Der Aktienmarkt befindet sich derzeit an einem entscheidenden Punkt, der nach Ansicht des Investmentstrategen Keith Lerner dazu führen könnte, dass die Kurse bald stagnieren oder sogar fallen. Die Gründe für diese Einschätzung sind vielfältig und basieren sowohl auf wirtschaftlichen Faktoren als auch auf der Stimmung der Investoren. Lerner, Co-Chief Investment Officer von Truist Advisory Services, sieht die Entwicklung des S&P 500 Index mit großer Skepsis und warnt, dass die bisherige Erholung nach dem Einbruch im Frühjahr 2025 nur begrenztes Aufwärtspotenzial hat. Nach einem Einbruch von fast 19 Prozent seit dem Hoch im Februar hat sich der Markt zwar um etwa zehn Prozent erholt, doch dieser Anstieg beruht vor allem auf einer Ausweitung der Bewertungen – sprich, die Anleger zeigen sich zuversichtlicher in Bezug auf wirtschaftliche und unternehmerische Zukunftsaussichten. Allerdings plant Lerner derzeit keine schnelle wirtschaftliche Erholung, schon gar nicht in den USA, da sowohl fiskalische als auch geldpolitische Impulse begrenzt sind.
Im Vergleich zu Europa und Japan, wo Regierungen und Zentralbanken weiterhin expansive Maßnahmen ergreifen, ist die Unterstützung in den Vereinigten Staaten zurückhaltender. Zusätzlich beeinflussen politische Faktoren wie die Ankündigung der 90-tägigen Aussetzung von Zollerhöhungen unter der Trump-Administration die Märkte: Solche Maßnahmen dämpfen vorerst die unmittelbaren Risiken, bieten aber keine langfristigen Wachstumsgarantien. Die Rezessionswahrscheinlichkeit, die früh im Jahr von den Märkten auf bis zu 80 Prozent geschätzt wurde, wurde durch diese Entwicklungen etwas relativiert, doch dies bedeutet nicht, dass die Unsicherheit verschwunden ist. Tatsächlich bleibt das Risiko einer wirtschaftlichen Abschwächung hoch, was die Bereitschaft der Investoren, bei schlechten Nachrichten wieder zu verkaufen, erhöhen könnte. Die Bewertung des S&P 500 anhand des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) hat sich von rund 22 zu Beginn der Marktkorrektur auf etwa 20 reduziert, was einer gewissen Vorsicht entspricht.
Dennoch argumentiert Lerner, dass diese Bewertung angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Perspektiven nicht weiter ansteigen dürfte. Dabei ist das KGV nicht nur eine rein finanzielle Kennzahl, sondern spiegelt vor allem das Vertrauen der Anleger in die zukünftig zu erwartenden Gewinne wider. Wenn sich die Stimmung dreht und die Furcht vor einer Rezession zurückkehrt, könnten die Bewertungen rasch wieder sinken. Für Aktienanleger bedeutet dies eine erhöhte Volatilität und ein schwieriger werdendes Umfeld, in dem Kursgewinne schwer zu erzielen sein könnten. Besonders sensibel reagieren Anleger auf neue wirtschaftliche Daten oder politische Ereignisse, die als negativ interpretiert werden können.
Die Aussicht auf steigende Zinssätze oder die Möglichkeit einer restriktiveren Geldpolitik durch die Federal Reserve gehören zu den wichtigsten Unsicherheitsfaktoren. Lerner erwartet nicht, dass die Fed ihre Zinsstruktur in nächster Zeit erleichtert, was für Wachstumsaktien und besonders für technologieorientierte Unternehmen, die auf günstige Finanzierung angewiesen sind, problematisch sein könnte. Trotz der anhaltenden Attraktivität von Teilbereichen wie künstliche Intelligenz und Technologieunternehmen, die durch positive Gewinnmeldungen unterstützen, könnte sich die positive Dynamik abschwächen, sobald die wirtschaftliche Realität härter durchschlägt. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass die Frühjahrsrally des Jahres 2025 teilweise auf Erwartungen an wachstumsfördernde Maßnahmen unter Präsident Donald Trump basierte. Diese Hoffnungen scheinen sich zunehmend zu zersetzen, da wichtige politische Entscheidungen verzögert oder nur eingeschränkt umgesetzt werden.
Dies trägt ebenfalls dazu bei, dass Anleger vorsichtiger agieren. Ein weiterer Aspekt, der die Marktentwicklung beeinflusst, ist die psychologische Komponente: Nach einer Korrektur von fast 19 Prozent waren die Anleger zunächst sehr pessimistisch eingestellt – fast so, als sei das Schlimmste bereits eingepreist. Der jüngste Kursanstieg sorgte dafür, dass sich die Stimmung verbessert hat, aber laut Lerner kann dies zu einem falschen Sicherheitsgefühl führen. Wenn nun neue negative Nachrichten eintreffen, könnten viele Investoren schnell in Panik geraten und Positionen abbauen, was wiederum zu einer schnelleren Abwärtsbewegung führen kann. Die Unsicherheit wird zusätzlich durch globale Faktoren verstärkt.
Handelskonflikte, geopolitische Spannungen und die Entwicklung der Weltwirtschaft insgesamt bleiben Dauerbrenner, die den US-Aktienmarkt unter Druck setzen. Das Risiko eines künftig schärferen Handelsstreits ist trotz der temporären Aussetzung von Zöllen nicht gebannt, und neue Eskalationen könnten die ansonsten fragile Erholung zunichtemachen. Anleger sollten diese Risiken sorgfältig abwägen und sich nicht nur auf kurzfristige Kursbewegungen verlassen. Aus Sicht eines strategisch denkenden Investors ist ein diversifiziertes Portfolio, das auch defensive Anlageformen enthält, derzeit ratsam. Die Volatilität an den Aktienmärkten könnte in den nächsten Monaten zunehmen, was sich in stärkeren Schwankungen niederschlagen wird.
Unternehmen mit soliden Bilanzen und stabilen Cashflows könnten sich besser behaupten als risikoreichere Wachstumswerte. Auch eine Ressourcenausrichtung auf Sektoren, die von der aktuellen wirtschaftlichen Lage profitieren oder zumindest weniger anfällig sind, erscheint sinnvoll. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Positionierung des S&P 500 kurz vor einer wichtigen Widerstandsmarke steht, die laut Keith Lerner nicht einfach zu knacken sein wird. Das Aufwärtspotenzial im kurzfristigen Bereich wird auf maximal fünf Prozent gesehen, während das Risiko eines Rücksetzers von zehn Prozent oder mehr besteht, wenn das Niveau von rund 4,835 Punkten erneut getestet wird. Diese Einschätzung fordert von Anlegern ein wachsames Auge auf die wirtschaftlichen Entwicklungen, die Geldpolitik sowie politische Entscheidungen und unterstreicht die Notwendigkeit, das eigene Portfolio auf mögliche Turbulenzen vorzubereiten.
Die Märkte befinden sich an einem Scheideweg, und nur diejenigen werden langfristig erfolgreich sein, die sich auf die steigende Unsicherheit einstellen und nicht blind auf eine rasche Erholung setzen.