Venture Capital, oder Risikokapital, ist für viele Menschen ein mysteriöses und oft missverstandenes Thema. Es wird häufig mit schnellen Gewinnen assoziiert, mit Startups, die rasend schnell wachsen, oder gleich mit dem „endlosen Wachstum“ auf Kosten der Mitarbeiter und Kunden. Doch was steckt wirklich hinter dem Begriff? Wie funktionieren Investments in Startups, und warum wird gerade in der Technologiebranche dieser Finanzierungsweg so oft genutzt? Dies alles sind Fragen, deren Beantwortung essenziell ist, um das wahre Potenzial, aber auch die Risiken des Venture Capitals zu verstehen. Ein gutes Beispiel, um einige der Mythen rund um Venture Capital zu entlarven, ist die Geschichte der Browserfirma The Browser Company und ihres Projekts Arc. Arc war ein ambitioniertes Vorhaben, den Webbrowser im Kern neu zu erfinden.
Trotz großer Begeisterung bei seinen Nutzern und interessanter Innovationen war Arc letztlich nicht in der Lage, die breite Masse zu erreichen. Die Gründe dafür sind komplex und führen direkt in die Herausforderungen, denen sich viele Startups heute gegenübersehen – insbesondere jene, die mit VC-Geld arbeiten. Oft wird fälschlicherweise angenommen, Venture Capital sei der Grund für das Scheitern von Projekten wie Arc. Doch genau das Gegenteil ist in diesem Fall zutreffend, wie Josh Miller, CEO der Browserfirma, es ausdrückt: Das Kapital gab ihnen die Chance, zu sehen, was möglich ist, und dieses Privileg bekommen die meisten Produkte niemals. Venture Capital wird nur einem sehr kleinen Bruchteil von Unternehmen angeboten.
In den USA etwa erhalten weniger als 0,1 % aller neuen Unternehmen VC-Finanzierung. Der Grund dafür ist simpel: Venture Capital ist kein Massenprodukt, sondern eine höchst risikoreiche Wette auf Unternehmen mit enormem Wachstumspotenzial, meist im Technologie- oder Biotech-Bereich. Startups, die VC aufbringen, können oft keine traditionellen Bankkredite erhalten, weil ihre Geschäftsmodelle zu unsicher oder die Produkte zu experimentell sind. Daher liegt hinter einem VC-Investment immer die Hoffnung auf ein extrem schnelles und hohes Wachstum. Das setzt viele Unternehmen unter enormen Druck.
Dieser Druck führt oft zu der Annahme, dass VC-Geld Unternehmen in blinder Gier nach Wachstum antreibt, ohne Rücksicht auf Profitabilität oder Nachhaltigkeit. Doch so einfach ist die Realität nicht. Viele Startups, die Venture Capital erhalten, schlagen letztlich fehl. Schätzungen zufolge scheitert etwa 90 % aller risikokapitalfinanzierten Unternehmen innerhalb von zehn Jahren. Warum investieren Kapitalgeber also überhaupt? Weil die wenigen Ausnahmen, die sogenannten „Unicorns“, also Startups mit einer Bewertung von über einer Milliarde Dollar, den Verlust von vielen gescheiterten Unternehmen mehr als ausgleichen und sogar enorme Renditen bringen können.
Fred Wilson, ein angesehener Investor bei Union Square Ventures, beschreibt diesen Mechanismus sehr treffend anhand seines ersten USV-Fonds aus dem Jahr 2004. Von 21 Investments waren nur etwa zwölf profitabel. Bei neun Unternehmen entstand der Totalverlust. Doch allein fünf Investments erzielten überragende Gewinne, zum Teil im 100-fachen Bereich der ursprünglichen Investition. Genau dieses Verhältnis macht den Unterschied und erklärt, warum die Erfolgsentscheidungen so sorgfältig getroffen werden müssen.
Trotz dieser Erfolgsstorys sind viele Venture-Capital-Fonds im Vergleich zum Aktienmarkt grundsätzlich risikobehaftet. Beispielsweise fiel die durchschnittliche Rendite für den Jahrgang 2017 von VC-Fonds laut Daten von Carta von 16,8 % Ende 2021 auf 12 % im Jahr 2024. In derselben Periode hat der S&P 500 Index seine Bewertung um das 2,5-fache gesteigert. Dies zeigt: Nicht alle VC-Investitionen schlagen den Markt, und die Liquidität bei Aktien ist wesentlich besser. Natürlich entsteht durch VC-Investitionen auch eine besondere Erwartungshaltung: Der Fokus liegt nicht nur auf Innovation, sondern auch auf schnellem Wachstum, oft vor Profitabilität.
Für junge Unternehmen mit radikal neuen Produkten, die zuerst hohe Entwicklungskosten verursachen und über längere Zeit kein Geld einspielen, ist der traditionelle Weg schwer gangbar. Das trifft beispielsweise auf The Browser Company zu, die viele Mitarbeiter bezahlen müssen, bevor ein relevanter Umsatz erreicht wird. Das gilt vor allem für Unternehmen, deren Produkte originell und technisch anspruchsvoll sind, die keinen klaren Markt etabliert haben und noch nicht wissen, ob das Produkt die breite Masse anspricht. Arc war genau so ein Projekt. Arc versuchte, mit einer komplett neu gestalteten Benutzeroberfläche und vielen innovativen Funktionen das Surfen im Netz neu zu denken.
Die Entwicklung basierte auf einem Chromium-Fork, aber mit radikalen Änderungen, die weder die großen Player wie Microsoft noch Brave wagten. Diese Neuartigkeit ist gleichzeitig Fluch und Segen. Die Neugier und der Enthusiasmus vieler Early Adopters waren hoch. Doch Arc war zu komplex und ungewohnt, um eine Massenakzeptanz zu gewinnen. Es ist genau dieses Dilemma, das viele Technologie-Startups erfahren: Sie haben ein Produkt, das eine durchaus treue Nutzerbasis findet, aber kein Massentauglichkeitspotenzial aufweist.
Der Versuch, beide Herausforderungen gleichzeitig zu lösen, wirkt oft wie das Schließen einer Tür, während man eine andere öffnen will. Daher entschieden sich The Browser Company, weg von Arc einen ganz neuen Weg zu gehen. Ein verbreiteter Mythos besagt, dass VC-Firmen wie Founders Fund oder bekannte Persönlichkeiten wie Peter Thiel im Hintergrund persönlich die Startups kontrollieren und Entscheidungen aufzwingen. Die Realität ist weniger glamourös. Investoren treffen Entscheidungen basierend auf Daten, Strategien und ihrem Portfolio, aber die praktische Kontrolle liegt sehr oft bei den Gründern und dem Managementteam vor Ort.
Zwar gibt es Mitspracherecht, aber persönliche Einflussnahme wie in Hollywood-Mythen hat wenig mit der Realität zu tun. Nicht alle erfolgreichen Softwareunternehmen sind abhängig von Venture Capital. Zahlreiche Firmen wie JetBrains oder Basecamp haben konsequent auf Bootstrapping gesetzt, also auf Eigenfinanzierung ohne externe Investoren. Andere Firmen konnten nach einer VC-Phase umschwenken, beispielsweise Buffer, die ihre Investoren auskauften, oder Gumroad, dessen Gründer einen unerwarteten Vorteil aus dem Verkauf seines Unternehmens an Investoren erhielt, die das Unternehmen abschrieben. Das zeigt, dass es unterschiedliche erfolgreiche Wege gibt, Unternehmen zu führen.
Ein weiterer Punkt von Bedeutung ist die kostenlose Verfügbarkeit großer Softwareangebote durch mächtige Tech-Konzerne. Browser wie Chrome oder Safari sind kostenlos, was es neuen, kostenpflichtigen Produkten wie Arc nahezu unmöglich macht, direkt durch Abonnements Einnahmen zu erzielen ohne potenzielle Nutzer zu verlieren. Das Geschäftsmodell mit kostenlosem Zugang schafft daher eine Marktdynamik, die Startups vor zusätzliche Herausforderungen stellt. Open-Source-Projekte wie Zed, die versuchen, Ideen von Arc zu kopieren, helfen ebenfalls, die Grenzen von Finanzierung und Produktqualität zu verdeutlichen. Zwar ist Open Source ein wertvolles Konzept, aber oft fehlen Ressourcen für exzellente Usability und umfassende Produktpflege, was sich in einer raueren Nutzererfahrung niederschlägt.
Zusammengefasst zeigt sich, dass Venture Capital nicht einfach der Schuldige für ein Scheitern technischer Innovationen ist, sondern oft die notwendige Bedingung, um solche Innovationen überhaupt zu ermöglichen. Der Mythos von VC als der „böse Kapitalist“, der zwangsweise Wachstum „um jeden Preis“ fordert, greift zu kurz und verkennt die reale Komplexität und Risiken, die mit radikalen Innovationen verbunden sind. Es handelt sich vielmehr um eine Art Risiko- und Chancenverteilung, bei der Investoren viele Fehlschläge einkalkulieren, um die wenigen herausragenden Erfolge zu ermöglichen. Für Gründer bedeutet dies, sich bewusst für oder gegen eine VC-Finanzierung zu entscheiden - abhängig von der Art ihres Produkts, dem Markt, der Skalierbarkeit und dem eigenen Plan für den Erfolg. Venture Capital bleibt eine von mehreren Methoden, ein Unternehmen aufzubauen, und ist für viele Startups im Hightech- oder Softwarebereich der einzige Weg, um die nötigen Ressourcen und Kapazitäten zu erhalten, bevor das Produkt finanziell unabhängig werden kann.
Für Investoren ist es ein Spiel mit hohen Einsätzen, bei dem jahrelanges Warten auf die Ausnahme der Regel notwendig ist, um signifikante Renditen zu erzielen. Die Branche wird weiterhin von spannenden Innovationen geprägt sein, und das Verständnis der Mythen hinter Venture Capital hilft, die Herausforderungen besser einzuordnen. Letztlich gilt für Gründer wie Investoren gleichermaßen, dass Mut, Ausdauer und eine realistische Einschätzung der eigenen Chancen die Basis für nachhaltigen Erfolg sind.