Die Frage nach dem „Warum“ des Lebens und der zielgerichteten Abläufe in der Biologie hat Philosophen und Wissenschaftler seit Jahrtausenden beschäftigt. Biologische Teleologie – also die Annahme, dass biologische Prozesse auf ein Ziel hin ausgerichtet sind – ist nach wie vor ein zentrales Thema sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der Philosophie. Trotz jahrhundertelanger Bemühungen, teleologische Erklärungen durch mechanistische Modelle zu ersetzen, bleibt Teleologie in der biologischen Erklärung unersetzlich. Die Herausforderung besteht darin, Teleologie natürlich zu erklären, ohne auf mystische Konzepte wie das „élan vital“ oder rückwirkende Kausalität zurückgreifen zu müssen. Stattdessen muss aufgezeigt werden, wie teleologische Kausalität als ein fundamentaler Aspekt lebender Organismen verstanden werden kann, der sich von den Kausalitäten unbelebter Systeme unterscheidet.
Historisch wurde teleologische Kausalität in der Biologie oft durch den Vergleich mit menschlichen zielgerichteten Handlungen erklärt. Bewusste Handlungen zeigen einen inneren Zustand oder eine Vorstellung eines Ziels, die vorab existiert und die Auswahl geeigneter Mittel steuert, um dieses Ziel zu erreichen. Diese „Vorstellung“ erklärt, warum bestimmte Maßnahmen ergriffen werden und andere nicht. Dennoch gelingt es den meisten Theorien nicht schlüssig, die physische Natur dieser Vorab-Repräsentation zu erklären, geschweige denn, wie sie sich zu den komplexen molekularen Prozessen in lebenden Organismen verhält. Es ist unumgänglich, eine naturalisierte Theorie der Teleologie zu entwickeln, die biologische Ziele und Zwecke ohne Mentalität, aber dennoch mit kausaler Wirksamkeit versteht.
Ein wichtiger Schritt hin zu diesem Verständnis besteht in der Einsicht, dass biologische Ziele eher durch „Beschränkungen“ als durch konkrete Gegenstände oder mentale Vorstellungen repräsentiert werden. Als Beschränkungen werden dabei Bedingungen verstanden, die den Verlauf physikalischer oder chemischer Prozesse eingrenzen und lenken. Diese Beschränkungen wirken als Kanäle, durch die Arbeit geleitet wird, so dass energetische und materielle Abläufe in eine zielgerichtete Richtung gelenkt werden können. Sie sind essenziell für den Erhalt und die Fortpflanzung von Organismen, weil sie verhindern, dass Systeme in thermodynamisch terminale, d.h.
inerte Gleichgewichtszustände übergehen. Die zweite Hauptidee ist die Rolle von autogenen Prozessen als Ursprung minimaler Form von Teleologie. Autogenese bezeichnet eine Kombination zweier sich gegenseitig bedingender selbstorganisierender molekularer Prozesse: die reziproke Katalyse und die Selbstassemblierung. Reziproke Katalyse beschreibt eine Kette von katalytischen Reaktionen, bei denen jeder Schritt einen anderen katalytischen Prozess fördert, sodass sich ein sich selbst unterstützender Kreislauf bildet. Selbstassemblierung ist der Vorgang, bei dem Moleküle durch ihre geometrische Komplementarität spontan komplexe Strukturen bilden, zum Beispiel Kapsidhüllen von Viren.
Wenn diese beiden Prozesse lokal gekoppeltt und voneinander abhängig sind, können sie eine höhere Ordnung bilden, die sich über die Summe der Einzelteile hinaushebt. Diese Kopplung führt zur Entstehung eines sogenannten hologenischen Beschränkungsmechanismus. Er repräsentiert keine materielle Eigenschaft einer einzelnen Komponente, sondern die formale Beziehung zwischen den Beschränkungen der einzelnen Prozesse. Das bedeutet, dass die Einheit nicht auf einem festen Stoff beruht, sondern auf dem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis der Beschränkungen, das sich erhalten kann, während die materiellen Substrate ständig ausgetauscht werden. Dadurch entsteht ein individuierter Organismus bzw.
eine Einheit, die über verschiedene Zustände stabil bleibt und auf Schadensereignisse mit Reparaturmechanismen reagieren kann. Dieses Konzept der hologenischen Beschränkung löst ein zentrales philosophisches Problem der Teleologie: die Beziehung zwischen allgemeinen, abstrakten Zielen (dem „Generellen“) und den konkreten physikalischen Prozessen (dem „Partikularen“), durch die sie realisiert werden. Anders als frühere konzeptionelle Ansätze gelingt das Modell, eine kausale Wirkung generalisierter Beschränkungen zu zeigen, weil diese Beschränkungen als physisch wirksame Rahmenbedingungen für energieverbrauchende Prozesse fungieren, die wiederum diese Beschränkungen aufrechterhalten und reproduzieren. Eine weitere wichtige Dimension ist die Normativität biologischer Teleologie. Im Gegensatz zu rein physikalischen Prozessen, die in Richtung terminaler Gleichgewichte verlaufen, sind lebende Systeme instabil und auf dauerhafte Arbeit angewiesen, um sich selbst zu erhalten.
Ihre Existenz ist ein kontinuierlicher Kampf gegen die Zunahme der Entropie, der nur durch das Aufrechterhalten spezifischer Beschränkungen möglich ist. Biologische Teleologie ist somit intrinsisch normativ – Ziele sind nicht bloße Neutralbeschreibungen, sondern Ausdruck von etwas, das aufrechterhalten werden muss, andernfalls würde das System zugrunde gehen. Diese Selbstreferenzialität führt zu einer Valenz, also einem Wertbezug, der aus dem Systeminnern heraus entsteht, ohne externe Beobachterprojektionen zu benötigen. Im Vergleich zu alternativen Erklärungsansätzen – etwa auf Replikation basierenden, rein selbstorganisatorischen oder Autonomie-Theorien – bietet die autogenetische Perspektive eine präzisere, empirisch überprüfbare und konzeptuell schlüssigere Grundlage für die Entstehung teleologischer Kausalitäten. Replikationstheorien betonen zwar die Reproduktion als Kennzeichen des Lebendigen, vernachlässigen jedoch die innere Normativität und die Reparaturmechanismen, die Fehler erkennen und beheben.
Selbstorganisationsmodelle erklären Ordnung und Musterbildung, bleiben aber meist terminal, also der Entropie folgend, und zeigen keine zielgerichteten Abwehrmechanismen gegen Störungen. Autonomie-Modelle abstrahieren zirkuläre Selbstproduktion, gehen jedoch häufig von einer vorausgesetzten materiellen Individuation aus. Das Modell des Autogens adressiert genau diese Probleme, indem es die Kopplung von reziproker Katalyse und Selbstassemblierung, gebunden im hologenischen Constraints, als minimalen Kern biologischer Teleologie definiert. So entsteht eine Systemeinheit, die „für sich selbst“ wirkt – sie ist ihr eigener Nutznießer und kann dadurch als echt teleologisch beschrieben werden. Diese neue Sichtweise bringt auch eine tiefgreifende Veränderung in der Vorstellung von biologischer Repräsentation.
Repräsentationen sind keine mentalen Bilder oder abstrakten Ideen, sondern physische Beschränkungen, die als blueprints oder Vorlagen für die Produktion zukünftiger Zustände dienen. Die Übertragung des hologenischen Constraints von einem materiellen Substrat zum nächsten ermöglicht eine Fortsetzung der Organisation über Zeit hinweg. Es handelt sich dabei um eine Form natürlich eingebetteter, nicht-mentaler Repräsentation, die evolutionär als Vorläufer kognitiver Repräsentationen betrachtet werden kann. Zusammenfassend ermöglicht die Analyse der biologischen Teleologie durch den Fokus auf Beschränkungen und autogenetische Dynamiken, das scheinbar widersprüchliche Puzzle zu lösen, wie Zielorientierung und Zweckmäßigkeit in rein natürlichen physikalisch-chemischen Systemen entstehen. Sie eröffnet Wege, sowohl die Entstehung des Lebens als auch die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten als Graduierungen desselben Grundprinzips zu verstehen.
Der Weg von einfachen autoreparativen molekularen Systemen zu komplexen Organismen mit mentaler Repräsentation ist wohl graduell, wobei die abstrakte Form der hologenischen Beschränkung im einfachsten Fall im Autogen klar hervortritt und bei komplexeren Lebewesen zunehmend durch neurologische und symbolische Prozesse ergänzt wird. Diese Perspektive liefert eine kohärente Erklärung biologischer Teleologie, die sowohl wissenschaftlich fundiert als auch philosophisch tragfähig ist und somit eine Brücke zwischen Biologie, Thermodynamik und kognitiven Wissenschaften schlägt.