Die Welt der dezentralen Finanzen (DeFi) befindet sich in einem dynamischen Wandel. Während dezentrale Börsen (DEXs) in den letzten Jahren als Aushängeschild der Blockchain-basierten Finanzlandschaft galten, zeichnet sich immer stärker ab, dass die Kreditvergabeprotokolle in diesem Ökosystem einen bedeutenden Vorsprung gewinnen. Insbesondere das Total Value Locked (TVL) in DeFi-Kreditprotokollen verzeichnet aktuell Rekordhöhen und übertrifft damit die Werte der DEXs deutlich. Doch was steckt hinter diesem Wandel und warum bevorzugen immer mehr Krypto-Nutzer und institutionelle Anleger DeFi-Lending gegenüber liquiden Pools und Tauschplattformen? Ein tieferer Blick in die Entwicklungen liefert Antworten. Der Total Value Locked ist eine zentrale Kennzahl in der Kryptoindustrie, die angibt, wie viel Kapital aktuell in einem Protokoll gebunden ist.
Im Fall der DeFi-Plattformen zeigt das TVL den Grad des Vertrauens sowie die wirtschaftliche Bedeutung eines bestimmten Segments an. Zum Stand des Jahres 2025 sind in DeFi-Lending-Protokollen wie Aave und Compound bereits beeindruckende 53,6 Milliarden US-Dollar gebunden – das entspricht 43 Prozent des gesamten DeFi-TVls, der sich insgesamt auf rund 124,6 Milliarden US-Dollar summiert. Diese Zahlen heben die Kreditvergabe als den dominierenden Sektor innerhalb von DeFi hervor. Im Vergleich dazu zeigen dezentrale Börsen eine rückläufige Entwicklung. Während sie im November 2021 noch ein TVL von etwa 85,3 Milliarden US-Dollar hielten, liegt dieser Wert heute bei 21,5 Milliarden US-Dollar.
Diese deutliche Verschiebung überrascht, zumal DEXs mit ihrer Rolle als zentrale Handelsplätze für Kryptowährungen und Tokens ursprünglich als das Herzstück der DeFi-Welt galten. Die Gründe für den Rückgang sind vielschichtig und lassen sich vor allem anhand der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit der Renditen erklären. Henrik Andersson, Gründer des Krypto-Investmentfonds Apollo Capital, bringt es auf den Punkt: Die Kreditvergabe ist „wahrscheinlich der einzige nachhaltige Weg, in DeFi Erträge zu erwirtschaften.“ Während DEX-Liquiditätspools durch das Phänomen des impermanenten Verlustes oft unprofitabel sind, bieten Kreditprotokolle verlässlichere und stabilere Einnahmemöglichkeiten. Impermanenter Verlust entsteht, wenn Liquiditätsanbieter durch Preisschwankungen der hinterlegten Vermögenswerte Verluste erleiden, insbesondere wenn sie ihre Liquidität vorzeitig wieder abziehen.
Da diesen Verlusten mit Renditen entgegengewirkt werden muss, sind die Erträge aus Liquiditätspools häufig volatil und weniger kalkulierbar. Eine weitere Erklärung liegt im technischen Fortschritt der DEXs selbst. Uniswap, einer der Marktführer unter den DEXs, hat mit Version 3.0 ein sogenanntes „kapitaleffizienteres“ Modell eingeführt, welches die erforderlichen Kapitalmengen für Liquiditätsanbieter reduziert, um ähnliche Erträge wie zuvor zu generieren. Dadurch sinkt das gebundene Kapital und somit auch der TVL bei DEXs, weil Anbieter weniger Mittel langfristig bereitstellen müssen.
Gleichzeitig entstehen durch die neue Kapitalallokationseffizienz zwar effizientere Märkte, es führt aber auch zu einem niedrigeren Gesamtvolumen an gebundenem Kapital. Hinzu kommt die wachsende Bedeutung von sogenannten intent-basierten Swaps, einer neuen Art von Crosschain-Handelsmechanismus. Diese ermöglichen es Marktteilnehmern, direkt über zentrale Börsen Liqudität zu nutzen, ohne sie in dezentrale Pools einzuzahlen. Dies drückt den TVL bei DEXs zusätzlich und macht liquide Pools für viele Nutzer weniger attraktiv. Auf der anderen Seite ermöglichen DeFi-Kreditprotokolle wie Aave und Compound Finance Nutzern, ihre Kryptowährungen als Sicherheiten bereitzustellen und darauf basierend Kredite aufzunehmen oder Guthaben verzinst zu verleihen.
Diese Modelle werden durch Smart Contracts automatisiert gesteuert, was Vertrauen und Transparenz schafft. Die Zinssätze für beispielweise Ether oder Tether sind aktuell zwar moderat, liegen aber stabil über längere Zeiträume und gelten als nachhaltig. So liegt die jährliche Verzinsung für Ether bei Aave derzeit bei etwa 1,86 Prozent und für Tether bei rund 3,17 Prozent. Im Vergleich zu teilweise deutlich höheren, aber kurzfristig schwankenden DEX-Renditen erscheint dies vielen Anlegern als risikoärmere Alternative. Ein weiterer entscheidender Faktor für den Anstieg der Kreditvergabe im Vergleich zu DEXs ist die zunehmende Attraktivität von DeFi im Wettstreit mit zentralisierten Finanzdienstleistern (CeFi).
Bis Ende 2024 machte DeFi mehr als 65 Prozent des gesamten Krypto-Kreditmarkts aus und konnte seine Marktanteile gegenüber der CeFi-Konkurrenz kontinuierlich stärken. Diese Entwicklung wurde vor allem durch die Pleite mehrerer großer zentralisierter Krypto-Verleiher wie Genesis, Celsius Network oder BlockFi begünstigt. Die Insolvenz dieser Anbieter führte zu einem massiven Vertrauensverlust in zentrale Dienstleister und trieb viele Nutzer in die sichereren, transparenten und algorithmisch gesteuerten Protokolle der DeFi-Welt. Der Einbruch der zentralisierten Krypto-Lending-Plattformen verursachte Anfang 2023 einen Einbruch des Kreditmarkts um rund 78 Prozent seines Höchststands. Doch gerade die DeFi-Lending-Protokolle erholten sich schnell und schufen durch innovative Modelle und verbesserte Risikomanagement-Praktiken optimierte Rahmenbedingungen für Kreditnehmer und Kreditgeber.
Von Q4 2022 bis Ende 2024 stiegen die offenen Kredite in DeFi um beeindruckende 960 Prozent, was den Aufstieg und die Stabilität des dezentralen Kreditmarkts eindrucksvoll bestätigt. Die Zukunft der DeFi-Kreditvergabe wird stark durch erwartete Zuwächse institutioneller Investitionen geprägt sein. Sogenannte institutionelle Kapitalgeber drücken immer stärker auf das DeFi-Segment, da dieses durch verbesserte regulatorische Rahmenbedingungen und steigende Nutzerzahlen eine attraktive Möglichkeit zur Renditeerzielung darstellt. In Kombination mit technologischem Fortschritt und robuster Governance könnten DeFi-Lending-Plattformen in den kommenden Jahren weitere Marktanteile gewinnen und sich als stabiler Bestandteil der Finanzwelt etablieren. Nicht zuletzt zeigt diese Entwicklung, wie die Kryptoindustrie im Kern lernt, nachhaltige Ertragsmodelle zu favorisiern.
Die Zeit der übertriebenen Renditen und spekulativen Pump-and-Dump-Schemata in Liquiditätspools scheint sich dem Ende zuzuneigen. Stattdessen setzen Anleger zunehmend auf Systeme, die einen kalkulierbaren, langfristigen Wert erzeugen und gleichzeitig die Risiken durch algorithmisches Management und transparente Smart Contracts minimieren. Zusammengefasst steht fest, dass die DeFi-Kreditvergabe derzeit den großen Wandel in der dezentralen Finanzwelt prägt. Technologische Innovationen, nachhaltigere Renditen und das Vertrauen in das Kreditmodell treiben den TVL nach oben – auch wenn die DEXs weiterhin eine wichtige Rolle als Handelsinfrastruktur ausfüllen. Wer in DeFi investieren möchte, sollte die Auswirkung dieser Entwicklung im Auge behalten und die Chancen in diesen stabileren Märkten erkennen.
Ein tieferes Verständnis der Mechanismen hinter DeFi Lending kann dabei helfen, langfristig erfolgreiche Strategien im komplexen Krypto-Ökosystem zu entwickeln.