Angst ist ein Gefühl, das viele Menschen kennen. Doch für manche wird sie zur ständigen Begleiterin, zur Last, die das Leben prägt und in ihren schlimmsten Formen lähmt. Vor allem dann, wenn eine Angststörung auf eine andere trifft, entsteht ein Zustand, den man mit Worten kaum ausreichend beschreiben kann: die Angst auf der Angst. Diese Erfahrung ist nicht nur eine Belastung für Körper und Geist, sondern auch für das soziale Umfeld und die Existenz an sich. Wer jahrelang damit vertraut ist, täglich mit inneren Ängsten zu kämpfen, kennt vielleicht das Gefühl der Erschöpfung, die sich plötzlich noch vertieft, wenn neue Herausforderungen hinzukommen.
Dieses Phänomen ist oft komplex und vielschichtig und entzieht sich einfachen Lösungen. Die Geschichte von Menschen, die mit der sogenannten Überschichtung von Ängsten leben, verdeutlicht die Realität vieler Betroffener. Mandy Moore, eine mutige Autorin, beschreibt deren Leben eindrücklich: Die Belastungen eines Traumas wie komplexe posttraumatische Belastungsstörung (CPTSD), die Realität familiärer Entfremdung und finanzielle Unsicherheiten bilden nur den Anfang einer langen Liste an Herausforderungen. In Moores Fall verschärfte sich die Situation drastisch in einem Jahr, als ihr Partner für über zwei Monate im Krankenhaus lag. Sie übernahm die Rolle der medizinischen Bevollmächtigten, des Übersetzers zwischen Ärzten und Patient, und derjenigen, die den Überblick über komplexe medizinische Behandlungen behielt.
Dieser Zustand bedeutet enorme psychische Anspannung und Verantwortung, die überdauernd und erschöpfend ist. Etwas zeitgleich erleben – nämlich dass die geliebte Großmutter im Sterben lag – bedachte Moore mit einer weiteren immensen Belastung. Die emotionale Verarbeitung solcher parallelen Schicksalsschläge fordert ein Anderssein heraus, das nur schwer in Worte zu fassen ist. Für Menschen, die auf diese Weise mit multiplen Belastungen leben, gibt es keine festgeschriebene Anleitung oder Blaupause. Moderne Gesellschaften entwerfen häufig Ideale von erfolgreicher Selbstfürsorge, Selbstverwirklichung und widerstandsfähigem Umgang mit Stress – Begriffe, die sich gerade für Menschen in Überforderungszuständen wie Hohn anfühlen können.
Worte wie „Du bist nicht deine Produktivität“ oder „Ausruhen ist Widerstand“ wirken nicht selten leere Floskeln, wenn der Körper und vor allem der Geist nicht mehr abschalten können. Vielmehr ist das Gefühl ständiger Alarmbereitschaft ein Überlebenstrick – eine Art Schutzmechanismus nach jahrelangen Erfahrungen von Unsicherheit, Gewalt oder emotionalem Verlassenwerden. Für Überlebende von Traumata oder andere vulnerable Gruppen ist Ruhe oft nicht gleichbedeutend mit einem Zustand von Erholung, sondern erinnert an Schwäche oder Gefahr. Das ständige Gefühl, etwas zu verpassen oder die Verantwortung nicht ausreichend zu tragen, führt zu einem Zustand, den man als „Überfunktionieren“ bezeichnen kann. Das ständige Checken von Nachrichten, sozialen Medien, E-Mails oder Jobangeboten – ein Zustand, der an der Oberfläche wie „funktionieren“ aussieht, ist in Wirklichkeit ein Kampf darum, nicht innerlich zu zerbrechen.
Die psychologischen Erklärungen für diese Dynamik lassen sich unter anderem in den Konzepten von Trauma, Bindungstheorie sowie neurobiologischen Reaktionen auf Stress finden. Schmerzliche Erfahrungen aus der Vergangenheit verankern sich tief im Gehirn und erzeugen dauerhafte Hypersensibilität. Im Alltag äußert sich das vor allem in Übererregbarkeit und der Unfähigkeit, zum inneren Frieden zu finden. Gleichzeitig zeigen Untersuchungen, dass Menschen mit solchen Hintergründen häufig unter einem enormen Schamgefühl leiden, weil sie sich mit ihrem Zustand nicht wohlfühlen oder gar das Gefühl haben, in der Gesamtgesellschaft nicht mitkommen zu können. Die Gesellschaft verlangt Leistung, Flexibilität und eine gewisse Anpassungsfähigkeit, während Betroffene tagtäglich einem inneren Chaos trotzen.
Zugleich ist es wichtig, die Stimmen der Betroffenen selbst in den Vordergrund zu stellen. Denn der Weg aus dieser Spirale ist selten von außen vorgegeben. Es gibt kein pauschales Heilrezept, keinen universellen Selbstfürsorge-Leitfaden, der den Schmerz einfach auflöst. Vielmehr ist es ein Prozess, der mit viel Geduld, Verständnis und vor allem Selbstmitgefühl einhergeht. Anerkennung der eigenen Grenzen, das Aufgeben perfektionistischer Erwartungen und konstruktive Unterstützung durch vertraute Personen oder professionelle Begleitung spielen dabei eine wichtige Rolle.
Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für mentale Gesundheit hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Dennoch bleibt gerade das Thema Angst, vor allem in Kombination mit anderen seelischen Belastungen, oft im Schatten. Es besteht die Gefahr, dass Betroffene noch mehr stigmatisiert oder isoliert werden durch das Unverständnis, das Außenstehende zeigen. Dabei ist es essenziell, Räume zu schaffen, in denen Menschen offen über ihre Ängste sprechen können. Narrative, die Betroffene entlasten und Solidarität fördern, tragen wesentlich dazu bei, das Tabu zu brechen.
Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die Rolle von solidarischen Netzwerken. Freundschaften, Familienbeziehungen und Selbsthilfegruppen können dabei helfen, den Alltag ein kleines Stück erträglicher zu machen. Viele Betroffene berichten, dass allein das Gefühl, nicht alleine zu sein mit ihrer Überforderung, schon eine große Erleichterung bedeutet. Die Herausforderungen multipler Angstzustände zeigen sich dabei nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch im sozialen Kontext. Die Balance zwischen Fürsorge für andere – sei es Partner, Kinder oder ältere Angehörige – und der eigenen Gesundheit ist ein Drahtseilakt, der wahre Stärke erfordert.
In der Arbeitswelt wiederum stoßen Menschen mit Angstsymptomatiken oft an Grenzen, die nicht selten Unverständnis mit sich bringen. Das „weiterfunktionieren“ trotz innerer Erschöpfung kann zu chronischem Burnout führen. Der Begriff Burnout greift hier jedoch oft zu kurz, weil er die traumabezogenen Ursachen übersieht. Was viele Betroffene erleben, ist ein Zusammenspiel aus tiefsitzender Angst, dauerhafter Überforderung und einem Mangel an Rückzugsmöglichkeiten. Unternehmen und Institutionen sind gefordert, besser auf die psychischen Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einzugehen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die mentale Gesundheit fördern statt untergraben.
Allein das Aufzeigen dieser komplexen Wirkmechanismen zeigt, wie wichtig eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Angst ist. Angst in ihrer Mehrfachbelastung fordert ein Umdenken in Gesellschaft, Gesundheitswesen und Alltag. Menschen, die diese Last tragen, sind keine Schwachen, sondern Überlebende, deren Stärke oft erst auf den zweiten Blick sichtbar wird. Es gibt keine einfache Wegbeschreibung, wie man „die Angst auf der Angst“ ablegen kann. Doch das Wissen darum, dass man nicht alleine ist und dass das Leben trotz schwerer Zeiten weitergehen kann, lässt Hoffnung keimen.