Die Korallenriffe der Karibik stehen vor einer ernsthaften Bedrohung durch eine verheerende Krankheit namens Stony Coral Tissue Loss Disease (SCTLD). Diese Krankheit hat seit ihrem Auftreten im Jahr 2014 in Florida schnell weite Teile der Korallenpopulationen infiziert und breitet sich rasch in die gesamte Karibik aus. Die Folgen sind dramatisch: Korallen verlieren binnen Wochen bis Monaten weite Teile ihres Gewebes, was zum Absterben großer Kolonien führt und die gesamte Riffstruktur schwächt. Mit mehr als 30 betroffenen Arten stellt SCTLD eine außergewöhnliche Gefahr dar, die den marinen Lebensraum und die Biodiversität massiv gefährdet. Wissenschaftler haben nun durch Forschungen der Smithsonian Institution eine vielversprechende Methode entdeckt, wie sich dieser bedrohliche Prozess zumindest verlangsamen lässt.
Der Einsatz von Probiotika als Behandlungsmöglichkeit eröffnet neue Perspektiven im Kampf gegen die Krankheit und könnte einen Wendepunkt im Erhalt der Korallenriffe bedeuten. Korallenriffen kommt im Ökosystem eine zentrale Rolle zu. Sie dienen nicht nur als Lebensraum für viele Meeresorganismen, sondern schützen Küsten vor Erosion, unterstützen Fischereiindustrien und tragen zum globalen Kohlenstoffkreislauf bei. Die bedrohliche Entwicklung durch SCTLD wirkt diesem komplexen System massiv entgegen. Die Krankheit heißt nicht umsonst stony coral tissue loss disease, denn sie zerstört gezielt das lebendige Gewebe der Korallen und hinterlässt weiße Kalkskelette, die kaum noch stabil und widerstandsfähig sind.
Bislang waren die Möglichkeiten, betroffene Korallen zu retten, begrenzt, da die bisherige Standardbehandlung auf dem Antibiotikum Amoxicillin beruht. Diese Behandlung muss regelmäßig erneuert werden, ist zeit- und kostenaufwändig und birgt zudem die Gefahr, dass resistente Bakterienstämme entstehen, die die Krankheit weiter unkontrollierbar machen. Vor diesem Hintergrund haben Wissenschaftler der Smithsonian’s National Museum of Natural History und der Smithsonian Marine Station eine innovative Alternative entwickelt, die auf den natürlichen Abwehrmechanismen der Korallen basiert. Die Forschenden konzentrierten sich auf probiotische Bakterien, die das Mikrobiom der Korallen unterstützen und stärken können. Ähnlich wie beim Menschen, dessen Gesundheit stark von einer ausgewogenen Darmflora abhängt, tragen die vielfältigen Mikroorganismen auf und in Korallen entscheidend zu deren Abwehr gegen Krankheitserreger bei.
Die Forschung begann mit der Analyse von Korallenarten, die von SCTLD nicht befallen wurden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler isolierten mehr als 200 verschiedene Bakterienstämme aus dem Gewebe und Schleim dieser resistenten Korallen und identifizierten dabei besonders wirksame Kandidaten. Ein herausragender Vertreter ist die Bakterienart Pseudoalteromonas sp. McH1-7, die aus der Großen Sternkoralle (Montastraea cavernosa) stammt. Dieses Probiotikum zeichnet sich durch seine Fähigkeit aus, mehrere antibakterielle Substanzen zu produzieren, die den Erreger der SCTLD effizient hemmen können.
Laboruntersuchungen bestätigten die Wirksamkeit von McH1-7, als das Probiotikum auf lebende Korallenstücke angewandt wurde, die bereits an SCTLD litten. Die Ergebnisse zeigten, dass die weitere Ausbreitung der Krankheit signifikant verlangsamt werden konnte. Diese Erkenntnisse waren ein wichtiger Meilenstein, doch entscheidend war der Nachweis der Wirkung unter natürlichen Bedingungen, also auf den Korallenriffen selbst. Ab 2020 führten die Forscher umfangreiche Feldversuche an einem Riff nahe Fort Lauderdale in Florida durch. Dabei behandelten sie 40 infizierte Kolonien der Großen Sternkoralle mit verschiedenen Methoden: Die eine Gruppe erhielt eine Paste, die mit dem Probiotikum versetzt war, und diese wurde direkt auf die krankhaften Stellen aufgetragen.
Die andere Gruppe wurde mit einer Lösung behandelt, die das Bakterium enthielt, wobei die gesamte Korallenoberfläche mittels eines speziellen Beutels umhüllt wurde, um eine längere und gleichmäßige Einwirkung zu gewährleisten. Die anschließende zweieinhalbjährige Beobachtungsphase brachte eindeutige Ergebnisse. Die Behandlung, bei der das Probiotikum auf das gesamte Korallenpolster mittels Beutel und Lösung aufgetragen wurde, verlangsamte effektiv die Ausbreitung der SCTLD. Überraschenderweise zeigte sich, dass die Paste, die gezielt auf die krankhaften Stellen appliziert wurde, weniger wirksam war; die betroffenen Korallen verloren teilweise sogar mehr Gewebe als unbehandelte Korallen. Diese Erkenntnis unterstreicht die Bedeutung einer stabilen und ausgewogenen Kolonie besiedelnder Mikroorganismen, die durch eine flächendeckende Behandlung gestärkt werden können, anstatt nur die symptomatischen Stellen zu bekämpfen.
Die Ergebnisse der Smithsonian-Studien sind ein Hoffnungsschimmer inmitten der alarmierenden Verluste, die die Karibikriffe in den letzten Jahren erlebt haben. Die Probiotika wirken als natürliche Verbündete der Korallen, indem sie deren eigenes Mikrobiom optimieren und den Pathogenen die Lebensgrundlage entziehen. Langfristig könnte diese Methode die Abhängigkeit von Antibiotika reduzieren und so nicht nur ein nachhaltigeres Mittel zur Krankheitsbekämpfung darstellen, sondern auch unerwünschte Nebenwirkungen vermeiden. Dennoch gibt es noch Herausforderungen. Die Effekte der Behandlung scheinen regional unterschiedlich zu sein, wie erste Untersuchungen an Korallenriffen in den Florida Keys zeigen.
Dies könnte an variierenden Umweltbedingungen, unterschiedlichen Pathogenvarianten oder individuellen Strukturen der Mikrobiome liegen. Daher forschen die Wissenschaftler weiterhin daran, die Methode auf weitere Arten und Gebiete anzupassen und die optimale Anwendungsweise zu finden. Die Erforschung natürlich vorkommender probiotischer Bakterien ist Teil eines größeren Trends in der Meeresbiologie, der darauf abzielt, die natürlichen Abwehrkräfte mariner Organismen zu nutzen. Diese Herangehensweise unterstützt nicht nur den Erhalt einzelner Arten, sondern trägt auch zum Schutz ganzer Ökosysteme bei, die auf komplexe Wechselwirkungen angewiesen sind. Korallenriffe profitieren hierbei besonders, da ihre Gesundheit maßgeblich von einem vielfältigen und stabilen Mikrobiom abhängt.
Darüber hinaus leisten diese Erkenntnisse auch einen Beitrag zur globalen Klimaschutzdebatte. Gesunde Korallenriffe sind weniger anfällig für Korallenbleiche, den Anstieg der Meerestemperaturen und andere Stressfaktoren, die mit dem Klimawandel verbunden sind. Indem die Verbreitung von Krankheiten wie SCTLD eingedämmt wird, bleibt die Widerstandskraft der Riffe erhalten, was langfristig Schutz für Küstenlinien und marines Leben bietet. Die Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen – einschließlich der Smithsonian Institution, Universitäten und Umweltbehörden – unterstreicht die interdisziplinäre Bedeutung dieses Forschungsfeldes. Die Integration von mikrobiologischen, ökologischen und marinen Wissenschaften schafft umfassende Lösungsansätze für komplexe Umweltprobleme.