischer Schmerzen, Schlaflosigkeit oder Angstzustände nutzen. Zwar wird Cannabis oft als harmlos oder sogar therapeutisch eingestuft, die Evidenz bezüglich negativer Wirkungen auf das Gefäßsystem zeigt jedoch, dass diese Substanz keineswegs bedenkenlos eingesetzt werden kann. Die endothelialle Dysfunktion durch Cannabis-Konsum ist auch deshalb bedenklich, weil sie als Vorläufer vieler schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse gilt. Eine geschädigte Endothelfunktion fördert Entzündungen, Gefäßverengungen und die Bildung von Plaques – Prozesse, die letztlich zu Herzinfarkten, Schlaganfällen und anderen Gefäßkomplikationen führen können. Aus medizinischer Sicht ist es daher erforderlich, den Cannabiskonsum in Risikobewertungen stärker zu berücksichtigen und Patienten umfassend über mögliche Gefahren aufzuklären.
Forschung und klinische Praxis sollten die unterschiedlichen Auswirkungen von Rauchen und oraler Einnahme von THC-Produkten auf das Herz-Kreislauf-System differenzierter untersuchen. Zukünftige Studien können zudem die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen der durch THC verursachten endothelialen Dysfunktion weiter aufklären. Dabei gilt es, nicht nur akute, sondern vor allem langfristige Effekte des regelmäßigen Konsums zu erfassen, um klare Handlungsempfehlungen für die öffentliche Gesundheit abzuleiten. Zur Prävention vaskulärer Schäden ist neben der Minderung klassischer Risikofaktoren auch ein bewusster Umgang mit Cannabisprodukten essenziell. Die Sensibilisierung der Nutzer, dass auch vermeintlich harmlose THC-Edibles endothelialen Stress verursachen können, ist ein wichtiger Schritt.