Das Universum birgt immer wieder Rätsel, die unser Verständnis von dessen Ursprung und Entwicklung herausfordern. Eines der jüngsten und faszinierendsten Phänomene, die Astronomen in den Tiefen des Alls entdeckt haben, sind die sogenannten kleinen roten Punkte, auch „Little Red Dots“ (LRDs) genannt. Diese kosmischen Objekte, die erst durch die Daten des James-Webb-Weltraumteleskops (JWST) ans Licht gekommen sind, könnten unser Bild von Galaxien, schwarzen Löchern und der frühen Phase des Kosmos grundlegend verändern. Das James-Webb-Teleskop wurde Ende 2021 ins All gebracht und gilt als das leistungsstärkste Teleskop, das je in den Weltraum geschickt wurde. Seine Fähigkeit, tiefer als je zuvor ins Universum und somit weiter zurück in der Zeit zu blicken, hat schnell zu revolutionären Erkenntnissen geführt.
Bereits zu Beginn seiner Forschung begann JWST, neue kosmische Objekte zu identifizieren, die bisher unbekannt waren. Die kleinen roten Punkte sind eines dieser Mysterien und fesselten bald die Aufmerksamkeit der Astronomie-Community weltweit. Diese kleinen, rot leuchtenden Galaxien erschienen erstmals im Rahmen der Cosmic Evolution Early Release Science Survey (CEERS). Schon bald kamen weitere Daten von zusätzlichen Programmen wie dem JWST Advanced Deep Extragalactic Survey (JADES) und dem Next Generation Deep Extragalactic Exploratory Public Survey (NGDEEPS) hinzu, die die Zahl der bekannten LRDs auf etwa 340 anwachsen ließen. Die Bedeutung dieser Objekte liegt nicht nur in ihrer einzigartigen Erscheinung, sondern auch in den Fragen, die sie aufwerfen.
Typischerweise haben die kleinen roten Punkte einen Durchmesser von maximal 500 Lichtjahren – das entspricht gerade einmal einem Hundertstel des Radius unserer Milchstraße. Trotz dieser geringen Größe strahlen sie enorm hell, was in der Astronomie aufs Größte erstaunt, denn solche Leuchtkraft wird normalerweise mit massereichen Galaxien in Verbindung gebracht. Ihre rote Erscheinung weist darauf hin, dass sie entweder überwiegend rotes Licht aussenden oder blaues Licht von kosmischem Staub gefiltert wird. Überraschenderweise fehlen jedoch eindeutige Hinweise auf UV-blockierende Staubwolken, die das für die rote Farbe verantwortlich sein könnten. Eine der wichtigsten Fragen ist, ob die extreme Helligkeit dieser kompakten Objekte durch die vielen Sterne oder etwa durch supermassereiche schwarze Löcher erzeugt wird.
Ersteres würde bedeuten, dass in extrem kleiner räumlicher Ausdehnung eine enorme Anzahl alter Sterne mit einer Gesamtsternzahl von bis zu 100 Milliarden existiert – praktisch so viele wie in der gesamten Milchstraße. Allerdings widerspricht dies bisherigen Modellen der Galaxienbildung, da es im frühen Universum anhand von Zeitskalen und verfügbaren Materialien schwer vorstellbar ist, dass solche massereichen Sternpopulationen in so kurzer Zeit wachsen konnten. Die zweite Möglichkeit ist, dass sich im Zentrum der kleinen roten Punkte supermassereiche schwarze Löcher befinden, deren Akkretionsprozesse die immense Leuchtkraft erzeugen. Im heutigen Universum besitzen die meisten Galaxien ein solches schwarzes Loch in ihrem Zentrum, aber bei LRDs sind die Verhältnisse ungewöhnlich: Die Masse des schwarzen Lochs könnte bis zu 10 bis 50 Prozent der Gesamtmasse des Objekts ausmachen – ein massiver Unterschied zu den 0,1 Prozent, die wir bei lokal beobachteten Galaxienverhältnissen kennen. Diese Tatsache wirft fundamentale Fragen zur Entstehung und Wachstumsgeschwindigkeit supermassereicher schwarzer Löcher auf.
Es wirkt fast wie ein kosmischer Gegensatz: Ein extrem heller und winziger Punkt, der entweder eine Riesenzahl alter Sterne in sich birgt oder ein ungewöhnlich großes schwarzes Loch mit außergewöhnlichen Bedingungen rundherum. Interessanterweise zeigen neue Studien aus dem RUBIES-Projekt (Red Unknowns: Bright Infrared Extragalactic Survey), dass bei über 70 Prozent der LRDs Spektren vorhanden sind, die auf stark rotierende Gase hindeuten – ein typisches Zeichen von aktiven galaktischen Kernen, also von akkretierenden schwarzen Löchern. Doch trotz dieser Hinweise bleibt ein großes Rätsel, warum LRDs kaum UV- und Röntgenstrahlung aussenden, wie es bei aktiven Schwarzen Löchern üblich wäre. Während man zunächst Staub als Ursache für die Absorption der UV-Strahlung vermutete, konnten aktuelle Untersuchungen diesen Zusammenhang nicht bestätigen. Diese Diskrepanz zwischen der erwarteten und tatsächlichen Strahlenemission sorgt für anhaltende Diskussionen und die Suche nach neuen Modellen, die dieses parallele Auftreten von hoher Leuchtkraft bei gleichzeitig fehlender typischer Hochenergie-Strahlung erklären.
Astrophysiker schlagen dafür verschiedene Theorien vor: Ein Ansatz geht davon aus, dass es sich bei den kleinen roten Punkten um eine Übergangsphase handelt, in der besonders intensive Akkretionsprozesse mit turbulenter Gasumgebung ein Zusammenspiel aus schwarzem Loch und alter Sternpopulation bilden. Manche Wissenschaftler sprechen daher von sogenannten "Black Hole Stars", also von supermassereichen schwarzen Löchern, die sich in dichten Gaswolken befinden und dadurch das strahlende Spektrum beeinflussen. Ein anderes wichtiges Thema in diesem Kontext ist der Ursprung der supermassereichen schwarzen Löcher selbst. Die Forschung sieht zwei Hauptwege: Zum einen könnten viele kleine schwarze Löcher durch Zusammenstöße und schnelles Wachstum im frühen Universum zu sehr großen Objekten verschmelzen. Zum anderen könnte es bereits massive „Saatkörner“ schwarzer Löcher gegeben haben, die als frühe Grundlage dienten.
Die kleinen roten Punkte könnten wichtige Hinweise darauf sein, unter welchen Umweltbedingungen das schnelle Wachstum dieser Schwarzen Löcher möglich wurde. Die Tatsache, dass LRDs nur im frühen Universum existierten, deren Auftrittszeitraum etwa 600 Millionen Jahre nach dem Urknall beginnt und sich bis etwa 1,5 Milliarden Jahre nach dem Big Bang erstreckt, deutet darauf hin, dass es sich um ein temporäres, evolutives Phänomen handelt. Sie könnten Vorläufer von späteren galaktischen Populationen oder aktive Entwicklungsstadien übergangener Himmelskörper sein. Ihre genaue Rolle in der kosmischen Geschichte bleibt jedoch bisher unklar. Um diese und weitere Fragen zu klären, sind vielfältige Beobachtungen auf unterschiedlichen Wellenlängen unabdingbar.
Zukünftige Messungen in Röntgen- und Radiofrequenzen sowie detaillierte Analysen von Spektrallinien könnten weitere Erkenntnisse zu ihrer Zusammensetzung und zur Dynamik liefern. Die astronomische Gemeinschaft wartet gespannt auf die nächste Beobachtungsrunde des JWST, welche speziell darauf ausgelegt ist, LRDs genauer zu untersuchen. Dabei spielen Variabilitätsstudien eine tragende Rolle. Verändern sich die Helligkeiten der kleinen roten Punkte über kurze Zeiträume, stärkt dies die Hypothese um aktive galaktische Kerne und Schwarze Löcher als Leuchtquelle. Auffällige, charakteristische Absorptionslinien und Balmer-Brüche im Spektrum könnten dagegen auf eine große Bevölkerungszahl alter Sterne in einem kompakten Raum verweisen.