Amazon, als einer der weltweit größten Online-Händler und Technologiekonzerne, sieht sich im Zuge des anstehenden Berichts zum ersten Quartal 2025 mit großen Herausforderungen konfrontiert. Obwohl der Markt mit Spannung auf die Zahlen wartet, überlagert eine erhebliche Unsicherheit rund um die anhaltenden Zollkonflikte zwischen den USA und China die Erwartungen. Diese Tarifdiskussionen werfen Fragen zur zukünftigen Geschäftsentwicklung und der Profitabilität von Amazons umfangreichem Handels- und Cloud-Portfolio auf. Im Fokus steht vor allem, wie sich die hohen Zölle auf aus China eingeführte Güter auf Amazons zentralen Geschäftsbereich – das E-Commerce – auswirken werden. Seit Jahresbeginn ist die Amazon-Aktie unter starkem Druck und hat 15 Prozent ihres Werts verloren.
Besonders seit Bekanntgabe der umfassenden Zollpläne der US-Regierung Anfang April ist ein Abwärtstrend zu beobachten, der durch die Bezeichnung „Liberation Day“ als markanter Wendepunkt in den Handelsbeziehungen zwischen Washington und Peking geprägt wurde. Zwar hat die US-Administration einige dieser Zölle vorübergehend ausgesetzt, was kurzfristig Erholungseffekte für den Aktienkurs brachte, doch ist die Situation weiterhin von hoher Unsicherheit geprägt. Eine wichtige Analyse der Investmentbank William Blair weist darauf hin, dass nahezu die Hälfte aller Verkäufer auf Amazon.com ihre Waren aus China beziehen. Möglich sind also erhebliche Belastungen, wenn Zölle von bis zu 145 Prozent auf chinesische Produkte erhoben werden.
Dieser Umstand stellt das typische Geschäftsmodell von Amazon vor fundamentale Herausforderungen, denn der Erfolg des E-Commerce-Riesen basiert wesentlich auf der breiten Verfügbarkeit von günstigen und schnell lieferbaren Produkten. Höhere Zölle könnten nicht nur die Preise erhöhen, sondern auch die Vielfalt des Angebots einschränken, was langfristige Auswirkungen auf die Attraktivität von Amazon für Kunden hätte. Die E-Commerce-Plattform von Amazon ist eng verzahnt mit unterschiedlichen Geschäftsbereichen wie Amazon Prime, Werbeerlösen und Drittanbieter-Logistikservices. Wenn die Produktpalette aufgrund von Zollmaßnahmen verknappt oder verteuert wird, könnten nicht nur die Umsätze leiden, sondern auch die Profitabilität der margenstarken Segmente. Analysten warnen davor, dass ein solcher Effekt weitreichende strukturelle Verwerfungen auslösen kann, die sich über das reine Produktgeschäft hinaus negativ auf andere profitablere Bereiche auswirken.
Trotz der Risiken haben einige Experten weiterhin eine positive Einschätzung für die Amazon-Aktie abgegeben. William Blair hält an einer „Outperform“-Bewertung fest und sieht ein Kursziel in einem Bereich von 260 bis 270 US-Dollar, was ein Potenzial von knapp 40 Prozent gegenüber dem aktuellen Kurs signalisiert. Die Annahme dahinter ist, dass die derzeitigen Zollmaßnahmen entweder reduziert oder ganz aufgehoben werden könnten. Gleichzeitig mahnen die Analysten, dass ein andauernder Handelskonflikt mit tiefgreifenden und längerfristigen Zollerhöhungen die größte Gefahr für die Unternehmensentwicklung darstellt. Die Unsicherheit in Bezug auf die Handelspolitik spiegelt sich unmittelbar auch in der Anlegerstimmung wider.
Viele Investoren fokussieren sich weniger auf die unmittelbar am Horizont stehenden Quartalszahlen, sondern blicken eher auf das zweite Quartal und den weiteren Jahresverlauf, in denen sich erst die Auswirkungen der Zölle und der sich abkühlenden globalen Konjunktur klarer zeigen dürften. Amazon erfolgt traditionell mit einem Ausblick auf den kommenden Zeitraum, in dem das Management seine Prognosen zur Umsatz- und Ergebnisentwicklung abgibt. Dieses Mal wird besonderes Augenmerk auf mögliche Updates zum Investitionsplan gelegt. CEO Andy Jassy hat Anfang des Jahres betont, dass Amazon weiterhin bereit ist, rund 100 Milliarden US-Dollar in dieses Jahr zu investieren. Diese umfangreichen Investitionen in Rechenzentren, Logistik und Technologie sind auch ein wichtiges Signal für die Wachstumsstrategie des Unternehmens, insbesondere im Bereich Cloud-Computing und Künstliche Intelligenz (KI).
Der erwartete Druck durch die Zölle auf Konsumgüter könnte darüber hinaus Chancen und Risiken in den anderen Geschäftsbereichen von Amazon verstärken. So hilft die Expansion im Cloud-Geschäft (AWS) sowie die Ausweitung der KI-Integration dabei, die Abhängigkeit vom rein physischen Handel etwas zu mindern. Analysten von BofA Securities sehen weiterhin Potenzial darin, dass Amazon trotz Umsatzunsicherheiten im Handel seine Marktanteile ausbauen und gleichzeitig operative Margen verbessern kann, etwa durch Effizienzsteigerungen wie Personalabbau. Der Aktienkurs von Amazon bewegt sich derzeit innerhalb großer Schwankungen und konnte zuletzt kurzzeitig den 21-Tages-Durchschnitt übersteigen, nachdem er zuvor mehrere Wochen hinter dieser kurzfristigen Trendlinie zurücklag. Trotzdem verharrt die Aktie weiterhin deutlich unter ihrem 50- und 200-Tages-Durchschnitt, was auf eine angespannte technische Marktlage hindeutet.
Die Wurzeln der aktuellen Schwäche liegen bereits im Februar, als Amazon zwar die Gewinnschätzungen für das Abschlussquartal übertraf, die Umsatzprognose für das erste Quartal aber enttäuschte. Die zu diesem Zeitpunkt manifestierende skeptische Stimmung der Investoren führte zu einem deutlichen Kursrückgang von 23 Prozent von einem Rekordhoch bei über 240 US-Dollar im Februar bis heute. Neben Amazon zeigen sich weitere Technologiegiganten durch die Zollthematik belastet. Doch während positive Signale aus einer möglichen Deeskalation des Handelskonflikts kurzfristig Erholungen verursachen, bleibt die langfristige Gefahr inhärent. Die Komplexität, wie genau Zölle auf ein international verzahntes Unternehmen wie Amazon wirken, erschwert präzise Vorhersagen.
Die im April verkündete Reduzierung der Zölle auf Kleinsendungen aus China auf einen Satz von 54 bis 120 Prozent wurde von der Branche positiv aufgenommen, lässt aber weiter viele Unsicherheiten in Bezug auf größere Produktimporte. Die chinesische E-Commerce-Branche selbst reagierte ebenfalls mit einem Kursanstieg, etwa bei Alibaba und Pinduoduo, was zeigt, dass ein Ende der handelspolitischen Auseinandersetzungen für viele Unternehmen entscheidend ist. Für Amazon wird aber entscheidend sein, wie schnell und nachhaltig sich die globalen Handelsbeziehungen stabilisieren und ob die USA und China eine längerfristige Einigung erzielen können, die die hohen Zollsätze in angemessenem Maße zurückfährt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Amazons kurzfristige Quartalsergebnisse zwar weiterhin eine wichtige Orientierung bieten, der eigentliche Fokus aber auf den langfristigen Auswirkungen von Handelsstreitigkeiten, erhöhten Importkosten und veränderten Lieferketten liegt. Die in diesem Kontext anstehenden Investitionsentscheidungen und die Anpassung an die geopolitischen Rahmenbedingungen werden maßgeblich darüber entscheiden, ob der Tech- und Handelsriese seine starke Marktposition halten und ausbauen kann oder in den kommenden Jahren spürbare Herausforderungen erfährt.
Für Anleger und Marktbeobachter heißt das, wachsam zu sein und die Entwicklung der Zollpolitik ebenso im Blick zu behalten wie Amazons Fortschritte im Cloud- und KI-Sektor. Nur durch eine ganzheitliche Bewertung der verschiedenen Einflussfaktoren lässt sich nachvollziehen, wie Amazon seine Zukunft unter den gegenwärtigen Handelsbedingungen gestalten kann.