Lido hat sich in der Ethereum-Community als eine der führenden Liquid-Staking-Plattformen etabliert und kontrolliert mittlerweile rund 27 Prozent des gesamten ETH-Staking-Marktes. Das Protokoll erlaubt es Nutzerinnen und Nutzern, Ethereum zu staken und im Gegenzug stETH-Token zu erhalten. Diese Token repräsentieren gestaktes Ethereum inklusive der laufenden Belohnungen und bieten ihren Inhabern die Möglichkeit, ihre gestakten Assets in DeFi-Anwendungen einzusetzen, ohne die Liquidität zu verlieren. Trotz der Bedeutung von stETH-Haltern im Ökosystem liegt die Governance-Kontrolle bisher ausschließlich bei den LDO-Token-Inhabern. Diese Exklusivität könnte bald Geschichte sein, denn Lido hat einen Vorschlag präsentiert, der das Governance-Modell grundlegend verändert und eine duale Struktur einführt, die stETH-Besitzern mehr Einfluss verleiht.
Der neue Vorschlag, bekannt als Lido Improvement Proposal 28 (LIP-28), zielt darauf ab, den Entscheidungsprozess transparenter und demokratischer zu gestalten. Aktuell können nur LDO-Token-Halter über wichtige Protokolländerungen abstimmen, was bedeutet, dass eine relativ kleine Gruppe allein über Richtungsänderungen entscheidet, die alle Nutzer, vor allem die stETH-Halter, betreffen. Da stETH-Token hauptsächlich von Nutzern gehalten werden, die ihr Ethereum gestakt und somit direkt investiert haben, erschien es vielen Experten als sinnvoll, ihre Stimme in der Governance aufzuwerten. Genau hier setzt die vorgeschlagene Dual-Governance-Struktur an. Das Modell sieht vor, dass es künftig zwei Gruppen gibt, die bei der Entscheidung über Vorschläge mitwirken.
Zum einen bleiben die LDO-Token-Inhaber als zentrale Abstimmungsgruppe präsent, zum anderen erhalten stETH-Halter ein indirektes Vetorecht. Dieses Recht ist an bestimmte Mechanismen geknüpft, welche sicherstellen sollen, dass nur bei potenziell schädlichen oder umstrittenen Entscheidungen eingegriffen werden kann. Das Herzstück der Neuerung ist ein Timelock-Mechanismus. Er sorgt für eine zeitliche Verzögerung zwischen der Annahme eines Änderungsvorschlags und dessen tatsächlicher Umsetzung. Während dieser Phase können stETH-Inhaber ihr Token oder ihre sogenannten wstETH beziehungsweise die speziellen Withdrawal NFTs in ein Eskrow-Contract sperren.
Sobald eine bestimmte Schwelle erreicht ist, nämlich mindestens 1 Prozent des gesamten Ethereum TVL (Total Value Locked) von Lido, wird der Verzögerungsmechanismus aktiviert. Steigt das Volumen der gesperrten Token innerhalb des Eskrows auf 10 Prozent des gesamten TVL, wird die Situation als „Rage Quit“-Status definiert. In diesem Zustand kann die Umsetzung des Vorschlags nicht weiter voranschreiten, solange bis die Token wieder aus dem Eskrow entlassen und in ETH umgewandelt werden. Damit erhalten stETH-Inhaber eine echte Kontrollmöglichkeit, ohne dazu gezwungen zu sein, ihre Position im Protokoll vollständig aufzugeben, was für viele Liquid-Staking-Nutzer ein zentrales Element ihres Investments darstellt. Diese Neuerung bringt einige wichtige Vorteile mit sich.
Erstens stärkt sie die Beteiligung der eigentlichen Nutzer und stabilisiert dadurch die Governance-Struktur. Das kommt dem gesamten Ethereum-Liquid-Staking-Ökosystem zugute, denn Entscheidungen werden ausgewogener getroffen und spiegeln die Interessen einer breiteren Nutzerbasis wider. Zweitens kann der Mechanismus helfen, potenziell schädliche oder kontroverse Änderungen schneller zu erkennen und zu stoppen, bevor sie implementiert werden können. Somit erhöht sich die Sicherheit und das Vertrauen in Lido als DeFi-Protokoll. Hasu, der Strategie-Leiter bei Flashbots und anerkannter Experte im DeFi-Bereich, bezeichnete den Vorschlag als den „wichtigsten Lido-Upgrade überhaupt“.
Diese Einschätzung verdeutlicht, wie zentral die erweiterte Mitbestimmung für das weitere Wachstum und die Akzeptanz von Lido ist. Der Vorschlag reagiert auf Kritik an der bisherigen Governance, die von einigen als zu zentralisiert und wenig transparent wahrgenommen wurde. Lido selbst ermöglicht durch sein Liquid-Staking-Modell, dass Nutzer ihre Ethereum nicht nur staken, sondern mit stETH auch an den vielfältigen Möglichkeiten des DeFi-Ökosystems partizipieren können. Durch die Integration von stETH in andere Finanzanwendungen profitieren Anleger von zusätzlicher Flexibilität und Renditechancen. Dies hat wesentlich zum Wachstum von Lido beigetragen und macht den Einfluss der stETH-Halter auf das Protokoll umso wichtiger.
Die Einführung dieser Dual-Governance-Architektur könnte als Modell für weitere Protokolle in der Blockchain-Branche dienen, die vor der Herausforderung stehen, Balance zwischen Tokenomics, Nutzerbeteiligung und Sicherheit zu halten. Die Verzögerungsmechanismen und Eskrow-fähigen Token-Sperren sind innovative Instrumente, um den Interessen verschiedener Gruppen gerecht zu werden und so potenziellen Streitigkeiten innerhalb der Community vorzubeugen. Nicht zuletzt signalisiert Lido durch diesen Schritt starken Einsatz für dezentralisierte und transparente Entscheidungsprozesse. Gerade in Zeiten, in denen DeFi-Plattformen vermehrt regulatorischen und sicherheitstechnischen Prüfungen unterzogen werden, kann ein robustes Governance-System den langfristigen Erfolg und das Vertrauen von Nutzern und Investoren sichern. Insgesamt stellt das Dual-Governance-Konzept von Lido eine bedeutende Weiterentwicklung im Bereich der Blockchain-Governance dar.
Indem stETH-Halter nicht nur als passive Empfänger von Staking-Erträgen, sondern als aktive Mitgestalter anerkannt werden, wird das Protokoll widerstandsfähiger und demokratischer. Die Community darf gespannt sein, wie sich dieses System in der Praxis bewährt und wie es die Rolle von Liquid Staking im Ethereum-Ökosystem nachhaltig prägt.