Die Erkundung des Universums stellt seit jeher eine der größten Herausforderungen und Faszinationen der Menschheit dar. Mit modernen Weltraumteleskopen wie dem James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) wurden bereits bedeutende Fortschritte erzielt, doch einige der frühesten Epochen unseres Kosmos bleiben noch weitgehend unerforscht. Insbesondere die sogenannten Kosmischen Dunklen Zeitalter, eine Ära zwischen circa 380.000 und einer Milliarde Jahren nach dem Urknall, sind noch von zahlreichen Geheimnissen umgeben. Eine vielversprechende Idee, diese rätselhaften Phasen zu entschlüsseln, ist der Einsatz eines innovativen Radioteleskops auf der Rückseite des Mondes – der Dark Ages Explorer (DEX).
Dieses außergewöhnliche Instrument könnte einen bisher unerreichten Blick auf das früheste Universum ermöglichen. Die Dunklen Zeitalter – eine unsichtbare Ära in der kosmischen Geschichte Nach dem Urknall, vor rund 13,8 Milliarden Jahren, breitete sich das Universum aus, kühlte langsam ab und setzte die Bühne für die ersten Strukturen. Etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall bildeten sich erstmals stabile Atome, vorwiegend neutraler Wasserstoff, und das Universum wurde transparent für Licht. Dies markiert den Anfang der sogenannten Rekombinationsphase, deren Überbleibsel heute als kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (Cosmic Microwave Background, CMB) sichtbar sind.
Anschließend in den Kosmischen Dunklen Zeitaltern gab es außer diesem schwachen Nachglühen keine nennenswerten Lichtquellen. Das Universum war erfüllt vom kalten, neutralen Wasserstoffgas. Keine Sterne oder Galaxien hatten sich gebildet, die das Dunkel durchbrechen konnten. Erst viel später begannen die ersten Sterne und Galaxien zu leuchten, was als Kosmische Morgendämmerung bezeichnet wird. Hier setzten ultraviolette Strahlen ein, die das umgebende Wasserstoffgas wieder ionisierten, was eine entscheidende Phase bei der Entwicklung der kosmischen Struktur darstellt.
Da die Signale aus diesen Phasen extrem dünn und langwellige radiowellenartig sind, erweist sich die direkte Beobachtung vom Erdorbit oder von der Oberfläche der Erde als schwierig. Erdgebundene Radiostörungen und atmosphärische Einflüsse trüben den Empfang dieser Signale beträchtlich. Somit wird ein Ort benötigt, der diese Störquellen weitgehend eliminiert. Der Mond als astronomisches Beobachtungszentrum Die Rückseite des Mondes stellt eine perfekte Kammer für das Hören in das frühe Universum dar. Das Gelände schützt vor Radiofrequenzstörungen von der Erde und die fehlende Atmosphäre führt zu keiner störenden Licht- oder Funkverzerrung.
Zudem gibt es keine wetterbedingten Hindernisse. Diese Faktoren machen den Mond zum idealen Standort für ein Radioteleskop mit höchster Empfindlichkeit und Präzision. Durch zunehmendes Interesse der Weltraumagenturen, darunter NASA, ESA und China, werden derzeit zahlreiche INFRASTRUKTUR- und Forschungsprojekte für den Mond geplant. Das Artemis-Programm der NASA mit einer geplanten Mondstation und die internationale Kooperation für eine bemannte und unbemannte Präsenz auf dem Mond schaffen die Voraussetzungen für die Umsetzung solcher wissenschaftlicher Großprojekte. Der Dark Ages Explorer (DEX) – Konzept und Zielsetzung Eine Gruppe europäischer Forscher unter Leitung von Christiaan Brinkerink hat einen ambitionierten Plan entwickelt, das Radioteleskop DEX auf der mörderischen Rückseite des Mondes zu errichten.
Ziel ist, die ultra-langen Radiowellen des neutralen Wasserstoffs aus den Dunklen Zeitaltern und der Kosmischen Morgendämmerung zu empfangen und präzise zu analysieren. So könnten zentrale Fragen der Kosmologie wie die Entwicklung der Struktur im frühen Universum, die Rolle der Dunklen Materie und die Entstehung der ersten supermassereichen Schwarzen Löcher bearbeitet werden. Das DEX-Observatorium soll umfangreiche Messungen im Frequenzbereich des sogenannten 21-cm-Wasserstoff-Linien-Signals durchführen, welches durch die Hyperfeinstruktur-Übergänge von neutralem Wasserstoff entsteht und über riesige kosmische Distanzen ins lange Radiowellenband verschoben wurde. Die Untersuchung der räumlichen und zeitlichen Variationen dieses Signals wird als Schlüssel zur „Filmaufnahme“ der Entwicklung des frühen Universums angesehen – sogenannte Kosmische Tomographie. Technische Herausforderungen und Lösungen Der Bau eines solchen Observatoriums auf dem Mond stellt enorme Ingenieursaufgaben.
Für einen wissenschaftlich relevanten Betrieb wird ein Netzwerk von mindestens 32x32 Antennen benötigt, verteilt über eine Fläche von etwa 200x200 Metern. Diese Dimensionen sind notwendig, um die Auflösung und Empfindlichkeit für die Beobachtung der feinen Strukturen in den Radiowellen zu gewährleisten. Die Experten favorisieren den Standort in einem möglichst flachen Krater der südlichen Mondhälfte, wo sowohl Temperaturspitzen moderater ausfallen als auch eine bessere Anbindung an geplante Mondbasen und Satelliten ermöglicht wird. Die extremen Temperaturschwankungen auf dem Mond verlangen den Einsatz spezieller, temperaturbeständiger Sensoren und Verstärker. Zudem wird eine innovative Antennenstruktur aus ultraleichten Folien vorgeschlagen, die per Aufrollen, Aufblasen oder Ausklappen eingesetzt werden kann, um das Gewicht und das Volumen von Transporten zu minimieren.
Energieversorgung und Datenübertragung sollen dezentral erfolgen, um Kabelgewirr und Gewicht zu reduzieren. Optische Fasern oder drahtlose Hochfrequenzsysteme sind vielversprechende Ansätze, wenngleich das Risiko eigener elektromagnetischer Störungen gut gemanagt werden muss. Jedes Antennenelement muss millimetergenau positioniert und stabil verankert werden, um die wissenschaftliche Qualität der Daten sicherzustellen. Bezug zur aktuellen Forschung und kosmologische Bedeutung Das Interesse an der Erforschung der Dunklen Zeitalter wurde durch die überraschenden Entdeckungen des JWST und bodengebundener Experimente wie EDGES nochmals verstärkt. Beide fanden Hinweise auf frühe, sehr hellen Galaxien und größere als erwartete „Samen“ supermassereicher Schwarzer Löcher, die bisherigen Modellen widersprechen.
So genannte „Spannungen“ zwischen theoretischen Vorhersagen und Beobachtungsdaten regen neue Hypothesen zu frühen galaktischen Entwicklungsprozessen an. Das DEX würde es ermöglichen, diese unerwarteten Phänomene mit direktem Blick auf das Wasserstoffsignal genauer zu verstehen und mit detaillierten zeitlichen Abfolgen zu untersuchen. Damit können grundlegende Fragen zu Verdichtung von Materie, Rolle der Dunklen Materie und dem Einfluss starker Strahlungsquellen geklärt werden. Internationale Zusammenarbeit und zukünftige Perspektiven Die Realisierung eines lunaren Radioteleskops bedarf der Kooperation vieler Raumfahrtagenturen und Forschungsinstitute. Die ESA arbeitet seit 2020 mit ihrem Astrophysical Lunar Observatory Topical Team (ALOTT) und weiteren Partnern am Design und den möglichen Umsetzungswegen für dieses Projekt.
Die bisherigen Studien bestätigen, dass die Technologie von heute bereits die Grundsteine für ein solches Observatorium legt, auch wenn die nötige Antennenanzahl zurzeit noch nicht wirtschaftlich realisierbar ist. Der langfristige Plan sieht vor, zuerst kleinere Demonstrationsanlagen aufzubauen, um Technologien zu testen und den wissenschaftlichen Betrieb zu beweisen. Fortschritte in Materialtechnologien, Robotik und Energieversorgung, die auch Anwendungen bei kleinen Satelliten und auf der Erde finden, werden zu einem kontinuierlichen Fortschritt führen. Fazit Das Konzept des Dark Ages Explorer stellt einen Meilenstein für die zukünftige Kosmologie dar. Ein Radioteleskop auf der mondabgewandten Seite könnte einzigartige Einblicke in die bislang verborgenen Abschnitte der frühesten Universumsgeschichte geben.
Neben wissenschaftlichen Antworten auf fundamentale Fragen eröffnet dieses Vorhaben zudem auch eine spannende Schnittstelle zu technischen Innovationen und zu einer verstärkten internationaler wissenschaftlicher Kooperation im Zeitalter der Mondexploration. Die nächsten Jahrzehnte könnten somit die bislang dunkelsten Kapitel des Kosmos erstmals in deutliches Licht rücken, und das dank eines Beobachtungspunktes auf unserem nächsten Himmelskörper – dem Mond.