Die Energiewende in Europa steht an einem kritischen Wendepunkt. Während der Anteil erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarenergie stetig wächst und das Bewusstsein für den Klimawandel weiter zunimmt, gerät der Ausbau der elektrischen Netzinfrastruktur zunehmend ins Hintertreffen. Ein aktueller Bericht von Beyond Fossil Fuels, E3G, Ember und dem Institute for Energy Economics and Financial Analysis zeigt deutlich auf, dass die veraltete Netzplanung in Europa den notwendigen Umstieg auf eine nachhaltige Energieversorgung erheblich verzögert. Die Herausforderungen sind vielschichtig und betreffen sowohl die Planung als auch die Umsetzung sowie die Governance der Stromnetze in den einzelnen Mitgliedstaaten. Europäische Länder sind bestrebt, ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren, insbesondere angesichts der politischen und wirtschaftlichen Implikationen der Energiekrise infolge geopolitischer Spannungen.
Dennoch sehen sich viele Staaten mit Strukturen konfrontiert, die auf vergangenen politischen Zielsetzungen basieren und den aktuellen Anforderungen einer dynamischen und zunehmend dezentralen Energielandschaft nicht gerecht werden. Die Stromnetze in Europa fungieren als Rückgrat für den Energiefluss und ermöglichen es, erneuerbare Energiequellen effizient in das bestehende System zu integrieren. Ohne eine moderne und flexible Netzinfrastruktur kann die Produktion aus Wind- und Solarparks jedoch nicht optimal genutzt werden. Das führt nicht nur zu Verzögerungen bei der Anbindung neuer Projekte, sondern auch zu erheblichen Energieverlusten und Curtailments – also dem absichtlichen Abregeln von erzeugtem Strom, wenn das Netz diesen nicht aufnehmen kann. Die Studie zeigt alarmierende Zahlen: Rund 1.
700 Gigawatt (GW) an Projekten für erneuerbare Energien in 16 europäischen Ländern sind derzeit durch langwierige und ineffiziente Netzanschlussverfahren aufgehalten. Gleichzeitig wurde in sieben Ländern im Jahr 2024 Strom im Wert von circa 7,2 Milliarden Euro gedrosselt. Diese summen sich nicht nur zu wirtschaftlichen Verlusten für Investoren und Produzenten, sondern verlangsamen auch den ökologischen Fortschritt maßgeblich. Ein weiteres Problem liegt in der mangelhaften Berücksichtigung der erneuerbaren Energieentwicklung in den Netzplanungen. Von 32 Übertragungsnetzbetreibern (TSOs) in 28 Ländern erarbeiten nur wenige Szenarien, die eine vollständige Substitution von Kohle und fossilem Gas durch erneuerbare Energien bis 2035 vorsehen.
Vielerorts basieren Planungen weiterhin auf veralteten Gütekriterien und Prognosen, die mit der Realität nicht mehr Schritt halten. Damit gehen Chancen verloren, ein Stromsystem aufbauen zu können, das den Herausforderungen von Flexibilität, Energiespeicherung und dezentralen Einspeisepunkten gerecht wird. Die Kurzsichtigkeit in der Planung gefährdet zudem die Resilienz der Energieversorgung, was sich in jüngsten Vorfällen wie dem Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel zeigte. Diese Ereignisse verdeutlichen, dass Netzmodernisierungen keine rein technische Aufgabe sind, sondern auch eine effektive Governance sowie verbesserte Entscheidungsprozesse erfordern. Ein modernes Stromnetz von morgen muss weitaus mehr leisten als nur Energie transportieren.
Es braucht intelligente Steuerungssysteme, die Schwankungen im Angebot und Verbrauch abfedern und gleichzeitig die optimale Nutzung von Energiespeichern und vernetzten Erzeugungsquellen ermöglichen. Nachhaltige Lösungen erfordern zudem eine enge Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen, Netzbetreibern, Investoren und den Verbrauchern. Dabei spielt die Finanzierung eine zentrale Rolle. Nicht alle TSOs verfügen über eine solide Kreditwürdigkeit, um wichtige Investitionen zu tätigen. Von den 23 untersuchten Unternehmen haben lediglich 14 ein Investment-Grade-Rating, das eine günstigere Kapitalaufnahme erlaubt.
Einige Netzbetreiber gehen bereits neue Wege, indem sie grüne Anleihen ausgeben, welche von unabhängigen Prüfern bewertet werden, um nachhaltige Investitionen zu fördern. Dennoch ist der Druck groß, sowohl regulatorisch als auch operativ schneller und mutiger zu handeln. Die EU-weit vereinbarten Klimaziele machen eine rasche Anpassung der Stromnetze unverzichtbar. Nur so kann der ambitionierte Plan realisiert werden, russische fossile Brennstoffe zu ersetzen und die Energieversorgung auf heimische, erneuerbare Quellen umzustellen. Die politischen Entscheidungsträger sind aufgefordert, verbindlichere Rahmenbedingungen einzuführen, die den Netzbetreibern klare Vorgaben für zukünftige Investitionen und Planungen geben.
Dabei muss die Strategie das Zusammenspiel von Dekarbonisierung, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit gleichermaßen berücksichtigen. Außerdem sollten innovative Technologien und digitale Lösungen stärker in den Fokus rücken, um den Ausbau des Smart Grids voranzutreiben und Grenzen zwischen Erzeugung, Speicherung und Verbrauch effektiver zu überwinden. Die Verzögerungen bei der Netzmodernisierung wirken sich insgesamt negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas im globalen Energiesektor aus. Länder und Unternehmen, die auf erneuerbare Energien setzen, kämpfen gegen bürokratische Hürden und lange Projektentwicklungszeiten, während andere Regionen schneller ihre Infrastruktur ausbauen und von Kostenvorteilen profitieren. Die Herausforderung besteht darin, Netzpunkte so auszubauen und zu vernetzen, dass sowohl große Windparks auf See als auch potenzielle lokale Solaranlagen problemlos integriert werden können.
Gleichzeitig ist es wichtig, Bürger und Kommunen stärker in die Planungsprozesse einzubinden, um Akzeptanz zu fördern und die gesellschaftlichen Vorteile einer grünen Energiezukunft zu verdeutlichen. Der Umbau des europäischen Stromnetzes ist mehr als eine technische Herausforderung – es ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu Klimaneutralität, wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Gerechtigkeit. Nur durch zukunftsorientierte Planung, konzentrierte Investitionen und eine starke politische Führung kann Europa seine ambitionierten Energieziele erreichen und die Grundlagen für eine nachhaltige, sichere und bezahlbare Energieversorgung legen. Angesichts der Dringlichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen und die Energieabhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu überwinden, darf die Netzmodernisierung nicht länger aufgeschoben werden. Die Einführung zeitgemäßer Methoden, flexibler Planungsansätze und innovativer Technologien wird entscheidend sein, um Europas Energiesystem resilient und zukunftsfähig zu gestalten.
Es gilt jetzt, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und mit vereinten Kräften den Weg in ein erneuerbares und nachhaltiges Europa zu ebnen.