Temu, der chinesische Online-Händler, der sich in den vergangenen Jahren als Anbieter besonders günstiger Produkte in den USA etabliert hat, steht vor einem erheblichen Wendepunkt. Aufgrund der neuen Zollpolitik der US-Regierung hat das Unternehmen den Direktversand aus China eingestellt und fokussiert sich nun ausschließlich auf den Versand aus US-amerikanischen Lagern. Diese strategische Anpassung steht im Zusammenhang mit der Abschaffung der sogenannten De-Minimis-Zollregel, welche bislang den zollfreien Import vieler Waren im Wert von bis zu 800 US-Dollar aus dem Ausland ermöglichte. Die Auswirkungen der neuen Regelungen sind weitreichend und betreffen nicht nur Temu, sondern die gesamte E-Commerce-Landschaft in den Vereinigten Staaten. Die De-Minimis-Zollregel hatte seit 2016 einen großen Einfluss auf den grenzüberschreitenden Online-Handel.
Sie befähigte Unternehmen und Verbraucher, Waren bis zu einem Warenwert von 800 US-Dollar zollfrei in die USA zu importieren. Diese Maßnahme hatte sich als bedeutender Wettbewerbsvorteil für internationale Händler erwiesen, besonders für Plattformen wie Temu, die günstig produzierte Waren direkt aus China an amerikanische Käufer verschickten. Besonders auffällig war die Möglichkeit, low-cost-Produkte wie Schuhe für wenige US-Dollar oder Haushaltswaren zu sehr niedrigen Preisen anzubieten. Die Zollbefreiung ermöglichte einen enormen Preisvorteil, der die Attraktivität solcher Plattformen steigerte. Mit der Änderung der Zollbestimmungen durch die Trump-Administration, die am 2.
Mai 2025 in Kraft trat, entfällt dieser Vorteil. Die De-Minimis-Regel wurde durch eine neue Verordnung ausgehebelt, welche weitreichendere Zölle auf Importe aus China vorsieht. Die offiziellen Zahlen sprechen von zusätzlichen Importgebühren zwischen 130 und 150 Prozent auf Produkte, die direkt aus China versandt werden. Diese drastische Erhöhung führt nicht nur zu stark steigenden Preisen für die Endverbraucher, sondern auch zu einer grundlegenden Verschiebung im Geschäftsmodell von Temu und ähnlichen Händlern. Nach Bekanntgabe dieser Maßnahmen hat Temu schnell reagiert und den direkten Versand aus China gestoppt.
Auf der Webseite und in der App werden mittlerweile Produkte, die zuvor aus China versandt wurden, als ausverkauft angezeigt. Stattdessen setzt Temu fortan ausschließlich auf US-basierte Lagerbestände und lokale Fulfillment-Partner. Laut einem offiziellen Sprecher des Unternehmens werden alle Verkäufe für US-Kunden nun von lokalen Händlern abgewickelt und aus dem Inland versendet. Der Vorteil für Käufer ist die Abschaffung zusätzlicher Importzölle vor der Lieferung, wodurch zumindest im Direktverkauf von US-Lagern keine versteckten Gebühren mehr entstehen. Wie Temu betont, blieben die Preise für US-Kunden trotz dieser massiven Restrukturierung „unverändert“ — ein Anspruch, der angesichts der veränderten Marktdynamik allerdings kritisch zu betrachten ist.
Die Entscheidung von Temu spiegelt größere wirtschaftliche und politische Entwicklungen wider. Die Abschaffung der De-Minimis-Regel wurde vom US-Finanzministerium und anderen Behörden als notwendig erachtet, um den heimischen Handel ausländischer Billigimporte besser zu schützen und die Zollkontrolle zu intensivieren. Kritiker der bisherigen Zollbefreiung argumentierten jahrelang, dass die Regel nicht nur amerikanische Unternehmen benachteiligt, sondern auch ein Einfallstor für illegale Waren wie Fentanyl und andere kontrollierte Substanzen darstellt, da niedrig bewertete Pakete weniger genau kontrolliert wurden. Die neue Verordnung soll diese Lücken schließen und eine gerechtere Handelsumgebung schaffen. Der unmittelbare Effekt ist eine deutliche Verteuerung vieler beliebter Importwaren aus China, was auch den Wettbewerbsdruck auf US-Unternehmen erhöht.
Plattformen wie Shein, die ähnlich auf billige Produkte aus China setzen, sind ebenfalls gezwungen, Preisanpassungen vorzunehmen und den Endkunden darauf hinzuweisen, dass Zölle in den Preisen bereits enthalten sind, um unangenehme Überraschungen bei der Lieferung zu vermeiden. Amazon, eine weitere dominante Kraft im E-Commerce, steht vor ähnlichen Herausforderungen: Ihr Geschäftsmodell im Bereich „Amazon Haul“ stützte sich stark auf diesen Zollvorteil, insbesondere bei Artikeln mit einem Wert von unter 20 US-Dollar. Auch hier werden neue Wege gesucht, um Kunden weiterhin attraktive Preise zu bieten, ohne durch Importzölle benachteiligt zu werden. Temu selbst hat in den vergangenen Monaten strategisch in den Ausbau von US-Lagern und der Zusammenarbeit mit lokalen Verkäufern investiert. Diese Anpassung zeigt das Bewusstsein des Unternehmens für die langfristigen Auswirkungen der geänderten Zollgesetzgebung.
Das neue Modell soll nicht nur zur Umgehung hoher Zollgebühren dienen, sondern auch lokalen Einzelhändlern und kleinen Unternehmen eine Wachstumschance bieten, indem deren Produkte auf der stark frequentierten Plattform gelistet werden. Die aktive Rekrutierung amerikanischer Verkäufer soll somit auch die Vielfalt der angebotenen Produkte erweitern und die lokale Wirtschaft stärken. Dennoch ist die Herausforderung für Temu und andere internationale Händler enorm. Die zuvor niedrig angesetzten Preise, die auf der De-Minimis-Bevorzugung basierten, sind kaum zu halten, wenn zusätzliche Importgebühren anfallen oder der Versand gar nicht mehr direkt in China möglich ist. Die Umstellung erfordert nicht nur eine komplexe Logistik, sondern auch Anpassungen im Marketing und der Kundenkommunikation.
Bereits im Vorfeld hatte Temu seine Preise erhöht und zusätzliche „Import Charges“ transparent auf der Plattform ausgewiesen, die zum Teil den Warenwert verdoppelten oder mehr als verdreifachten. Die Folge ist, dass viele Kunden nun zögern, günstig erscheinende Angebote weiterhin zu nutzen, wenn die Gesamtpreise deutlich anziehen. Analysten sehen in dieser Entwicklung jedoch auch eine Chance für die amerikanische Wirtschaft. Die stärkere Präsenz lokaler Händler auf Plattformen wie Temu könnte die heimische Produktion fördern und Arbeitsplätze schaffen. Gleichzeitig zwingt die neue Handelsrealität viele Unternehmen dazu, ihre Lieferketten zu überdenken und nachhaltiger zu gestalten.
Langfristig könnte sich daraus ein diversifizierterer Markt mit mehr regional gefertigten Waren ergeben, der weniger anfällig für geopolitische Spannungen und Handelsbeschränkungen ist. Die Geschichte von Temu zeigt, wie eng Globalisierung und Handelspolitik verknüpft sind. Für Verbraucher, die bislang von billigen Produkten aus China profitierten, bedeuten die neuen Regeln zunächst höhere Preise und weniger Auswahl an günstigen Importwaren. Für Händler entstehen neue Herausforderungen bei der Lagerlogistik und Preisgestaltung, aber auch neue Möglichkeiten, indem sie lokale Partner einbeziehen und ihr Geschäftsmodell flexibler gestalten. Abschließend lässt sich sagen, dass das Ende der De-Minimis-Zollregel eine Zäsur im internationalen E-Commerce markiert.
Unternehmen wie Temu müssen sich anpassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, und Verbraucher müssen sich auf eine neue Preisstruktur einstellen. Die aktuellen Umstellungen sind ein Musterbeispiel für die Auswirkungen politischer Entscheidungen auf den globalen Handel und verdeutlichen, wie wichtig flexible und innovative Geschäftsstrategien in einer sich wandelnden Wirtschaftswelt sind.