In der Welt des Suchmaschinenmarketings erleben wir derzeit eine fundamentale Verschiebung, die Experten als „Das Große Entkoppeln“ bezeichnen. Dieses Phänomen beschreibt einen Trend, bei dem die Anzahl der Impressionen für eine Webseite zwar steigt, die tatsächlichen Klicks auf diese Seiten jedoch deutlich zurückgehen. Für viele Marketer und Content-Ersteller bedeutet dies eine neue Herausforderung, die die klassischen SEO-Maßnahmen infrage stellt und eine Neuausrichtung der Strategien verlangt. Um dieses Phänomen zu verstehen, ist es zunächst wichtig, die Ausgangslage und die dahinterliegenden Ursachen zu beleuchten. Die gängigen SERPs (Search Engine Results Pages) hatten traditionell ein recht berechenbares Verhalten gezeigt: Sobald die Impressionen, also die Sichtbarkeit einer Seite bei Suchanfragen, zunahmen, folgte in der Regel ein Anstieg der Klickzahlen.
Dies war ein Grundpfeiler für Erfolgsmessung und Wachstum. Doch mit der wachsenden Verbreitung von künstlicher Intelligenz und speziell der Integration sogenannter KI-Übersichten in die Suchergebnisse hat sich diese Dynamik massiv verändert. KI-Übersichten stellen Zusammenfassungen und direkte Antworten auf Suchanfragen bereit, die Suchende ohne einen weiteren Klick auf eine externe Seite erhalten können. Moderne Suchmaschinen zeigen in ihren Resultaten mittlerweile nicht nur klassische blaue Links, die zu Webseiten führen, sondern bieten ergänzend oder teilweise sogar an erster Stelle KI-generierte Antworten, die aus den Inhalten der bestplatzierten Seiten extrahiert werden. Dies hat zwei entscheidende Effekte.
Zum einen entstehen für dieselbe Suchanfrage doppelte Impressionen: Einmal als klassisches Suchergebnis und zum zweiten als Zitat oder Auszug innerhalb der KI-Übersicht. Webseiten, die bereits gut ranken, profitieren somit von einer erhöhten Sichtbarkeit und der Möglichkeit, noch mehr Impressionen zu erzielen. Zum anderen führt diese Entwicklung zu weniger Klicks, weil Suchende ihre Fragen direkt in der Übersicht beantwortet bekommen und nicht mehr die Notwendigkeit sehen, die Webseite tatsächlich zu besuchen. Das Resultat ist eine Entkoppelung von Impressionen und Klicks, die sich in vielen Google Search Console-Berichten deutlich ablesen lässt. Während früher beide Metriken eng miteinander korrelierten, besteht heute häufig eine negative Korrelation.
Dieses Verhalten wurde von Ryan Law und anderen SEO-Experten eindrucksvoll analysiert. Über einen Zeitraum von sechs Monaten Ende 2024 konnte noch eine positive Korrelation zwischen Klicks und Impressionen beim Ahrefs-Blog festgestellt werden. Im darauffolgenden Halbjahr 2025 zeigte sich jedoch eine Kehrtwende: Impressionen stiegen erheblich an, während die Klickzahlen sanken. Das Phänomen wurde treffend als „The Great Decoupling“ benannt. Die Ursachen für diese Entwicklung sind eng mit der großflächigen Einführung von KI-Systemen in die Suchergebnisdarstellung verbunden.
Untersuchungen zeigen, dass drei Viertel der in KI-Übersichten zitierten Links aus den Top 12 der organischen Suchergebnisse stammen. Webseiten, die bereits hohe Positionen einnehmen, werden also doppelt prämiert: Sichtbarkeit in den traditionellen Ergebnissen und Auftauchen innerhalb der KI-Übersicht. Gleichzeitig sorgt dies aber für eine drastische Verringerung der Klickwahrscheinlichkeit. Eine umfangreiche Studie über mehr als 300.000 Keywords zeigte, dass die Anwesenheit einer KI-Übersicht mit einem Rückgang der Click-Through-Rate um etwa 34,5 Prozent einhergeht.
Die Zeiträume, in denen die Kluft zwischen Impressionen und Klicks besonders groß ist, fallen dabei mit Hauptupdates von Google und der Zunahme der Verbreitung von KI-Übersichten zusammen. Sites, die von diesen KI-Features wenig betroffen sind, zeigen häufig kein vergleichbares Muster. Aus dieser Entwicklung ergeben sich für Unternehmen und Content-Marketer neue Herausforderungen und Chancen zugleich. Einerseits gilt es, sich mit dem veränderten Nutzerverhalten auseinanderzusetzen, denn Suchende bleiben zunehmend auf der Suchergebnisseite und konsumieren dort die gewünschten Informationen. Traditionelle Erfolgskennzahlen wie Klickzahlen verlieren daher an Aussagekraft und müssen durch weitere KPIs ergänzt werden.
Andererseits eröffnet die verbesserte Sichtbarkeit durch zusätzliche Impressionen neue Wege, die Reichweite und Markenpräsenz zu steigern. Ein besonders spannender Befund ist, dass obwohl die Klickzahlen zurückgehen, der Wert der Besuche aus KI-gestützter Suche wesentlich höher sein kann. Bei Ahrefs wurde festgestellt, dass Besucher, die über KI-Suchergebnisse kommen, knapp 23-mal besser konvertieren als solche von traditionellen Suchmaschinenergebnissen. Dies zeigt, dass Qualität vor Quantität treten kann. Aus strategischer Sicht sollten SEO-Verantwortliche daher verstärkt ihre Inhalte noch gezielter auf Nutzerbedürfnisse ausrichten und Inhalte so optimieren, dass sie in KI-Übersichten gut repräsentiert werden.
Dies erfordert ein tieferes Verständnis der zugrundeliegenden Algorithmen und der Art und Weise, wie KI Skripte Informationen aggregiert und präsentiert. Das reine Streben nach Seitenaufrufen verliert zugunsten der Optimierung auf Sichtbarkeit in KI-Antworten an Bedeutung. Marketer sollten neue Methoden der Performance-Messung etablieren, die neben klassischen Metriken auch die Reichweite und die Conversionrate aus KI-Quellen einbeziehen. Zudem sind neue Ansätze im Content Marketing gefragt, um Informationsvermittlung und Nutzerbindung trotz Verringerung der Klickzahlen zu gewährleisten. Dies kann beispielsweise bedeuten, Inhalte stärker auf direkte Mehrwerte auszurichten und in komplexeren Formaten anzubieten, die Nutzer auch nach einer ersten Informationsentnahme in der Suchübersicht weiterhin an das Unternehmen binden.
Die Rolle von SEO wandelt sich von der reinen Platzierung zu einer deutlich breiteren Positionierungsstrategie, die Markenaufbau, Nutzererlebnis und Conversion unmittelbar verbindet. Für viele Unternehmen bedeutet dies auch, die bestehenden Traffic-Ziele und Erfolgsmessungen zu überdenken. Das Wachstum der Webseitenbesuche korreliert nicht mehr zwangsläufig mit dem Wachstum des Geschäfts. Stattdessen liegt der Fokus mehr denn je auf der Qualität des Traffic, den Kundenwerten und den direkten Interaktionen, die Onlineauftritte ermöglichen. Das Große Entkoppeln ist somit kein Grund zur Resignation, sondern ein Signal für die nächste Evolutionsstufe im digitalen Marketing.
Die Integration von KI in Suchmaschinen ist keineswegs ein vorübergehendes Experiment, sondern stellt eine dauerhafte Veränderung dar, die neue Spielregeln aufstellt. Unternehmen, die sich dieser Realität anpassen und ihre Strategien entsprechend neu ausrichten, werden auch in diesem neuen Zeitalter des Suchens und Findens erfolgreich sein. Schlussendlich müssen Unternehmen verstehen, dass eine höhere Sichtbarkeit in der Suchmaschine trotz sinkender Klickzahlen nicht gleichbedeutend mit einem Verlust an wirtschaftlichem Potenzial ist. Vielmehr verändert sich der Kanal und das Verhalten der Nutzer. KI-Übersichten schaffen neue Kontaktpunkte und neue Möglichkeiten zur Conversion, die traditionelles SEO allein nicht bieten konnte.