Die Vorstellung eines militärischen Konflikts zwischen den Vereinigten Staaten und China setzt viele Experten und Strategen seit Jahren unter Spannung. Wie würde ein solcher Krieg in der Realität aussehen, wenn er denn jemals ausbrechen sollte? Ein neues Brettspiel namens „Littoral Commander: Indo-Pacific“ nähert sich dieser Fragestellung auf innovative Weise. Entwickelt von einem ehemaligen Marine-Sergeant, simuliert das Spiel die möglichen Abläufe eines US-chinesischen Konflikts rund um das Jahr 2040 und bietet sowohl Militärfachleuten als auch der breiten Öffentlichkeit eine fesselnde Gelegenheit, moderne Kriegsführung besser zu verstehen. Die Entwicklung von „Littoral Commander“ basiert auf dem bewährten taktischen Ausbildungssimulationssystem „Fleet Marine Force“, das seit Jahren im US Marine Corps Verwendung findet. Durch die Kombination aus realitätsnaher Strategie, moderne Waffensysteme und politischen Einflussfaktoren schafft das Spiel ein spannendes Szenario, das die Komplexität eines gefährlichen geopolitischen Konflikts einfängt, ohne dabei auf reine Zukunftsvisionen oder Spekulationen zu setzen.
Ein zentrales Element in „Littoral Commander“ ist das Konzept der sogenannten „Kill Chain“, das die moderne Kriegsführung maßgeblich prägt. Es beschreibt den Prozess, in dem Feinde zunächst entdeckt, dann genau lokalisiert und identifiziert werden, um schließlich gezielt angegriffen zu werden, bevor sie selbst zuschlagen können. In der Praxis umfasst dieser Prozess das Finden, Fixieren, Verfolgen, Anvisieren, Bekämpfen und anschließende Bewerten der Lage (F2T2EA). Dieses Prinzip wird im Spiel durch eine Vielzahl von taktischen Möglichkeiten wie Drohnen, Raketenangriffe, elektronische Kriegsführung und cybergestützte Operationen nachgestellt. Das Spiel selbst besteht aus Karten, Spielfeldern und Figuren, die verschiedene militärische Einheiten darstellen, vom Marine-Infanteriezug über amphibische Kampfpanzer bis hin zu U-Booten und Zerstörern.
Diese Einheiten sind mit realistischen Werten für Feuerkraft, Reichweite und Beweglichkeit bewertet. Während des Spiels abwechselnd durchgeführte Aktionen umfassen Bewegungen, Angriffe und Nachschub, wodurch die Spieler immer wieder entscheiden müssen, wie sie ihre Kräfte optimal einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf kleinen, hochmobilen Kampfeinheiten, denn zukünftige Konflikte im indopazifischen Raum werden kaum durch massive Bodenoffensiven geprägt sein. Stattdessen wird der Kampf um strategische Inseln, Seewege und Versorgungslinien entscheidend sein. Diese strategischen Positionen beeinflussen die Kontrolle über wichtige Meeresstraßen wie die Taiwanstraße oder die Malakka-Straße, über die ein erheblicher Teil des Welthandels abgewickelt wird.
Die Spielmechanik sorgt für eine spannende Balance zwischen Tarnung und Angriff, da verdeckte Einheiten erst durch das eigene oder fremdes Aufdecken ihrer Position schutzlos werden. Dieses Spielprinzip simuliert die taktischen Herausforderungen, die militärische Führungskräfte in realen Gefechten erleben – das ständige Ringen um Informationsvorsprung und situative Kontrolle. Je nachdem, wie gut es gelingt, die gegnerische Position zu erkennen und gleichzeitig die eigene zu verbergen, können sich spielentscheidende Vorteile ergeben. Ein weiteres innovatives Element ist der sogenannte „Influence Meter“. Dieser Wert gibt die Unterstützung durch die Bevölkerung und internationale Akteure wieder und reagiert auf bestimmte Spielereignisse.
Beispielsweise kann ein verheerender Angriff auf eine Stadt mit vielen zivilen Opfern zu einem Anstieg der Gegenreaktion führen, was wiederum die Ressourcen und Möglichkeiten des Angreifers beeinflusst. Mit diesem Mechanismus wird die enge Verknüpfung zwischen militärischen Handlungen und politischen Konsequenzen greifbar gemacht. Die „Joint Capability Cards“ erweitern das Spielerlebnis zusätzlich. Diese Karten repräsentieren eine breite Palette moderner und zukünftiger militärischer Fähigkeiten. Neben Raketen, Flugzeugen und Schiffen sind auch Cyberangriffe, elektronische Gegenmaßnahmen, Spezialeinsätze und weitere Ressourcen vertreten.
Spieler müssen abwägen, welche Fähigkeiten sie einsetzen und wann sie ihre kostbaren Kommando-Punkte für den Erwerb solcher Karten sinnvoll investieren. Die Realität macht eine solche Simulation heute dringlicher denn je. Der Konflikt in der Ukraine hat deutlich gezeigt, dass moderne Kriegführung zunehmend von schnellen Informationsflüssen und Präzisionsschlägen bestimmt wird. Technologien wie Drohnenschwärme, Hyperschallraketen und Satellitenaufklärung verändern die Dynamik von Gefechten grundlegend. „Littoral Commander“ bietet eine Spielumgebung, in der sich diese Technologie- und Strategieentwicklungen praxisnah und verständlich nachvollziehen lassen.
Interessant ist auch, dass „Littoral Commander“ nicht nur von Militärexperten und strategischen Denkfabriken genutzt wird, sondern seit kurzer Zeit öffentlich erhältlich ist. Für etwa 75 US-Dollar kann die breite Öffentlichkeit das Spiel erwerben und sich selbst daran versuchen, strategische Entscheidungen in einem realistisch gehaltenen Konfliktkontext zu treffen. Dies hilft, das Verständnis für komplexe Zusammenhänge in der modernen Kriegsführung zu vertiefen und den Respekt für die Herausforderungen heutiger Militärpolitik zu stärken. Dieses Brettspiel ist Teil einer größeren Bewegung von sogenannten „Serious Games“, die über reines Entertainment hinausgehen und Lern- und Ausbildungsmöglichkeiten mit hoher Anschaulichkeit eröffnen. Sie ersetzen komplexe, oft schwer verständliche Fachtexte durch interaktive, immersive Erfahrungen und eignen sich besonders gut, um abstrakte Konzepte wie militärische Taktiken oder internationale Strategien begreifbar zu machen.
Der Entwickler Sebastian Bae bringt seine langjährige Erfahrung als Marineveteran und Kriegsspiel-Designer für das Center for Naval Analyses in die Entwicklung ein. Sein Ziel ist es nicht, eine Zukunft vorzuschreiben, sondern ein intellektuelles Spielfeld zur Diskussion anzubieten. Dabei werden die Möglichkeiten und Herausforderungen moderner Fähigkeiten im Zusammenspiel dargestellt, ohne sich auf eine einzige Version der Zukunft festzulegen. Neben dem Hauptspiel für die Indo-Pazifik-Region hat Bae bereits eine Folgeversion für die Ostsee veröffentlicht, mit weiteren Erweiterungen für Länder wie Australien, Japan und Norwegen in Planung. Durch diese regionalen Anpassungen wird eine breite Palette von Konfliktszenarien simuliert, was die strategische Tiefe und Varianz des Spiels deutlich erweitert.