Die Tiefsee oder internationalen Gewässer, auch bekannt als die Hohe See, umfassen etwa 61 Prozent der Ozeanfläche und bedecken 43 Prozent der Erdoberfläche. Sie bilden so den größten zusammenhängenden Lebensraum auf unserem Planeten und sind von enormer Bedeutung für das ökologische Gleichgewicht und die Klimastabilität. Seit Jahrhunderten werden diese Gebiete ausgebeutet: Im 17. Jahrhundert begann die Jagd auf Wale, und im 20. Jahrhundert wurde die industrielle Fischerei auf verschiedene Arten von Meereslebewesen ausgeweitet.
Trotz dieser langen Geschichte der Nutzung sind diese Ozeanbereiche bislang kaum geschützt – weniger als ein Prozent der Fläche ist offiziell als Schutzgebiet ausgewiesen. Dabei steht viel auf dem Spiel, wenn es um den nachhaltigen Umgang mit der Hohen See geht. Die Hohe See übernimmt eine zentrale Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf. Aufgrund ihrer durchschnittlichen Tiefe von etwa 4100 Metern speichern die internationalen Gewässer enorme Mengen an Kohlenstoff. Durch komplexe biologische Prozesse, wie die sogenannte biologische Pumpe, transportieren marine Organismen wie Fische und wirbellose Tiere Kohlenstoff aus der Oberfläche in die Tiefsee.
Dieser Mechanismus hilft dabei, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu regulieren und das Klima stabil zu halten. Ohne diese natürliche Funktion könnten die atmosphärischen CO2-Konzentrationen deutlich höher liegen – Schätzungen zufolge um bis zu 200 ppm – und die globale Durchschnittstemperatur erheblich steigen. Diese Zusammenhänge verdeutlichen, wie eng die Gesundheit der Tiefsee mit dem Erhalt unseres Klimas verbunden ist. Parallel zur biologischen Pumpe sorgt die sogenannte Nährstoffpumpe für den Austausch von lebenswichtigen Mineralien zwischen den Meeresschichten. Lebewesen, die in tiefen Gewässern jagen und an die Oberfläche zurückkehren, helfen dabei, Nährstoffe von der Tiefe nach oben zu transportieren, wodurch die Produktivität der Meere gesteigert wird.
Seit Jahrzehnten wird diese natürliche Dynamik jedoch durch intensive Fischerei beeinträchtigt. Schon die jahrhundertelange Walfangindustrie hat die Populationen von Walen stark dezimiert und damit die Versorgung der Meere mit Kohlenstoff und Nährstoffen gestört. Die fortschreitende Industrialisierung der Fischerei, besonders ab den 1950er Jahren, hat den Druck auf marine Ökosysteme zusätzlich erhöht. Der derzeitige Trend zur Ausweitung der Fischerei in immer größere Tiefen, insbesondere in die mesopelagische Zone zwischen 200 und 1000 Metern, ist besorgniserregend. In diesen dunklen Tiefen leben zahlreiche kleine Fische und Organismen, die wichtige Funktionen im Nahrungsnetz übernehmen und ebenfalls an Kohlenstoff- sowie Nährstoffkreisläufen beteiligt sind.
Die kommerzielle Erschließung dieser Zone, um Rohstoffe für Fischfutter und Öl zu gewinnen, könnte die Stabilität des marinen Ökosystems gefährden. Wissenschaftler und Umweltschützer fordern daher seit einigen Jahren eine Aussetzung der Fischerei in diesen Tiefen, um die Regeneration der Bestände und den Schutz des Klimas langfristig zu sichern. Eine beeindruckende Anzahl von Meerestieren durchquert die Hohen See auf ihren Wanderungen: Wale, Haie, Schildkröten, verschiedene Fischarten und andere Megafauna nutzen diese Welten als wichtige Lebensräume. Viele von ihnen haben aufgrund der menschlichen Eingriffe stark abgenommen und gelten mittlerweile als bedroht. Die Überfischung führte nicht nur zur Reduzierung von Zielarten, sondern verursachte auch beträchtliche Schäden an der Umwelt durch unerwünschten Beifang und habitatzerstörende Fangmethoden wie das Grundschleppnetz.
Millionen Meerestiere, darunter seltene Vögel, Schildkröten und Haie, sterben jährlich aufgrund dieser Praktiken. Zudem nutzt ein kleiner Anteil von Ländern einen großen Teil der Fischfangkapazitäten auf der Hohen See, was Fragen der Gerechtigkeit und Verteilung der Ressourcen aufwirft. Neben der Fischerei bedroht auch die gegenwärtig diskutierte Tiefseebergbauindustrie die intakten Ökosysteme der Tiefsee. Polymetallische Knollen, die wertvolle Metalle wie Kobalt, Nickel und Kupfer enthalten, liegen auf dem Meeresboden und sollen künftig abgebaut werden, um Rohstoffe für grüne Technologien bereitzustellen. Obwohl solche Technologien klimafreundlich sein können, sind die ökologischen Auswirkungen des Abbaus im Meer bisher nur unzureichend erforscht.
Die Zerstörung von Lebensräumen, die Freisetzung von Sedimenten und organischem Kohlenstoff, die Störung lebenswichtiger biochemischer Prozesse und die möglichen irreversiblen Schäden an der Biodiversität werfen große Zweifel an der Unbedenklichkeit dieses Vorgehens auf. Zudem steht der Tiefseebergbau vor erheblichen Governance-Herausforderungen. Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA), die Aufsichts- und Genehmigungsfunktion innehat, sieht sich wegen Interessenskonflikten und mangelnder Transparenz in der Kritik. Ein regulatorisches System, das einer strengen Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung sowie der unbeeinflussten Kontrolle entsprechen müsste, ist bisher nicht etabliert. Dadurch ist die Entwicklung eines verantwortungsvollen Tiefseebergbaus als äußerst problematisch einzuschätzen.
Angesichts der ernsten ökologischen Risiken ist es dringend notwendig, die Hohen See dauerhaft vor sämtlicher extraktiver Nutzung zu schützen. Die aktuelle politische Entwicklung der United Nations High Seas Treaty, die internationale Schutzgebiete ausweisen und nachhaltige Nutzung fördern will, ist ein Schritt in die richtige Richtung, lässt jedoch noch Jahre auf sich warten. Es besteht die Gefahr, dass der politische Prozess zu langsam ist, um den unumkehrbaren Schaden abzuwenden. Der Schutz der Tiefsee wäre auch wirtschaftlich sinnvoll. Die Fischerei auf der Hohen See ist nur begrenzt profitabel, oftmals stark von Subventionen abhängig und mit sozialen Problemen wie schlechten Arbeitsbedingungen verbunden.
Ein Verzicht auf diese Fischerei schützt nicht nur die Artenvielfalt sondern spart auch öffentliche Mittel. Die dadurch entlasteten Fischbestände könnten in den Küstengewässern nachhaltiger und gerechter bewirtschaftet werden, was vielen Ländern, insbesondere Entwicklungsländern, zugutekommen würde. Außerdem würde der Schutz der Hohen See keine negativen Auswirkungen auf legale Nutzungen wie internationalen Schiffsverkehr, wissenschaftliche Forschung oder nicht-entnehmende Aktivitäten mit sich bringen. Im Gegenteil, durch einen besseren Schutz könnten wichtige Beiträge zur Erhaltung des globalen Klimas geleistet und zugleich das biologische Erbe der Meere bewahrt werden. Die Hohen See nimmt weltweit eine Schlüsselrolle ein – für den Kohlenstoffkreislauf, die Burrödüngung der Meere und die allgemeine Stabilität des Planeten.
Im historischen Vergleich gibt es Vorbilder, wie der dauerhafte Schutz großer, internationaler Gebiete möglich ist, beispielsweise der Schutz der Antarktis in den 1950er Jahren. Ein vergleichbares internationales Abkommen für die Tiefsee könnte ein Meilenstein für den Umweltschutz sein. Durch internationale Zusammenarbeit, den Ausbau von Forschung und die Einbindung aller Staaten, wäre der Schutz der Hohen See ein erreichbares Ziel. Die ökologischen Zusammenhänge der Tiefsee sind komplex und eng verflochten mit dem globalen Klima. Die Herausforderung besteht darin, kurzsichtige Profitinteressen hinter sich zu lassen und die Hohen See als gemeinsames Erbe der Menschheit anzuerkennen.
Nur so kann die Lebensfähigkeit der Ozeane und indirekt auch das Überleben zukünftiger Generationen gesichert werden. Deshalb ist der dauerhafte Schutz der internationalen Gewässer vor industrieller Fischerei, Tiefseebergbau und fossilen Energierohstoffen nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern eine wissenschaftlich begründete Notwendigkeit. Die Zeit zu handeln ist jetzt, denn die Veränderungen in den Ozeanen geschehen schnell und ihre Folgen sind oft unumkehrbar. Jeder weitere Jahrzehnt des Zauderns erhöht die Gefahr irreparabler Schäden und begrenzt die Möglichkeit, verloren gegangene Ökosysteme und Arten zurückzugewinnen. Mit einem entschlossenen globalen Schutz der Hohen See kann ein entscheidender Beitrag zur Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise geleistet werden.
Letztendlich geht es um weit mehr als um den Schutz eines Meeresgebiets. Es geht um die Sicherung unserer Lebensgrundlage, um globale Gerechtigkeit und um die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen. Die Hohen See sind ein Schatz, dessen Wert weit über wirtschaftliche Ausbeute hinausgeht. Nur durch deren Bewahrung erfahren wir nachhaltigen Schutz für den gesamten Planeten.