Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat kürzlich ein vielbeachtetes Verfahren verhandelt, das die Errichtung der ersten öffentlichen religiösen Charter-Schule des Landes betrifft. Im Mittelpunkt steht die geplante St. Isidore of Seville Catholic Virtual School in Oklahoma, eine Online-Schule mit katholischem Lehrplan, die auf öffentlichen Geldern basiert. Die hohe Jurisdiktion signalisiert zunehmend, dass sie bereit sein könnte, den Weg für diese bisher einmalige Verbindung von Religion und staatlicher Bildungsfinanzierung freizumachen. Damit steht das amerikanische Bildungssystem an einem Scheideweg, der weitreichende Konsequenzen für Schulwahl, Religionsfreiheit und verfassungsrechtliche Grenzen öffentlicher Mittel haben könnte.
Die Kernfrage des Falls ist, ob eine staatlich finanzierte Charter-Schule explizit religiöse Inhalte vermitteln darf, ohne gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat zu verstoßen. Gegner argumentieren, dass die Finanzierung einer solchen Schule den sogenannten Establishment Clause der US-Verfassung verletze, die Staatsreligionen verbietet. Befürworter hingegen verweisen auf jüngere Urteilssprüche, die es öffentlichen Geldern erlauben, indirekt oder in begrenztem Umfang religiöse Einrichtungen zu unterstützen, und sehen in der Entscheidung eine Stärkung der Religionsfreiheit sowie der Wahlmöglichkeiten für Eltern und Schüler. Die bisherigen Gerichtsentscheidungen in Fällen, in denen öffentliche Mittel für religiöse Zwecke geflossen sind, betrafen meist klare Abgrenzungen wie die Finanzierung von Schulinfrastruktur oder die Gewährung von Stipendien für die Wahl privater religiöser Schulen. Das vorliegende Verfahren stellt hingegen eine neuartige Konstellation dar, bei der ein öffentlicher Träger eine Schule mit explizit religiösem Curriculum betreiben will.
Dies wirft komplexe Fragen auf: Handelt es sich hierbei noch um eine staatliche Bildungseinrichtung oder um eine private religiöse Institution? Welche Auswirkungen hätte ein Urteil zugunsten der Charter-Schule auf bestehende Schulstrukturen in anderen Bundesstaaten? Während der Verhandlung zeigten sich die konservativen Richter des Obersten Gerichtshofs geneigt, die Schaffung der Schule zu ermöglichen. Besonders die Richter Samuel Alito und Brett Kavanaugh verteidigten die Schule vehement, indem sie betonten, dass religiöse Gruppen und deren Bildungsangebote nicht als „zweiklassig“ behandelt werden dürfen. Sie warnten vor Diskriminierung, wenn religiösen Schulen die Teilhabe an staatlichen Programmen verwehrt wird, und kritisierten Äußerungen von Vertretern des Bundesstaates Oklahoma, die offen von einer Ablehnung religiöser Bildung aus öffentlichen Mitteln sprachen. Diese Positionen deuten an, dass das Gericht einer Erweiterung der Religionsfreiheit im Bildungsbereich geöffnet gegenübersteht. Im Gegensatz dazu äußerten die liberalen Richter tiefgreifende Bedenken hinsichtlich einer möglichen Privilegierung religiöser Schulen durch öffentliche Finanzierung.
Richterin Sonia Sotomayor wies darauf hin, dass Charter-Schulen staatliche Einrichtungen seien, die daher strikt an die Vorgaben des Staates gebunden sein müssen. Ein Verbot religiöser Inhalte sei Teil dieser Vorschriften. Richterin Elena Kagan befürchtet zudem, ein positives Urteil könnte eine „Tür öffnen“, die dazu führt, dass diverse religiöse Gruppen, darunter auch solche mit stark abweichenden Bildungsmodellen, staatliche Mittel für sehr spezifische religiöse Unterrichtsinhalte beanspruchen würden, was eine Herausforderung für die staatliche Bildungsplanung und -verwaltung darstellen könnte. Ebenfalls relevant ist die Tatsache, dass Supreme Court Justice Amy Coney Barrett sich in diesem Verfahren wegen Befangenheit zurückgezogen hat, nachdem bekannt wurde, dass eine ihrer Bekannten für die katholische Schule beratend tätig ist. Dadurch verbleiben nur acht Richter, und das Gericht erklärt sich in einem möglicherweise knappen Votum.
Sollte es unter den fünf konservativen Richter eine Meinungsverschiedenheit geben, wäre bei Stimmengleichheit das Urteil des Oklahoma Supreme Court, das die Schule bislang abgelehnt hat, bindend. Allerdings zeigten sich bislang keine Anzeichen für eine solche Spaltung innerhalb der konservativen Richterbank. Das Verfahren hat weitreichende politische und gesellschaftliche Relevanz. Es wird als weiterer Schritt einer konservativen Mehrheit am Obersten Gerichtshof interpretiert, die vermehrt religiöse Aspekte in staatlichen Kontexten zulassen will. Unterstützt wird diese Entwicklung auch von der früheren Trump-Regierung, deren Justizminister die Religionsfreiheit betonten und sogar die Verfassung des Bundesgesetzes infrage stellten, welches Charter-Schulen als „nichtkonfessionell“ definiert.
Die Entscheidung könnte Oklahoma und andere Bundesstaaten vor die Herausforderung stellen, ihre bestehenden Regelungen zum Status von Charter-Schulen und zur staatlichen Bildungsaufsicht neu zu bewerten. Denn eine Einordnung der katholischen Charter-Schule als Teil des öffentlichen Schulsystems bedeutet auch, dass Anforderungen an Transparenz, Gleichbehandlung und Bildungsgleichheit konsequent angewandt werden müssten. Dies könnte insbesondere in Bezug auf Anti-Diskriminierungsgesetze, Inklusion behinderter Schüler und Sicherstellung eines grundlegenden Curriculums zu erheblichen juristischen und politischen Kontroversen führen. Die Debatte zeigt, dass der Balanceakt zwischen der Gewährleistung von Religionsfreiheit und dem Schutz staatlicher Neutralität komplex und vielschichtig ist. In den USA, wo das Verhältnis von Staat und Religion historisch sensibel ist, könnte das Urteil wegweisend sein und das Modell öffentlicher Bildung nachhaltig verändern.
Befürworter sehen die Chance, die Bildungslandschaft zu diversifizieren und Familien mehr Wahlmöglichkeiten zu geben, während Kritiker vor einer möglichen Gefährdung säkularer Bildungsprinzipien warnen. Insgesamt steht das Urteil des Obersten Gerichtshofs exemplarisch für die zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen in den USA zwischen konservativen und liberalen Vorstellungen von Religion, Staat und Bildung. In den kommenden Monaten wird das Urteil mit großer Spannung erwartet und seine Auswirkungen werden nicht nur die religiöse Bildung in den USA, sondern auch die Debatten über die Trennung von Kirche und Staat sowie Bildungsfreiheit prägen. Klar ist, dass die Entscheidung weit über die Grenzen Oklahomas hinausreichende Bedeutung hat und möglicherweise den Weg für weitere religiöse Charter-Schulen in anderen Bundesstaaten ebnet.