Subsyndromale Depression, oft auch als subthreshold Depression bezeichnet, gewinnt zunehmend an Bedeutung in der psychischen Gesundheitsversorgung. Dabei handelt es sich um eine depressive Verstimmung, die zwar Symptome aufweist, jedoch nicht die Kriterien einer Major Depression erfüllt. Trotz ihres milden Erscheinungsbildes ist diese Form der Depression weder harmlos noch unbedeutend: Sie beeinflusst das soziale und berufliche Leben der Betroffenen nachhaltig und erhöht das Risiko, eine schwere depressive Episode zu entwickeln. Die Herausforderung in der Behandlung besteht darin, wirksame und zugängliche Lösungen anzubieten, die bei einem häufigen und breit gefächerten Patientenkreis Anwendung finden können. An dieser Stelle treten digitale Interventionen, speziell kognitive Verhaltenstherapie (KVT) via Smartphone-Apps, als vielversprechende Alternative auf den Plan.
Die Vorteile liegen in der Kosten- und Zeitersparnis, der leichteren Skalierbarkeit und der potenziell niedrigeren Hemmschwelle, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Kognitive Verhaltenstherapie hat sich in der Behandlung von Depression über Jahrzehnte als Goldstandard etabliert. Traditionell erfolgt diese Form der Therapie in persönlichen Sitzungen mit einem Therapeuten. Doch angesichts der steigenden Prävalenz psychischer Störungen und begrenzter Ressourcen, gerade im öffentlichen Gesundheitssystem, fällt es vielen Menschen schwer, rechtzeitig und regelmäßig therapeutische Unterstützung zu erhalten. Digitale KVT-Programme über Apps bieten eine flexible und niederschwellige Form der Hilfe.
Insbesondere für subsyndromale Depressionen, bei denen die Symptome weniger ausgeprägt sind, zeigen solche Programme großes Potenzial, frühzeitig eingreifen und die Verschlechterung verhindern zu können. Ein wegweisendes Forschungsprojekt in diesem Bereich ist die RESiLIENT-Studie, die von einem internationalen Team führender Wissenschaftler durchgeführt wurde. In der Studie wurden fünf unterschiedliche KVT-Fähigkeiten in einer Smartphone-App implementiert, um ihre jeweilige Wirksamkeit auf depressive Symptome bei Erwachsenen mit subsyndromaler Depression zu evaluieren. Diese Fähigkeiten umfassen Verhaltensaktivierung, kognitive Umstrukturierung, Problemlösung, assertives Training und Verhaltenstherapie bei Schlafstörungen. Das Design dieser Untersuchung war besonders innovativ: mehrere 2x2-Faktorvarianten ermöglichten es, die einzelnen Komponenten isoliert zu betrachten und zu vergleichen.
Dabei lag der Fokus darauf, herauszufinden, welche konkreten Elemente von KVT am effektivsten sind und welche Kombinationen besonders erfolgreich sind. Verhaltensaktivierung ist eine Methode, die darauf abzielt, depressive Verstimmungen durch vermehrte Teilnahme an angenehmen oder sinnstiftenden Aktivitäten zu verbessern. Die App ermutigt die Nutzer, bewusst positive Erfahrungen einzuplanen und dadurch Stimmung und Motivation zu heben. Diese Vorgehensweise ist vergleichsweise einfach umzusetzen und hat sich als besonders wirksam erwiesen. Kognitive Umstrukturierung hingegen konzentriert sich auf die Veränderung negativer Denkmuster, die häufig depressive Gefühle und Verhaltensweisen aufrechterhalten.
Nutzer lernen, ihre automatischen Gedanken kritisch zu hinterfragen und alternative, realistischere Bewertungen zu entwickeln. Problemlösung trainiert systematische Ansätze zur Bewältigung von Herausforderungen und Stressoren im Alltag, die sich negativ auf das Wohlbefinden auswirken können. Assertives Training hilft den Anwendern, ihre Bedürfnisse klar und respektvoll zu kommunizieren, ohne sich selbst oder andere zu verletzen, was soziale Interaktionen und Selbstwertgefühl stärkt. Schließlich adressiert die Verhaltenstherapie für Schlafprobleme (Behaviour Therapy for Insomnia) die oft gemeinsam mit Depression auftretenden Schlafstörungen, indem sie Techniken vermittelt, um gesunde Schlafgewohnheiten zu etablieren. Die RESiLIENT-Studie konnte eindrucksvoll belegen, dass alle fünf KVT-Komponenten über die App signifikante Verbesserungen der depressiven Symptomatik erzielten im Vergleich zu Kontrollgruppen, die entweder eine verzögerte Behandlung erhielten, nur Gesundheitsinformationen bekamen oder sich selbst durch wöchentliche Selbstbeobachtungen evaluierten.
Die Effektgrößen der einzelnen Module lagen zwischen moderat bis deutlich und blieben in einer 26-wöchigen Nachbeobachtung bestehen. Besonders hervorzuheben ist, dass die Verhaltensaktivierung wiederholt als die wirksamste einzelne Komponente herausgestellt wurde, was auf ihre zentrale Bedeutung im digitalen KVT-Konzept hindeutet. Dabei zeigte die Forschung auch, dass die Kombination aus Verhaltensaktivierung und weiteren Komponenten wie Problemlösung oder Schlafverhaltenstraining die Wirksamkeit noch steigern kann. Allerdings war die Wirkung nicht einfach additiv, was bedeutet, dass sich die Effekte nicht zwangsläufig aufaddieren – bestimmte Kombinationen wirkten synergistisch, andere zeigten antogonistische Interaktionen. Diese Erkenntnis ist entscheidend für die zukünftige Gestaltung von Apps und therapeutischen Programmen, um optimal zugeschnittene Pakete anzubieten, die auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt sind.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die hohe Akzeptanz und Adhärenz der Nutzer gegenüber der Smartphone-basierten KVT. In der Studie vervollständigten durchschnittlich über 80 Prozent der Teilnehmer die Kernmodule innerhalb von sechs Wochen – ein Wert, der deutlich über dem von vielen anderen internetbasierten Interventionen liegt. Die Nutzung erfolgte häufig in kurzen Sitzungen von wenigen Minuten, was die Integration in den Alltag erleichtert. Zudem konnten die Teilnehmer auch nach Abschluss der aktiven Phase weiterhin auf die Programme zugreifen, obwohl die Nutzung mit der Zeit zurückging, blieben die positiven Effekte auf Symptome dauerhaft erhalten. Die App bietet somit nicht nur eine therapeutische Intervention, sondern fördert auch eine nachhaltige Verhaltensänderung: Anwender lernen zentrale Bewältigungsstrategien, die sie selbständig anwenden können, ohne ständig auf externe Unterstützung angewiesen zu sein.
Dies stärkt die Eigenverantwortung und erhöht die Skalierbarkeit der Behandlung in Bevölkerungskreisen, bei denen professionelle Therapeuten noch nicht genügend präsent sind. Zudem wiesen die unterschiedlichen Programme nicht nur bei der Linderung depressiver Symptome Wirkung, sondern verbesserten auch Begleiterscheinungen wie Angststörungen, Einschlafprobleme und das allgemeine mentale Wohlbefinden. Diese Mehrfachnutzen sind besonders wichtig, da Depression oft nicht isoliert auftritt, sondern mit einem Spektrum von psychischen Belastungen verbunden ist. Die Studienergebnisse liefern darüber hinaus wertvolle Erkenntnisse zu Kontrollgruppen in psychotherapeutischen Studien. Wartelisten-Kontrollen, bei denen Teilnehmer die Behandlung verzögert erhalten, zeigten sich als weniger adäquat, da sie den Behandlungseffekt tendenziell überschätzen können.
Aufklärungs- und Selbstbeobachtungskontrollen sind sinnvoller, um realistischere Vergleiche zu erzielen, was für die zukünftige Planung von Studien von großer Bedeutung ist. Nicht zu unterschätzen sind auch die Herausforderungen bei der Umsetzung von KVT-Programmen über Apps. Die mangelnde persönliche Interaktion kann zwar Zugangsbarrieren reduzieren, birgt aber auch die Gefahr der geringeren Motivation oder des fehlenden emotionalen Supports. Die RESiLIENT-Studie adressiert dies durch regelmäßige Erinnerungen und motivierende Nachrichten, deren Einfluss auf die Adhärenz essentiell ist. Die stetige Weiterentwicklung der Apps mit engagierter Nutzerführung und personalisierten Inhalten könnte diese Lücke künftig weiter schließen.
Neben dieser vielversprechenden Evidenz gibt es jedoch noch offene Fragen. Zum Beispiel sind die Ergebnisse hauptsächlich auf eine japanische Erwachsenenbevölkerung mit subsyndromaler Depression bezogen. Ob sich die gefundenen Effekte auf andere Populationen, Jugendliche, ältere Menschen oder Menschen mit schweren Depressionen verallgemeinern lassen, muss weiterhin untersucht werden. Auch der Vergleich mit anderen Therapieformen, etwa achtsamkeitsbasierten Interventionen oder klassischen Gesprächstherapien, sollte in künftigen Studien erfolgen. Darüber hinaus bleibt die Frage, wie digitale Therapien in das bestehende Versorgungssystem integriert werden können, ohne Therapeuten zu ersetzen, sondern ihre Arbeit zu ergänzen.