Der Fachkräftemangel im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) in Großbritannien hat sich laut aktueller Umfragen von Technologie-Experten innerhalb eines Jahres drastisch verschärft. Über die Hälfte der Technologie-Führungskräfte beklagen inzwischen einen Mangel an qualifizierten KI-Spezialisten, was eine alarmierende Zunahme im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Die Dynamik hinter diesem Trend hat weitreichende Auswirkungen auf den digitalen Wandel, Investitionen und die Wettbewerbsfähigkeit britischer Unternehmen in einer zunehmend technologiegeprägten Welt. Diese Entwicklung wurde durch eine groß angelegte Umfrage von Harvey Nash, einem auf Tech-Recruitment spezialisierten Unternehmen, bestätigt. Befragt wurden über 900 Führungskräfte in Großbritannien sowie weitere Tausende weltweit während der Monate Dezember 2024 bis März 2025.
Die Ergebnisse zeigen, dass etwa 52 Prozent der britischen IT-Leiter einen Mangel an KI-Fähigkeiten in ihren Unternehmen feststellen – eine Steigerung von mehr als dem Doppelten im Vergleich zu nur 20 Prozent im Vorjahr. Der rasante Anstieg dieses Fachkräftemangels ist außergewöhnlich, denn in den letzten mehr als 10 Jahren zeigte keine andere Technologie-Kategorie eine ähnlich starke Verschärfung. Zum Vergleich: Der zuvor größte Anstieg betraf das Gebiet Big Data mit einem Zuwachs von 55 Prozent. Cyber-Sicherheitskompetenzen hingegen entwickelten sich deutlich langsamer, wenn auch kontinuierlich, von 12 Prozent im Jahr 2009 bis auf rund 30 Prozent in diesem Jahr. Die Gründe für den massiven Mangel an KI-Spezialisten lassen sich vor allem in der explosionsartigen Nachfrage nach KI-Technologien und der sich rasant verändernden technologischen Landschaft finden.
Unternehmen investieren verstärkt in KI-Anwendungen und Pilotprojekte. Fast neun von zehn Technologie-Führungskräften berichten von aktiven KI-Initiativen oder umfangreichen KI-Projekten in ihren Organisationen. Dies ist fast eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr, als lediglich etwas weniger als die Hälfte der Befragten solche Investitionen meldete. Parallel zur steigenden Nachfrage wächst auch die Komplexität der benötigten Fähigkeiten. KI ist kein statisches Feld, sondern entwickelt sich in rasantem Tempo weiter und umfasst eine Vielzahl von Teilbereichen wie maschinelles Lernen, neuronale Netze, Deep Learning und natürliche Sprachverarbeitung.
Somit wird es für Unternehmen immer schwieriger, passende Fachkräfte zu finden, die nicht nur die technischen Voraussetzungen erfüllen, sondern auch in der Lage sind, KI effektiv in bestehende Geschäftsprozesse zu integrieren. Ein weiterer Aspekt, der häufig erwähnt wird, ist der Mangel an standardisierten Ausbildungswegen und klaren Qualifikationsprofilen im KI-Bereich. Da KI vielfach noch als relativ junge und sich schnell wandelnde Disziplin wahrgenommen wird, gibt es kaum fest etablierte Curricula oder umfassende Weiterbildungsprogramme, die den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften abdecken könnten. Unternehmen sind daher oft gezwungen, eigenständig interne Schulungen oder Reskilling-Programme durchzuführen, um Mitarbeiter auf den neuesten Stand zu bringen und die vorhandenen Kompetenzen zu erweitern. Neben der Schwierigkeit, passende Talente zu finden, spiegelt sich die Bedeutung der KI-Kompetenzen auch in der Gehaltsentwicklung wider.
Tech-Führungskräfte, die erfolgreich KI-Projekte vorantreiben oder in großem Umfang KI implementieren konnten, haben überdurchschnittliche Gehaltssteigerungen erhalten. Laut der Studie von Harvey Nash hatten mehr als die Hälfte der britischen Tech-Leiter im vergangenen Jahr eine Lohnerhöhung, wobei diejenigen mit starken KI-Initiativen deutlich wahrscheinlicher eine Gehaltssteigerung von zehn Prozent oder mehr bekamen. Dies verdeutlicht, wie essenziell KI-Kompetenzen inzwischen für die Karriereentwicklung im Technologiesektor geworden sind. Die Mitgliedschaft im Führungskreis prägt ebenfalls den Erfolg. CIOs und andere IT-Führungskräfte, deren CEOs stärker auf Technologieinvestitionen setzen als auf reine Kosteneinsparungen, sind in der Regel erfolgreicher bei der Etablierung von KI im Unternehmen.
Laut Umfrage berichten 77 Prozent dieser Organisationen von einer fokussierten technikgetriebenen Strategie, während der Durchschnittswert in Großbritannien bei 63 Prozent liegt. Diese Firmen investieren nicht nur in KI-Technologien, sondern erhöhen auch die Anzahl der IT-Mitarbeiter, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Allerdings ist der Weg nicht frei von Herausforderungen. Trotz hoher Investitionen und der starken Präsenz von Pilotprojekten zeigen Studien, dass viele Unternehmen bislang noch keinen klaren Return on Investment (ROI) aus KI-Anwendungen ziehen können. Gartner etwa hat bereits Mitte 2024 berichtet, dass viele ambitionierte KI-Projekte, sogenannte „Moonshot“-Initiativen, häufig scheitern oder nur begrenzte Ergebnisse liefern.
Eine Umfrage von IBM unter CEOs zeigt, dass 85 Prozent mindestens zwei Jahre oder länger erwarten, um einen positiven ROI aus generativen KI-Projekten zu erzielen. Dies spiegelt die Komplexität wider, KI-Anwendungen nicht nur technologisch, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich zu implementieren. Ein zusätzlicher Erfolgsfaktor wird die Weiterbildung und Umschulung der Belegschaft sein. Die IBM-Umfrage verdeutlicht, dass mehr als ein Drittel der Unternehmen davon ausgeht, dass ein umfassendes Reskilling ihrer Mitarbeiter im Bereich KI innerhalb der nächsten drei Jahre notwendig sein wird. Ebenso ist die Schaffung neuer AI-bezogener Rollen entscheidend, um den Bedarf zu decken und Innovationsfähigkeit zu sichern.
Bereits heute stellen viele Firmen neue Positionen ein, die noch vor einem Jahr kaum existierten. Die sich anbahnende Qualifikationslücke hat auch Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Geschäftsmodelle und Arbeitsweisen anpassen. Bev White, CEO von Nash Squared, betont, dass es keinen festen „Spickzettel“ für den Umgang mit KI gibt. Ein erfolgreicher Umgang mit der Technologie erfordert eine Kombination aus formeller Schulung, kontinuierlicher Weiterentwicklung, experimentellem Lernen am Arbeitsplatz sowie der Vermittlung von Wissen und Best Practices. Wichtig ist zudem, dass die Organisationsstruktur und das Betriebsmodell entsprechend angepasst werden, sodass KI nahtlos integriert wird und dadurch ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil entsteht.
Angesichts der Vielzahl von Herausforderungen und der Dynamik im KI-Umfeld wird deutlich, dass Unternehmen, die sich frühzeitig mit dem Fachkräftemangel auseinandersetzen und aktiv Lösungen entwickeln, deutlich besser positioniert sein werden. Dazu zählen neben Investitionen in Talentakquise und Ausbildung auch eine klare technologische Vision sowie die Förderung einer Unternehmenskultur, die Offenheit für Innovationen und interdisziplinäre Zusammenarbeit fördert. Der KI-Fachkräftemangel in Großbritannien ist damit nicht nur ein vorübergehendes Phänomen, sondern steht stellvertretend für die Anpassung der Wirtschaft und Gesellschaft an eine neue Ära, in der Künstliche Intelligenz eine zentrale Rolle einnimmt. Während sich der Wettbewerb um qualifizierte Experten verschärft, wächst der Druck auf Unternehmen, strategisch zu handeln, um die Chancen der KI-Technologie zu nutzen und zugleich die Risiken und Herausforderungen zu bewältigen. Die Zukunft der KI in britischen Unternehmen hängt somit maßgeblich davon ab, wie erfolgreich es gelingt, den Fachkräftemangel zu überwinden und KI-Kompetenzen breit im Unternehmen zu verankern.
Nur wer es schafft, diese vielschichtige Herausforderung zu meistern, wird letztlich auch in den kommenden Jahren im globalen Technologieumfeld eine führende Rolle spielen können.