Die Mayaguez-Krise im Mai 1975 zählt zu den letzten militärischen Auseinandersetzungen, die unmittelbar nach dem Ende des Vietnamkriegs stattfanden. Weniger als einen Monat, nachdem die Khmer Rouge die Kontrolle über Phnom Penh übernommen hatten, entführten sie das US-amerikanische Frachtschiff SS Mayaguez in einem umstrittenen Seegebiet nahe der kambodschanischen Küste. Dieser Vorfall führte zu einer eilig organisierten Rettungsoperation der Vereinigten Staaten, welche ein wichtiges Symbol für den damaligen Umgang Amerikas mit seinen internationalen Interessen und militärischen Verpflichtungen darstellte. Die historische Einordnung des Konflikts ist eng mit der komplexen politischen Lage in Südostasien nach dem Vietnamkrieg verknüpft. Die Khmer Rouge hatten nach dem Sturz der pro-amerikanischen Khmer-Republik ihre Macht konsolidiert und verfolgten eine äußerst aggressive Politik gegenüber Vietnam und anderen angrenzenden Regionen.
Die maritimen Grenzstreitigkeiten zwischen Kambodscha und Vietnam, die auf die Brevie-Linie aus der Kolonialzeit zurückgingen, verschärften die Situation zusätzlich. Die Khmer Navy patrouillierte zunehmend aggressiv die Küstengewässer, um mögliche Einflüsse von fremden Mächten zu unterbinden und Überläufer zu kontrollieren. Am 12. Mai 1975, während das Frachtschiff SS Mayaguez auf seinem Kurs von Hongkong nach Thailand an der Gewässerzone um die Poulo Wai-Inseln vorbeifuhr, wurde es von Khmer-Rouge-Kräften angegriffen und anschließend geentert. Trotz der Tatsache, dass sich das Schiff wahrscheinlich in internationalen Gewässern befand, wurde der Angriff als klare Herausforderung an die nationale Souveränität der USA wahrgenommen.
Der Kapitän der Mayaguez reagierte schnell mit der Aussendung eines Notrufs, der international aufgefangen wurde, und die Nachricht erreichte rasch die US-Regierung und das Militär. Die Reaktion der Vereinigten Staaten erfolgte unter Präsident Gerald Ford, dessen Administration stark darauf bedacht war, ein Zeichen der Stärke zu setzen. Nach dem Ansehensverlust infolge der Niederlage in Vietnam und der chaotischen Evakuierungen aus Süd-Vietnam und Kambodscha galt es, einen entschiedenen militärischen Schritt zu unternehmen, um den Eindruck von Entschlossenheit zu bestätigen. Die Ereignisse des Pueblo-Zwischenfalls von 1968, bei dem Nordkorea ein US-Aufklärungsschiff entführt hatte, dienten hierbei als mahnendes Beispiel für die Folgen zögerlichen Handelns. Die militärische Planung für die Rettungsoperation schloss neben Luftstreitkräften auch Marineeinheiten und das US Marine Corps mit ein.
Unterschiedliche Truppenverbände wurden von ihren Stationen auf den Philippinen, in Thailand und Okinawa mobilisiert, um die Bergung der Mayaguez und ihrer Besatzung zu ermöglichen. Gleichzeitig erfolgten Luftaufklärungseinsätze, welche die Position des Schiffes und der vermuteten Geiseln bestätigen sollten. Die Operation gestaltete sich jedoch von Beginn an kompliziert und gefährlich. Die Marines stürmten das Schiff mit einem Luftlandeangriff und führten einen amphibischen Einsatz auf der nahegelegenen Insel Koh Tang durch, auf der man annahm, die Besatzung befinde sich in Gefangenschaft. Doch die Insel war weitaus stärker befestigt und von deutlich mehr Khmer-Rouge-Soldaten verteidigt, als zuerst angenommen.
Drei US-Hubschrauber wurden abgeschossen, zahlreiche Soldaten verloren ihr Leben in heftigen Gefechten, und die Marines gerieten in eine aussichtslose Lage. Gleichzeitig wurden die eigentlichen Schiffbrüchigen von den Khmer Rouge überraschenderweise unabhängig von der Operation freigelassen. Der Rettungseinsatz zog erhebliche Kritik nach sich. Die Informationslage zur tatsächlichen Situation war denkbar schlecht, falsche oder unvollständige Geheimdienstinformationen führten zu Fehleinschätzungen. Die Entscheidungen im Weißen Haus wurden von Dringlichkeit und dem Wunsch nach einem schnellen Erfolg geprägt, was einer tiefergehenden Planung und Abstimmung entgegenstand.
Gerade die Koordination zwischen den unterschiedlichen Waffengattungen und Truppenteilen zeigte deutliche Schwächen. Die Tatsache, dass trotz Freilassung der Geiseln die Kampfhandlungen fortgesetzt wurden, sorgte für zusätzlichen politischen Druck und Empörung in der Öffentlichkeit. Doch der Vorfall hatte weitreichende Folgen. Zum einen signalisierte er die anhaltende Bereitschaft der USA, militärisch in Asien zu intervenieren und amerikanische Interessen durchzusetzen, auch wenn der Vietnamkrieg offiziell beendet war. Zudem war die Mayaguez-Krise ein öffentlicher Prüfstein für die neue Administration und diente als Demonstration der „hawkishness“ nach der Ära von Nixon und Kissinger.
Für Kambodscha und die Khmer Rouge bedeutete die Konfrontation eine Schwächung ihrer maritimen Streitkräfte und untergrub einen Teil ihrer Verteidigungsfähigkeit gegenüber Nachbarstaaten, vor allem Vietnam. Das Misstrauen gegen die USA vertiefte sich, insbesondere da die Angriffe auf die Festlandbasis Kambodschas auch nach der Freilassung der Geiseln aufrechterhalten wurden. Diese Eskalation stellte einen Katalysator dar, der letztlich in den kambodschanisch-vietnamesischen Konflikt mündete, der in den späten 1970er Jahren ausbrach. Die herausragenden Leistungen einzelner Soldaten während der Mayaguez-Operation wurden mit hohen militärischen Auszeichnungen gewürdigt, obwohl die Gesamtlage als chaotisch beschrieben wird. Viele Teilnehmer der Kampagne betrachteten die Operation als Vorbote der Herausforderungen, die in künftigen Rettungseinsätzen und militärischen Interventionen auf sie zukommen sollten.
In Thailand sorgte die Nutzung des Luftwaffenstützpunkts U-Tapao ohne ausdrückliche Zustimmung der zivilen Regierung für diplomatische Verwerfungen, die zum Rückzug der letzten US-Truppen führten und die Beziehungen zwischen beiden Ländern zeitweise belasteten. Heute erinnert die Mayaguez-Krise an die komplexen Herausforderungen der Nachkriegszeit in Südostasien. Sie verdeutlicht, wie militärische Operationen in einem heiklen geopolitischen Kontext ebenso mutige wie riskante Entscheidungen erforderten. Die Geschichten der zurückgelassenen amerikanischen Soldaten, die im Verlauf der Operation ihr Leben verloren, gehören zu den letzten Kapiteln des Vietnamkriegs. Die kritische Reflexion über die Mayaguez-Krise hat dazu beigetragen, militärische Taktiken im Bereich der Rettungs- und Spezialoperationen zu überdenken und zukünftige Einsätze sorgfältiger zu planen.
Bis heute gilt der Vorfall als ein Lehrstück über die Bedeutung sorgfältiger Geheimdienstinformationen und die Risiken überhasteter militärischer Maßnahmen in Auslandseinsätzen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Mayaguez-Krise zwar militärisch gewonnen wurde, jedoch ein vielschichtiges Bild von Erfolg, Verlust und politischen Herausforderungen hinterließ. Der Vorfall stellt ein bedeutendes Kapitel der amerikanischen Militärgeschichte dar, dessen Einflüsse weit über die unmittelbaren Ereignisse hinausgehen und dessen Erinnerung weiterhin lebendig bleibt.