In einer zunehmend digitalisierten Welt nimmt der Einfluss von künstlicher Intelligenz (KI) auf die Wissensarbeit immer mehr zu. KI-Systeme revolutionieren die Weise, wie Aufgaben erledigt werden, indem sie viele Produktionsprozesse automatisieren und drastisch beschleunigen. Doch während sich die Geschwindigkeit der Arbeitserstellung vervielfacht, erleben wir einen neuen Engpass – die menschliche Fähigkeit, diese Flut an Ergebnissen zu bewerten, zu entscheiden und zu lenken. Dieser Informationsstau, der auch als „Knowledge-Work Supply-Chain Crisis“ oder Krise der Wissensarbeits-Lieferkette bezeichnet werden kann, verlangt nach einem grundlegenden Umdenken in der Gestaltung von Arbeitsabläufen und Entscheidungsprozessen. Die Dynamik hinter diesem Wandel beruht auf einem zentralen Missverhältnis: KI-basierte Systeme sind besonders gut darin, Aufgaben zu produzieren – zum Beispiel das Erstellen von Code, das Generieren von Texten oder das Automatisieren von Testverfahren.
Dabei können sie – basierend auf erlernten Mustern – sehr schnell und zuverlässig Wiederholbares erledigen. Allerdings stoßen diese Systeme dort an Grenzen, wo es um subjektive Bewertungen und komplexe, wertorientierte Entscheidungen geht. Die „Meaning-Making“-Fähigkeit, also das menschliche Vermögen, den Wert und die Relevanz von Informationen und Ergebnissen einzuschätzen, lässt sich nicht leicht automatisieren. Dieses Ungleichgewicht führt dazu, dass Mitarbeitende zunehmend mit einer enormen Menge an von KI generierten Ergebnissen konfrontiert sind, die sie prüfen, beurteilen und gegebenenfalls anpassen müssen. Ein Beispiel aus der Softwareentwicklung illustriert dies deutlich: Während eine KI dutzende neue Programmieränderungen (Pull Requests) über Nacht erstellen kann, muss ein menschlicher Entwickler diese aktiv durchsuchen und entscheiden, welche Änderungen sinnvoll, nachhaltig und konform mit den Projektzielen sind.
Hier entsteht der Flaschenhals, der die Durchlaufzeit und letztlich auch die Qualität der Arbeitsergebnisse beeinflusst. Die traditionellen Werkzeuge und Arbeitsmethoden, die Wissenstätige nutzen, sind nicht darauf ausgelegt, mit dieser neuen Realität umzugehen. Code-Review-Tools, Projektmanagementplattformen und Testmanagement-Systeme sind oft noch auf eine begrenzte Anzahl von Aufgaben pro Tag ausgelegt. Mit KI entstehen jedoch Aufgaben im Vielfachen, was zu einer Überforderung führt und die Effizienz ins Stocken bringt. Dies wirkt sich nicht nur auf die Produktivität aus, sondern beeinflusst auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden negativ.
Studien zeigen, dass die Automatisierung von kreativen und ideenbasierten Tätigkeiten durch KI zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitszufriedenheit führt, da der Anteil an monotoner Kontrollarbeit steigt. Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, Arbeitsprozesse radikal neu zu denken. Die Effizienzsteigerung durch KI in der Produktion erfordert eine entsprechende Anpassung der Systeme und Tools, die für die Beurteilung, Entscheidungsfindung und Steuerung zuständig sind. Die kognitive Grenze des Menschen wird zum zentralen Faktor, der auch bei zunehmender Automatisierung nicht überschritten werden darf. Dadurch entsteht ein Paradigmenwechsel: Wissensarbeit wandelt sich von einem primär produktionsorientierten Prozess zu einer Phase, die vor allem auf schnelle und präzise Entscheidungen abzielt.
In diesem Zusammenhang gewinnen neue Fähigkeiten an Bedeutung. Während früher kreative Produktion, Programmierung oder die Generierung neuer Inhalte im Fokus stand, rückt heute die Rolle des Entscheiders und Evaluators in den Vordergrund. Menschliche Kompetenzen wie kritisches Denken, strategische Bewertung und ethische Abwägung sind essenzieller denn je. Der Entscheidungsprozess ähnelt dabei dem sogenannten OODA-Loop-Modell (Beobachten, Orientieren, Entscheiden, Handeln), bei dem KI verstärkt die Phasen des Orientierens und Handelns übernimmt, während Menschen das Beobachten und Entscheiden steuern. Die Anpassung an diese veränderten Anforderungen erfordert jedoch mehr als individuelle Weiterqualifikation.
Unternehmen müssen ihre organisatorischen Strukturen und technologischen Plattformen neu ausrichten. Tools müssen so gestaltet werden, dass sie die kognitive Last der Mitarbeitenden verringern, etwa durch Priorisierung von Aufgaben, automatisierte Filtermechanismen oder kollaborative Entscheidungsfindung. Gleichzeitig ist es notwendig, klare Wertmaßstäbe und Guidelines zu formulieren, die als Rahmen für KI-Systeme und menschliche Entscheidungen dienen. Eine der zentralen Herausforderungen wird es zudem sein, wieder mehr Zufriedenheit und Sinnhaftigkeit in der Wissensarbeit sicherzustellen. Wenn Fachkräfte zunehmend als Entscheider oder Qualitätssicherer tätig sind, muss dieser neue Arbeitsaspekt angemessen gestaltet und anerkannt werden, um Frustration zu vermeiden und Motivation zu fördern.
Dabei kann auch die Ausgestaltung der Unternehmenskultur eine wichtige Rolle spielen, indem sie Offenheit für technologische Innovationen mit einem starken Fokus auf menschliche Teilhabe verbindet. Es ist zu erwarten, dass sich die Lage in den kommenden Jahren weiter zuspitzen wird, da KI-Anwendungen immer leistungsfähiger werden und noch mehr Aufgaben übernehmen. Erste Ansätze der Automatisierung bei der Bewertung und Prüfung durch KI sind zwar denkbar, doch der fundamentale Engpass bei übergeordneten Wertentscheidungen und strategischer Ausrichtung bleibt weiterhin menschlich geprägt. Dies bedeutet, dass Unternehmen und Mitarbeitende gleichermaßen gefordert sind, sich proaktiv auf diese Transformation einzustellen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wissensarbeits-Lieferkette unter dem Druck der KI-getriebenen Automatisierung vor einem tiefgreifenden Wandel steht.
Die klassischen Engpässe in der Produktion verlagern sich auf die menschliche Entscheidungs- und Bewertungsebene. Wer diese Entwicklung frühzeitig erkennt und seine Prozesse, Tools und Kompetenzen gezielt anpasst, wird im neuen Zeitalter der Wissensarbeit einen Wettbewerbsvorteil sichern. Für die gesamte Arbeitswelt bedeutet dies eine spannende Phase der Transformation, die nicht nur technologische Innovationen, sondern vor allem eine neue Balance zwischen Maschine und Mensch erfordert.