In einer Welt, die immer mehr Wahlmöglichkeiten bietet, scheint es paradox, dass viele Filme und Fernsehserien doch oft nach dem gleichen narrativen Muster erzählt werden. Man gewinnt den Eindruck, dass sich die Geschichte immer wiederholt, obwohl die Settings, Charaktere und Genres vielfältig erscheinen. Wie kann es sein, dass trotz der bemerkenswerten Vielfalt fast jede Geschichte nach einem ähnlichen Plot verläuft? Dieser vermeintliche Einheitsbrei ist nicht zufällig, sondern tief in der Geschichte der Erzählform verwurzelt und wird von wirtschaftlichen Interessen ebenso wie von psychologischen Grundbedürfnissen genährt. Die Grundlage für die meisten erzählerischen Strukturen im westlichen Film und Fernsehen stammt aus der antiken Philosophie, insbesondere von Aristoteles. Bereits vor über zweitausend Jahren beschrieb er in seiner "Poetik" die wesentlichen Elemente einer gut konzipierten Handlung: eine Dreiteilung in Anfang, Mittelteil und Schluss, ein Wendepunkt, der die Situationen umkehrt, und Momente der Erkenntnis und Transformation.
Diese klassische Dramaturgie wurde über Generationen hinweg weiterentwickelt und durch Konzepte wie Gustav Freytags Pyramide oder Joseph Campbells „Heldenreise“ ergänzt. Die Heldenreise, auch als Monomythos bezeichnet, bildet das Fundament vieler moderner Geschichten. Sie beschreibt den Weg eines Protagonisten, der aus seiner gewohnten Welt gerissen wird, eine Herausforderung annimmt, innere wie äußere Prüfungen bestehen muss, eine Wandlung durchlebt und am Ende verändert, aber auch bereichert zurückkehrt – wenn auch oft unter neuen Vorzeichen. Diese Struktur verspricht dem Publikum eine sichere emotionale Reise mit einem nachvollziehbaren Spannungsbogen und eine klare Auflösung, die zwar Neues zeigt, aber meist den Status quo wiederherstellt. Die Verbreitung dieses Modells im kommerziellen Film ist auch durch die Ökonomie erklärbar.
Hollywood-Studios und Produzenten suchen verlässliche Erfolgsmuster, da die Produktion von Filmen und Serien mit hohen Kosten verbunden ist und finanzielle Risiken birgt. Die Investition in bewährte Erzählstrukturen mit vorhersehbaren Wendungen wirkt wie ein Sicherheitsnetz, um das Publikum zu binden, Marketing und Merchandising zu erleichtern sowie Merchandising und Wiederverwertbarkeit zu gewährleisten. Aus diesem Grund etablieren sich Storytelling-Gurus und Branchenexperten wie Robert McKee, Syd Field oder Christopher Vogler, deren strukturierte Leitfäden und Seminare zu Standardwerkzeugen der Drehbuchautoren wurden. Doch trotz der Repetition des Plots empfinden wir die Geschichten nicht immer als langweilig oder vorhersehbar. Ein Grund dafür ist, dass der narrative Rahmen geschickt verborgen wird.
Jedes Werk bietet neue Figuren, Settings und Konflikte, und der sogenannte „Inciting Incident“ – das auslösende Ereignis, das die Handlung entfacht – ist überraschend und einzigartig für das jeweilige Werk. So entsteht für den Zuschauer das Gefühl von Neuheit, auch wenn die darunterliegende Struktur wiedererkennbar bleibt. Es ist dieses Verstecken der dramaturgischen „Maschinerie“, das die Geschichten frisch hält, vergleichbar mit einem zauberhaft eingewickelten Geschenk trotz des immer gleichen Inhalts. Neben der wirtschaftlichen und dramaturgischen Verankerung in der Geschichte der Erzählkunst hat die psychologische Dimension eine große Rolle. Geschichten erfüllen eine uralte, fundamental menschliche Funktion: Sie helfen uns, Sinn zu finden, Ängste zu verarbeiten und Hoffnung zu schöpfen.
Die Heldenreise spricht kollektive Archetypen an, die – wie von Carl Jung postuliert – tief im kollektiven Unbewussten verankert sind. Wir identifizieren uns mit den Figuren, durchleben dabei innere Wandlung und können so eigene Ängste und Sehnsüchte reflektieren, ohne uns unmittelbar realen Gefahren aussetzen zu müssen. Das Bedürfnis nach Ordnung und Klarheit ist in einer komplexen Welt groß und wird durch klare erzählerische Strukturen befriedigt. Dennoch ist die Dominanz dieser Muster nicht unumstritten. Kritiker weisen darauf hin, dass diese Form konservativ wirkt, indem sie jeweils die Rückkehr zur Ordnung feiert und oft den Status quo – sei es gesellschaftlich, politisch oder wirtschaftlich – unangefochten lässt.
Die Geschichten suggerieren Veränderung und Wachstum, doch echte Veränderungen außerhalb der inneren Perspektiven werden selten thematisiert. Dadurch werden Visionen über alternative Lebenswelten oder radikale gesellschaftliche Umbrüche unterdrückt. Besonders in Zeiten großer Herausforderungen wie Umweltkatastrophen oder sozialer Ungleichheit kann diese erzählerische Konformität problematisch sein. Darüber hinaus stellen weibliche und nicht-westliche Perspektiven diese klassische Form zunehmend infrage. Viele finden, dass der traditionelle Drei-Akt-Struktur und die Heldenreise eine westlich geprägte, männlich dominierte Erzählweise repräsentieren, die weltweit nicht universell anwendbar ist und zahlreiche Geschichten ausschließt.
Neue Formen experimenteller Künste und Erzählfilter versuchen alternative Narrative zu entwickeln, die nicht auf Kampf, Sieg oder Transformation basieren, sondern auf Alltäglichem, Beziehung, Reflexion oder kollektiven Erfahrungen. Ursula K. Le Guin etwa plädiert für eine „Carrier Bag Theory of Fiction“ – eine Form des Erzählens, die nicht Heldentaten schildert, sondern das Miteinander und das Aufbewahren des Lebens. Die Frage, warum Filmemacher und Produzenten trotzdem an der altbewährten Form festhalten, ist auch eine Frage der ökonomischen Zwänge: innovative Erzählungen sind riskanter, erreichen eventuell kleinere Zielgruppen und erhalten schwieriger Finanzierungen. Zwar gibt es immer wieder Mutmacher aus dem Arthouse-Kino oder unabhängigen Produktionen, die die klassischen Strukturen sprengen, aber sie bleiben oft Nischenphänomene.
In der Masse setzt sich weiterhin das bewährte Schema durch – mit erkennbaren Variationen, die das Publikum aber nicht irritieren. So entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen künstlerischer Innovation und kommerziellem Erfolg, zwischen Bedürfnis nach vertrauter Struktur und dem Wunsch nach neuen Perspektiven. Die Konsumentinnen und Konsumenten stehen dabei selbst in der Verantwortung, offen für neue Formen zu sein und diese einzufordern. Gleichzeitig bleibt die Erzählform ein Spiegel unserer Gesellschaft und Kultur: Einer Gesellschaft, die Sicherheit sucht und gleichzeitig Sehnsüchte nach Veränderung hat, die Bewährtes schätzt, aber wachstumsorientiert ist. Schließlich ist es bemerkenswert, wie sehr Geschichten unser Denken und Handeln beeinflussen.
Narrative prägen unsere Wahrnehmung von Realität, erzeugen Identifikation und können politische oder gesellschaftliche Stimmungen beeinflussen. Die Wiederholung bekannter Strukturen fördert die Akzeptanz bestimmter Weltbilder und erschwert kritisches Denken und die Wahrnehmung alternativer Realitäten. Die allgegenwärtige Erzählform der Heldenreise und des Drei-Akt-Modells fungiert somit nicht nur als unterhaltsames Gerüst, sondern auch als kulturelles Instrument zur Gestaltung kollektiver Vorstellungen. Trotz der Dominanz eines bestimmten Erzählprinzips ist die Kreativität der Film- und Fernsehbranche nicht tot – sie verbirgt sich lediglich hinter adaptiven Formen, subtilen Variationen und spannender Figurenentwicklung. Die Herausforderung der Zukunft liegt darin, neue narrative Wege zu finden, die der Vielfalt der menschlichen Erfahrung gerechter werden, die komplexe Realitäten abbilden und gesellschaftliche Veränderungen spiegeln können.
Dabei kann es hilfreich sein, traditionelle Erzählstrukturen als Werkzeuge zu verstehen, nicht als feste Vorgaben, und bewusst mit ihnen zu brechen. Letztlich zeigt sich, dass das Gefühl, alle Filme und Serien erzählten dieselbe Geschichte, aus einer tiefen und komplexen Beziehung zwischen Tradition, Psychologie, Marktmechanismen und kulturellen Besonderheiten resultiert. Dieses Muster ist sowohl ein Sicherheitsanker als auch eine Grenze – ein Phänomen, das es zu verstehen und zugleich herauszufordern gilt, wenn wir Vielfalt und Innovation in der Erzählkunst fördern wollen.