Künstliche Intelligenz (KI) ist aktuell eines der dominierenden Themen in Wirtschaft und Technologie. Überall liest man von großen Prognosen, die revolutionäre Veränderungen in Unternehmen versprechen. Doch trotz aller Euphorie zeigt sich in der Praxis ein anderes Bild, wenn es um die Implementierung von KI in Unternehmen geht. Lange Zeit galt die Annahme, dass neue Technologien in Unternehmen hauptsächlich durch offizielle B2B-Kanäle eingeführt werden. Ein Hersteller bringt eine spezialisierte Lösung auf den Markt, spricht gezielt die IT- oder Fachabteilungen an, sichert sich das Vertrauen der Entscheidungsfinder und implementiert die Lösung unternehmensweit.
Dies ist ein klassisches Bild, wie neue Software oder Hardwaresysteme den Weg in den Betrieb finden. Doch bei KI scheint dieser Pfad nicht der dominierende zu sein. Vielmehr tritt die Technologie durch das sogenannte „Backdoor“-Prinzip in die Unternehmen ein, also über die Mitarbeitenden, die KI-Tools über ihre privaten Nutzungsgewohnheiten kennen und dann am Arbeitsplatz nach der Verwendung fragen oder sie eigenständig einsetzen. Diese Entwicklung sorgt für beträchtliche Veränderungen in der Art und Weise, wie Unternehmen mit KI umgehen müssen. Der traditionelle Vertrieb über die Chefetage und IT-Manager wird von der Realität eingeholt, dass die eigentliche Nutzung von KI oftmals ohne offizielle Freigabe und ohne zentrale Steuerung stattfindet.
Das Phänomen des „Backdoor“-Eintritts erinnert an frühere Entwicklungen in der IT-Geschichte: Smartphones, Cloudspeicherdienste wie Dropbox oder Kommunikationsplattformen wie Slack haben ähnliche Wege genommen. Zunächst wurden sie privat genutzt und später am Arbeitsplatz eingeführt, nachdem Mitarbeitende deren Nutzen erkannt und die Nutzung durchgesetzt hatten. Die „Konsumerisierung“ der IT ist ein etablierter Begriff, der beschreibt, dass die technischen Innovationen zunächst Endverbraucher erfassen und später den Sprung in die Geschäftswelt schaffen. Diese Entwicklung ist bei KI aktuell besonders ausgeprägt, da die Technologie durch intuitive und vielseitige Chatbots, Sprachassistenten und Automatisierungstools für viele Menschen unmittelbar zugänglich ist. OpenAI, als einer der führenden Anbieter im Bereich generativer KI, scheint dieser Dynamik Rechnung zu tragen.
Statt sich vorrangig auf den Enterprise-Markt zu konzentrieren und gezielt IT-Manager oder CIOs als Kunden zu gewinnen, investiert OpenAI offensiv in den Konsumentenbereich. Die Verpflichtung von Fidji Simo, einer erfahrenen Führungskraft aus dem Consumer-Tech-Umfeld, als CEO der Anwendungen signalisiert diesen Strategiewechsel deutlich. OpenAI verlässt damit das alte Muster, für das man meist Führungspersönlichkeiten mit umfangreichen Erfahrungen im Enterprise-Bereich verpflichtete. Der Fokus liegt vielmehr darauf, KI-Produkte zu entwickeln, die für die breite Masse attraktiv sind und so organisch in Unternehmen „einwandern“ können. Dieser Ansatz bringt zwei grundlegende Vorteile mit sich.
Zum einen sinken die Barrieren für die Nutzung von KI erheblich, da Mitarbeitende, die die Tools kennen, diese bereits effektiv in ihrem privaten Umfeld einsetzen. Zum anderen entstehen durch die breite Nutzung auf Mitarbeiterebene eine Vielzahl von individuellen Einsatzzwecken, die den Wert der Technologie im Unternehmen steigern, auch wenn keine offizielle Einführung vorliegt. Jedoch birgt diese Entwicklung auch Risiken und Herausforderungen für Unternehmen und ihre IT-Abteilungen. Ein zentrales Problem ist die mangelnde Kontrolle über den Einsatz von KI-Anwendungen. Wenn Mitarbeitende eigenständig KI-Tools verwenden, entstehen Risiken bezüglich Datenschutz, Datensicherheit und Compliance.
Unternehmen müssen sicherstellen, dass sensible Informationen nicht unbemerkt in nicht genehmigte Anwendungen gelangt oder ungeprüft von KI verarbeitet werden. Insbesondere im Finanz-, Gesundheits- oder Rechtsbereich, wo Fehler schwerwiegende Folgen haben können, sind solche Risiken besonders relevant. Hier zeigt sich die Diskrepanz zwischen der Begeisterung für KI und der Zurückhaltung, KI unternehmensweit ohne genaue Kontrollmechanismen einzusetzen. Die aktuelle Realität belegt zudem, dass viele groß angelegte KI-Pilotprojekte nicht die erhofften Erfolge liefern. Untersuchungen und Umfragen, etwa von IBM, bestätigen, dass lediglich ein Bruchteil der AI-Piloten den erwarteten Return on Investment einbringt.
Einige große Unternehmen, darunter Konzerne wie Johnson & Johnson, haben mehrere Projekte beendet, um sich auf wenige erfolgversprechende Use-Cases zu konzentrieren. Andere berichten davon, dass oftmals falsche Erwartungen an KI gestellt und zu ambitionierte Ziele verfolgt wurden. Die Technologie befindet sich trotz enormer Fortschritte noch in der Phase, wo der pragmatische, punktuelle Einsatz sinnvoller und ergiebiger ist als großflächige, von der Unternehmensspitze verordnete Maßnahmen. Auch der Arbeitsmarkt reflektiert diese differenzierte Entwicklung. Obwohl viele Unternehmen ankündigten, durch KI den Personalbedarf reduzieren zu können, erleben manche davon inzwischen eine Umschichtung hin zu Neueinstellungen oder Umstrukturierungen, ohne die Belegschaft drastisch zu reduzieren.
Die oft zitierte automationsbedingte Jobvernichtung wird derzeit insgesamt durch die Notwendigkeit ausgeglichen, menschliche Arbeitskraft mit KI als Hilfsmittel zu ergänzen oder Prozesse komplett neu zu denken. Die Nutzung von KI für repetitive Programmieraufgaben oder die Unterstützung bei der Auswertung umfangreicher Dokumenten, wie es in juristischen oder finanziellen Umgebungen vorkommt, zeigt exemplarisch den gegenwärtigen Mehrwert. Mitarbeitende setzen KI ein, um monotonere Tätigkeiten schneller und effizienter zu erledigen, während komplexe Entscheidungen weiterhin menschliches Urteilsvermögen erfordern. Die sogenannte Halluzination von KI, also das Erfinden falscher Fakten, ist ein ständig präsentes Problem, das einen unkritischen Vollzug in sensiblen Bereichen ausschließt. Für die Zukunft zeichnen sich neue Herausforderungen ab, die Unternehmen adressieren müssen.
IT-Abteilungen müssen präventiv Kontrollmechanismen schaffen, um sicherzustellen, dass KI-Anwendungen verantwortungsvoll genutzt werden. Das kann durch Bereitstellung zentraler, geprüfter KI-Tools, die in bestehende Systeme integriert sind, oder die Ausarbeitung klarer Richtlinien und Schulungsprogramme für Mitarbeitende geschehen. Gleichzeitig müssen Anbieter von KI-Technologien innovative Sicherheits- und Kontrollmöglichkeiten entwickeln, die sowohl Flexibilität als auch Compliance gewährleisten. Ein weiterer vielversprechender Weg ist die Verzahnung von KI mit spezialisierten Endgeräten, die OpenAI und andere Marktteilnehmer derzeit erforschen. Die Ankündigung, hochkarätige Designer wie Jony Ive an Bord zu holen, deutet darauf hin, dass zukunftsweisende, ästhetische und benutzerfreundliche Hardware entwickelt wird, die KI-Anwendungen direkt in den Alltag bringt.
Diese Entwicklung könnte das „Backdoor“-Prinzip weiter verstärken und KI noch leichter zugänglich machen – mit ungeahnten Auswirkungen auf Unternehmensabläufe. Abschließend lässt sich festhalten, dass KI heute weniger eine technologische Frage der Anschaffung großer Softwarepakete ist, sondern ein kulturelles und organisatorisches Thema, das durch das Verhalten der Mitarbeitenden vorangetrieben wird. Die Zeiten, in denen CIOs beim Golf mit Verkäufern KI-Lösungen als große transformative Projekte durchdrücken, scheinen vorbei zu sein. Vielmehr kommt KI in Unternehmen als dezentral genutztes Werkzeug, das jede Abteilung und jeden Arbeitsplatz auf neue Weise beeinflusst. Der Wandel erfordert von Unternehmen ein Umdenken: IT-Abteilungen müssen flexibler werden, Nutzer müssen geschult und Kontrollen für den verantwortlichen Umgang mit KI geschaffen werden.