JBS, einer der weltweit größten Fleischkonzerne mit Sitz in Brasilien, steht im Zentrum einer intensiven Debatte über seine geplante duale Börsennotierung. Das Konzept der dualen Notierung sieht vor, dass das Unternehmen hauptsächlich an der New Yorker Börse gelistet wird, während brasilianische Anleger durch den Handel mit brasilianischen Depositary Receipts (BDRs) an der Börse in São Paulo teilnehmen können. Obwohl das Management von JBS den Plan als langfristig attraktive Wertchance für Investoren darstellt, haben verschiedene Stellen, darunter die Institution Institutional Shareholder Services (ISS), Bedenken hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf die Rechte von Minderheitsaktionären geäußert. Die Kontroverse wirft ein Schlaglicht auf die komplexen Dynamiken zwischen Unternehmensführung, Kapitalmärkten und strategischer Ausrichtung eines der dominierenden Player der globalen Fleischindustrie. Die Ankündigung der dualen Notierung geht zurück auf das Jahr 2023, doch die kritischen Stimmen haben vor allem im Vorfeld der für Mai 2025 anstehenden Abstimmung der Minderheitsaktionäre an Intensität gewonnen.
Die geplante Struktur sieht vor, dass JBS NV, eine niederländische Holdinggesellschaft, als Muttergesellschaft fungiert. JBS NV würde zwei Arten von Aktien ausgeben: Class A und Class B. Wichtiger Unterschied zwischen den beiden Aktienarten ist die Stimmrechtsverteilung. Die Class B Aktien erhalten das zehnfache Stimmrecht der Class A Aktien, und lediglich die Class A Aktien sollen öffentlich gehandelt werden. Damit liegt ein erheblicher Einfluss auf die Unternehmensführung bei den Inhabern der Class B Aktien, die fast ausschließlich den kontrollierenden Eigentümern, der J&F Investmentgruppe der Familie Batista, zuzurechnen sind.
Diese Struktur bringt erhebliche Diskussionen über den Schutz der Minderheitsaktionäre mit sich. ISS hat kritisiert, dass der dominante Stimmrechtsblock die Machtbalance zugunsten der Großaktionäre verschiebt und möglicherweise die Rechte kleinerer Anteilseigner schwächt. Eine solche Ausgestaltung könnte in der Zukunft dazu führen, dass wichtige Entscheidungen unter Ausschluss oder gegen die Interessen von Minderheitsaktionären durchgesetzt werden. JBS hat diese Bedenken energisch zurückgewiesen und betont, dass die kontrollierende Gruppe langfristig engagiert sei, um nachhaltiges Wachstum und globale Führungsposition im Lebensmittelbereich zu sichern. Auch betonte Finanzvorstand Guilherme Cavalcanti in Gesprächen mit Analysten, wie essenziell „ein klar definierter und erfahrener Kontrollmechanismus“ sei, besonders in einer Branche, die hohe Anforderungen an Nachhaltigkeit, Qualität und regulatorische Compliance stelle.
Die duale Notierung soll nicht nur die Investorengruppe verbreitern, sondern auch die internationale Sichtbarkeit und Finanzierungsmöglichkeiten von JBS verbessern. Die Listung an der New Yorker Börse markiert für viele brasilianische Unternehmen ein strategisches Ziel, um Zugang zu einem der größten und liquidesten Kapitalmärkte der Welt zu erhalten. Diese Maßnahme kann das Vertrauen institutioneller Investoren stärken und den Handlungsspielraum bei zukünftigen Investitionen und Akquisitionen erheblich erweitern. Gleichzeitig ermöglicht das Angebot von brasilianischen Depositary Receipts dem heimischen Kapitalmarkt weiterhin die Beteiligung am Unternehmen, schafft aber auch gewisse Herausforderungen im Hinblick auf die Liquidität und Bewertung der BDRs im Vergleich zur amerikanischen Stammaktie. Trotz dieser positiven Perspektiven reagierte der Aktienmarkt zurückhaltend auf die jüngsten Ankündigungen von JBS.
Die Aktie fiel nach der Veröffentlichung der Quartalsergebnisse und der Diskussion um das Dual-Listing-Konzept um fast sechs Prozent. Marktteilnehmer zeigen sich besorgt über die Unsicherheiten, die mit der Neustrukturierung der Eigentumsverhältnisse verbunden sind, sowie die schwierigen Rahmenbedingungen für die Fleischindustrie in diesem Jahr. JBS selbst gab zu, dass das Jahr 2025 laut Einschätzungen der Unternehmensführung anspruchsvoller werde als 2024 – gestützt auf einen engen US-Rinderzyklus und globale Handelshemmnisse, die den Export von Fleischprodukten insbesondere in den chinesischen Markt belasten könnten. Ein weiterer entscheidender Aspekt ist der Umgang des globalen Fleischriesen mit ökologischen und sozialen Herausforderungen. JBS hat sich zu einer Reduzierung klimarelevanter Emissionen bis 2040 verpflichtet, was in der derzeitigen industriellen Fleischproduktion einen anspruchsvollen Zielkonflikt zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit darstellt.
Die geplante duale Börsennotierung bietet auch die Chance, durch erhöhten Druck von Investoren und strengere Auflagen in den USA neue Impulse für nachhaltige Investitionen und Innovationen zu setzen. Lepore erläutert, dass eine breite und diverse Investorengruppe zudem eine größere Verantwortung für ökologisch nachhaltige Unternehmenspraktiken bewirken kann. Die Konkurrenz im brasilianischen Fleischsektor verstärkt die Relevanz der JBS-Entscheidungen. Unternehmen wie Tyson Foods aus den USA sowie brasilianische Mitbewerber wie Marfrig, BRF und Minerva haben ebenfalls differenzierte Aktienklassen und klar definierte Mehrheitsaktionäre, was laut Experten den Wettbewerb besonders im Hinblick auf Kapitalmarktzugänge und Governance-Regeln beeinflusst. Goldman Sachs weist darauf hin, dass diese Konstellationen ein typisches Merkmal global operierender Fleischproduzenten seien, um eine stabile und langfristige Unternehmensführung sicherzustellen.
Die Möglichkeit für alle Aktionäre, Class A Aktien in Class B Aktien umzuwandeln, soll als Mechanismus dienen, um Interessenkonflikte zumindest teilweise abzupuffern. Dennoch bleibt die Frage offen, wie sich dies in der Praxis auf die Marktdynamik und die Stimmrechtsvertretung auswirkt. Kritiker schlagen vor, dass JBS noch transparenter und kooperativer gegenüber Minderheitsaktionären agieren müsse, um den Vorwurf einer zu einseitigen Machtkonzentration zu entkräften. Die Unternehmensführung ist gefordert, die Balance zwischen Kontrolle, Wachstumspotenzial und Aktionärsgerechtigkeit überzeugend darzustellen. Die strategische Entscheidung von JBS ist nicht nur ein finanzielles und regulatorisches Thema, sondern ein Indikator für die Anpassungsfähigkeit brasilianischer Großunternehmen an die zunehmend globalisierten und komplexen Märkte.
Das Unternehmen muss sich mit einer Vielzahl von Einflüssen auseinandersetzen: von geopolitischen Handelskonflikten über Umweltauflagen bis hin zu Investorenanforderungen nach Transparenz und guter Unternehmensführung (ESG-Kriterien). Die angekündigte duale Notierung ist dabei Teil eines größeren Wandels im Unternehmen, das sich stärker international positionieren und zugleich stabile Kontrollverhältnisse sichern will. Insgesamt zeigt das Beispiel von JBS, wie komplex und vielschichtig die Entscheidungen zu Kapitalstrukturen und Börsennotierungen heutiger Global Player sind. Die Debatte über die duale Börsennotierung legt offen, dass bei solchen Vorhaben oftmals unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen: die des kontrollierenden Eigentümers, der Minderheitsaktionäre, der Finanzmärkte und auch der gesellschaftlichen Stakeholder. Für Investoren und Marktbeobachter wird es entscheidend sein, die Entwicklung dieses Prozesses genau zu verfolgen, um Chancen optimal zu nutzen und Risiken frühzeitig zu erkennen.
JBS setzt mit seinem Vorschlag ein deutliches Zeichen, dass es trotz momentaner Herausforderungen und Kritik seine globale Wachstumsstrategie entschlossen verfolgen will. Im Zentrum steht dabei die Kombination aus der Sicherung der Kontrolle durch die historische Eigentümerfamilie und der Öffnung der Kapitalbasis gegenüber internationalen Investoren. Diese doppelte Botschaft adressiert die Anforderungen einer modernen Unternehmensführung, die gleichzeitig Stabilität und Innovationsfähigkeit gewährleisten muss. Ob dieser Balanceakt gelingt, wird die Zukunft der brasilianischen Fleischindustrie und deren Position auf den weltweiten Märkten maßgeblich mitbestimmen.