Domain-Driven Design (DDD) ist ein Konzept, das seit vielen Jahren vor allem in der Backend-Entwicklung bekannt und geschätzt wird. Es bietet einen klaren Weg, komplexe Geschäftsdomänen in Software verständlich und handhabbar zu gestalten. Doch in der Welt der Frontend-Entwicklung, speziell bei Angular-Anwendungen, herrscht seit geraumer Zeit eine weit verbreitete Verwirrung über den eigentlichen Kern von DDD. Diese Missverständnisse führen leider oft dazu, dass sowohl die Effektivität von DDD als auch der Wert der Frontend-Architektur für komplexe Produkte unterschätzt oder fehlinterpretiert werden. Wer sich mit Domain-Driven Design auseinandersetzt und Angular bevorzugt, sollte daher ein grundlegendes Verständnis dafür entwickeln, was DDD ausmacht, wie es strategisch eingesetzt wird und warum Angular-Frontends kein eigenständiger DDD-Bereich sind.
Denn nur so entfaltet DDD seine volle Kraft – und zwar nicht nur im Backend. Ein gängiges Missverständnis bei Frontend-Entwicklern ist die Gleichsetzung von DDD mit technischen Maßnahmen wie Modularisierung, Monorepos oder state management Tools. Viele betrachten die Strukturierung ihres Angular-Codes anhand von Modulen oder werten den Einsatz von NGRX und Ähnlichem als DDD-fähig. Dieses Denken greift leider viel zu kurz und führt eher weg vom Ziel als hin zu einer wertvollen Geschäftsorientierung. Domain-Driven Design ist keine Methode, um rein technische Architekturen oder Projektstrukturen zu gestalten – vielmehr ist es eine Produkt- und Geschäftsstrategie, die darauf abzielt, komplexe Geschäftslogiken und deren Zusammenarbeit in der Software abzubilden.
DDD beginnt immer mit dem tiefen Verständnis der Geschäftsdomäne und deren Herausforderungen. Im Fall einer medizinischen Terminplanungsanwendung beispielsweise geht es nicht nur darum, Daten in der Benutzeroberfläche anzuzeigen oder zu erfassen. Vielmehr steht die Frage im Vordergrund, wie Patienten Termine buchen, wie die begrenzte Verfügbarkeit von Ärzten und Kliniken verwaltet wird und wie Prozesse wie Abrechnung und Kommunikation ineinandergreifen. Diese komplexen Geschäftsszenarien werden häufig in sogenannte Bounded Contexts aufgeteilt – abgegrenzte Module, die jeweils klare Verantwortlichkeiten und eine eigene Sprache im Sinne der Ubiquitous Language besitzen. Hier liegt der Schlüssel: In DDD sollen die technischen Grenzen von Modulen oder Services immer die Grenzen im Geschäft widerspiegeln und keine rein technischen oder organisatorischen.
Ein häufig übersehener Aspekt ist die Tatsache, dass Frontend und Backend gemeinsam einen Bounded Context bilden. Das bedeutet, dass Frontend-Entwickler, die ausschließlich an der UI arbeiten und ihre Module isoliert von Backend-Diensten betrachten, das Wesen von DDD nicht umsetzen. Das Frontend ist kein unabhängiges Produkt, sondern ein Teil des Gesamtsystems, das zusammen mit Backend, Datenbanken und oft auch mit der Infrastruktur eine kohärente Geschäftsfunktion abbildet. Die Grenzen des Systems werden daher nicht auf der Ebene von Angular-Komponenten oder sogar Frontend-Modulen gezogen. Vielmehr werden sie durch die Geschäftsanforderungen definiert, die sich oft über mehrere technische Schichten erstrecken.
Das C4-Modell zur Architekturbeschreibung hilft hier weiter, um die Ebenen einer Softwarearchitektur zu untersuchen. Auf der Container-Ebene (z.B. Frontend-Bundles oder Backend-Services) mag es verschiedene Deploymenteinheiten geben, doch auf der Komponentenebene entstehen die logischen Zusammenhänge und Abhängigkeiten, die das Geschäft abbilden. Ein Bounded Context sollte daher Frontend, Backend und Datenhaltung umfassen.
Werden diese Schichten einzeln betrachtet, droht ein fragmentiertes Verständnis des Domänenmodells. Weiterhin ist der Begriff der Ubiquitous Language zentral für DDD – eine gemeinsame Sprache, die von allen beteiligten Personen verwendet wird, um Missverständnisse zu minimieren. Im Frontend wird diese Sprache oft nicht konsequent gelebt, da sich Entwickler eher auf technische Begriffe oder Framework-spezifische Konzepte konzentrieren. DDD verlangt, dass diese Sprache sich durch den gesamten Code, Tests, Dokumentationen und Gespräche zieht – und zwar innerhalb eines Bounded Contexts. Diese Semantik ist kein technisches Detail, sondern der Kern der Verständigung über komplexe Geschäftsprozesse.
Taktische DDD-Elemente wie Aggregates, Entities oder Value Objects sind oft Gegenstand hitziger Diskussionen im Frontend, jedoch sind genau diese Elemente meist keine sinnvollen Konzepte auf der Client-Seite. Gründe dafür sind die fehlende Datenpersistenz, keine transaktionsbewältigung und auch kein Direct-Access auf die Ressourcen, die ein Aggregate auf der Serverseite als Konsistenzgrenzen definiert. Anwenden von Aggregates oder Repositories im Frontend verstellt oft mehr den Blick als dass es hilft. So kann etwa das Bezeichnen von Angular Services, die HTTP-Requests ausführen, als Repository zwar technisch korrekt erscheinen, widerspricht aber der semantischen Intention des Musters. Die Fachlogik und Modelltransformationen sind meistens servicesseitig und werden vom Frontend nur konsumiert.
Dieses Missverständnis führt häufig zu „Accidental Complexity“ in Frontend-Systemen, also unnötig komplizierten Architekturen, die mehr Entwicklungs- und Wartungsaufwand verursachen als Nutzen bringen. Frontend-DDD mit vollem Taktik-Set eignet sich nur in Ausnahmefällen und setzt immer ein umfangreiches, übergreifendes Gesamtdesign voraus. Andernfalls generiert man nur „Frontend-DDD-Pseudo-Konzepte“, die echten Geschäftswert kaum steigern. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft das Thema Monorepos, das immer wieder in Zusammenhang mit Frontend-DDD fällt. Bearbeiten von Monorepos ist ein technisches Mittel zur Verwaltung von Quellcode in großen Projekten, bringt aber keinerlei DDD-Prinzipien an sich mit.
Die Organisation des Codes in einem Monorepo oder in mehreren Repositories ist rein technischer Natur und steht in keiner direkten Relation zu den Geschäftsdomänen oder Bounded Contexts. Das Nutzen von Monorepos kann Effizienzvorteile bringen, macht aber kein besseres Domain-Design aus. Im Gegenteil, das Streben nach maximaler Code-Sharing führt oftmals dazu, dass autonome Teams und Module ihre Unabhängigkeit verlieren, was im Widerspruch zu den Kernideen von DDD steht. Das Problem in großen Frontend-Projekten ist oftmals die fehlende klare Trennung von Verantwortlichkeiten und die Vermischung verschiedener Domänenkonzepte innerhalb von Komponenten oder Services. Das führt nicht nur zu schlechter Wartbarkeit, sondern auch zu einem schlechteren Verständnis des eigentlichen Geschäfts.
Die Folge sind schwer skalierbare Architekturen und ein hoher Kommunikationsaufwand zwischen Entwicklungsteams. Das richtige Verstehen von DDD im Frontend-Kontext bedeutet also, sich nicht auf rein technische Framework-bezogene Methoden zu beschränken, sondern stets im gesamten Produktzusammenhang zu denken. Es bedeutet, eng mit Domänen-Experten zusammenzuarbeiten, um die fachlichen Modelle zu ergründen und in der Software abzubilden. Und es bedeutet, das Frontend nicht als isolierte Insel zu begreifen, sondern als einen integrierten Teil der gesamten Domänenlösung. Durch die richtige Anwendung von DDD entstehen klare Grenzen der Geschäftsbereiche, die sowohl in der technischen Architektur als auch in der Organisationsstruktur sichtbar werden.
Frontend und Backend arbeiten dabei Hand in Hand darauf hin, die Geschäftslogik möglichst verständlich, robust und erweiterbar darzustellen. Möglichkeiten wie Context Maps helfen dabei, komplexe Abhängigkeiten zwischen Bounded Contexts zu visualisieren und zu managen. Dabei steht stets der Geschäftskontext im Mittelpunkt – und nicht die Programmiersprache oder das Framework. Angesichts der weit verbreiteten Missverständnisse ist es hilfreich, sich beim Einstieg in DDD nicht von Begriffen wie Entities, Aggregates oder Repositories blenden zu lassen, sondern zuerst das strategische DDD zu erlernen. Dieses beschäftigt sich mit der Erfassung der Geschäftsdomäne, der Abgrenzung von Subdomänen und Bounded Contexts sowie der Etablierung einer Ubiquitous Language.
Dieses Verständnis sollte immer auch die Frontend-Schicht umfassen, jedoch nie isoliert betrachtet werden. Wer neu mit Angular und DDD starten möchte, sollte daher nicht einfach mit reiner Code-Struktur oder Tooling experimentieren, sondern zuerst tief in die fachlichen Anforderungen und Domänenmodelle einsteigen. Die Entscheidung für oder gegen DDD sollte sich maßgeblich an der Komplexität der Domäne und den Kooperationsbedürfnissen der Teams orientieren. Für einfache CRUD-Anwendungen ist DDD meist zu aufwändig. Für hochkomplexe, geschäftskritische Anwendungen aber kann DDD helfen, Chaos zu vermeiden und Skalierbarkeit sicherzustellen.
Schlussendlich ist Domain-Driven Design kein Architektur-Framework wie Hexagonal oder Onion Architecture, sondern eher eine produktzentrierte Haltung und Methodik. Es fordert eine enge Kooperation von Entwicklern, Domänenexperten und Produktverantwortlichen. Angular als Framework kann Teil eines DDD-Systems sein, aber es ist nie DDD für sich allein. Angemessene DDD-Umsetzung erfordert organisationsweite Maßnahmen, Cross-Team-Kommunikation und eine ganzheitliche Sicht auf Produkt und Architektur. Die Pflege einer klaren Ubiquitous Language, die korrekte Abgrenzung von Bounded Contexts, das strategische Vorgehen bei der Modellierung sowie das bewusste Vermeiden von „Frontend-DDD-Fallen“ sind die essenziellen Schritte auf dem Weg zu nachhaltiger und wartbarer Software.
Nur so wird DDD keinen Schaden anrichten, sondern einen tatsächlichen Mehrwert schaffen – auch wenn es um Angular und Frontend-Entwicklung geht. Wer sich also das nächste Mal fragt, wie er DDD im Angular-Projekt angehen soll, dem sei mitgegeben: Denkt produkt- und domänenzentriert, betrachtet Frontend und Backend als Einheit, respektiert die geschäftlichen Zusammenhänge und meidet den Trugschluss, dass DDD auf Framework-Ebene allein gelöst werden könnte. Damit vermeidet man die verbreitete semantische Verwirrung und gestaltet Software, die echten Business Value liefert.