Die weltweite Automobilbranche steht vor einer ernsthaften Herausforderung, ausgelöst durch eine wachsende Magnetkrise. Diese Krise betrifft insbesondere seltene Erden, die essenzielle Komponenten moderner Fahrzeuge darstellen. Seltene Erden, lebenswichtig für die Herstellung von Hochleistungsmagneten, kommen in zahlreichen Fahrzeugteilen zum Einsatz – von Elektromotoren bis hin zu Sensoren und elektronischen Steuerungssystemen. Die Verknappung und Exportverzögerungen dieser Rohstoffe haben das Potenzial, Produktionslinien weltweit ins Stocken zu bringen und stellen die globale Autoindustrie vor erhebliche Herausforderungen. Eine Schlüsselfigur, die Einblicke in diese Problematik bietet, ist Santiago Arieu, Senior Autos Analyst bei BMI, einem Tochterunternehmen von Fitch Solutions.
Im Gespräch erläutert Arieu die weitreichenden Folgen, die Lieferengpässe bei seltenen Erden für Automobilhersteller, vor allem im Bereich der Elektromobilität (EV), mit sich bringen. Der Ursprung der Magnetkrise liegt in einer neuen Lizenzierungsregelung Chinas, die den Export von seltenen Erden bremst. China kontrolliert den Großteil der weltweiten Ressourcen dieser Rohstoffe und seine Maßnahmen zur Beschränkung der Ausfuhr führen zu einer Verknappung auf den internationalen Märkten. Dies geschieht in einer Phase erhöhter geopolitischer Spannungen und hoher US-Zölle, was die Situation zusätzlich verschärft. Besonders Europa, das etwa 98 Prozent seiner seltenen Erden von China bezieht, sieht sich stark exponiert.
Die Bestrebungen, die Versorgung durch heimische Projekte und Gesetze wie das EU-Critical Raw Materials Act zu stärken, können bislang nicht mit Chinas Produktionskapazitäten und Preisvorteilen konkurrieren. Die Auswirkungen auf die Automobilproduktion sind vielschichtig. Bereits jetzt warnen Automobilhersteller vor abnehmenden Lagerbeständen. Ford hat etwa die Produktion an einem großen Werk zurückgefahren, während Suzuki bei wichtigen Modellen die Produktion gedrosselt hat. Auch der Verband der Automobilindustrie Deutschlands (VDA) hat vor drohenden Werksstillständen gewarnt, wenn die Situation sich nicht verbessert.
Die Gefahr betrifft nicht nur traditionelle Fahrzeuge, sondern ist für die gesamte Branche spürbar, da moderne Fahrzeuge zunehmend auf elektrische und hybride Technologien setzen, die in besonderem Maße auf seltene Erden angewiesen sind. Der Elektrofahrzeugmarkt ist am stärksten von dieser Krise betroffen. Elektromotoren benötigen permanentmagnetische Werkstoffe auf Basis seltener Erden, um leistungsfähig, effizient und kompakt zu sein. Sensorik, regenerative Bremssysteme und zahlreiche weitere moderne Features sind ebenfalls stark von diesen Materialien abhängig und zählen inzwischen zu den wichtigsten Differenzierungsmerkmalen im Wettbewerb um anspruchsvolle Kunden. Die Lieferengpässe haben also nicht nur Auswirkungen auf die Produktion, sondern greifen direkt in die technologische Ausstattung künftiger Fahrzeuge ein.
Arieu betont, dass es durchaus möglich ist, dass einige Automobilhersteller versucht sein könnten, auf ältere Elektromotortechnologien zurückzugreifen oder den Fokus auf weniger premium ausgestattete Modelle zu lenken, um den Magnetbedarf zu reduzieren. Doch dies dürfte nicht die bevorzugte Lösung sein. Die Innovationskraft der Automobilbranche, ihre Wettbewerbsfähigkeit und Markenpositionierung hängen stark von solchen Technologien ab. Das Entfernen oder Absenken von Funktionen, die auf seltene Erden basieren, könnte zu Verlusten bei der Kundenattraktivität führen, insbesondere im Premiumsegment, wo höhere Preise mit technologischem Vorsprung gerechtfertigt werden. Santiago Arieu verweist darauf, dass Automobilhersteller vorerst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen werden, um die Auswirkungen der Magnetkrise abzumildern, bevor sie zu technologischen Kompromissen greifen.
Dazu zählen die Optimierung von Lieferketten, der Aufbau von alternativen Quellen und die Erforschung neuer Technologien, welche die Abhängigkeit von seltenen Erden verringern könnten. Auch Strategien wie die Vorratshaltung von Rohstoffen, langfristige Verträge mit Lieferanten und verstärkte politische Lobbyarbeit für eine diversifizierte Rohstoffversorgung spielen eine wichtige Rolle. Europa steht besonders vor der Herausforderung, seine Versorgungssicherheit nachhaltig zu stärken. Trotz der Einführung von Gesetzgebungen zur Sicherung kritischer Rohstoffe zeigt sich, dass der Ausbau eigener Produktionskapazitäten und die Schaffung wettbewerbsfähiger Lieferketten erhebliche Investitionen und Zeit benötigen. Gleichzeitig gewinnt die Entwicklung eigener Recyclingtechnologien für seltene Erden an Bedeutung, da diese eine wertvolle Quelle zur Verlängerung der Nutzungsdauer dieser wertvollen Materialien darstellen.
Die Magnetkrise illustriert eine zentrale Problematik in der globalisierten Automobilindustrie: die empfindliche Abhängigkeit von geopolitischen Entwicklungen in der Versorgung von Schlüsselmaterialien. China als dominanter Akteur auf dem Markt für seltene Erden nutzt seine Position zunehmend als strategisches Druckmittel. Dies führt dazu, dass Länder mit hohem Automobilproduktionsvolumen Kompromisse eingehen oder ihre strategischen Industriemaßnahmen überdenken müssen. Mit Blick auf die Prognosen für 2025 hält Arieu eine Abwärtskorrektur der globalen Fahrzeugproduktions- und Verkaufszahlen für wahrscheinlich, sollte sich die Versorgungslage nicht spürbar entspannen. Besonders betroffen sind dabei Märkte und Regionen, die auf technologisch fortgeschrittene Fahrzeuge mit vielen elektronischen und elektrischen Komponenten setzen.
Insbesondere die kontinuierliche Elektrifizierung des Fahrzeugmarktes erhöht die Anfälligkeit für diese Rohstoffknappheit. Für Automobilfinanzierer und Investoren ist die Magnetkrise ebenfalls von großer Bedeutung. Die möglichen Produktionsverzögerungen und technologischen Kompromisse könnten Einfluss auf die Marktentwicklung, Preisgestaltung und damit letztlich auf die Finanzierungsrisiken und -chancen in der Branche nehmen. Es wird immer wichtiger, bei Finanzierungsentscheidungen die Risiken in der Lieferkette und die strategische Ausrichtung von Herstellern in Bezug auf Rohstoffsicherheit zu berücksichtigen. Zusammenfassend zeigt die Magnetkrise eindrucksvoll, wie tief verwoben heutige Fahrzeugtechnologien mit geopolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind.