Jeder kennt das Gefühl: Man denkt, die geniale zündende Idee zu haben, die alles verändern wird. Sie taucht oft unerwartet auf – während einer Dusche, kurz vor dem Einschlafen oder in einem Moment der Ruhe. Dieses plötzliche Aufflammen von Inspiration bezeichnet Kyrylo Silin, ein erfahrener Unternehmer und Softwareentwickler, als „Derail“ – eine Art Ablenkung oder gedanklicher Umweg. Er hat erkannt, dass trotz dieser Begeisterung viele dieser Ideen nie das erfüllen, was man sich zunächst davon verspricht. Tatsächlich, so lautet seine provokante These, ist die Idee wahrscheinlich gar nicht so gut, wie man meint.
Warum ist das so? Und wie kannst du trotzdem lernen, zwischen wertvollen Innovationen und bloßer Einbildung zu unterscheiden? Zunächst einmal liegt eine große Falle darin, wie wir mit der anfänglichen Euphorie umgehen. In dem Moment, in dem eine Idee auftaucht, erscheint sie oft brillant. Die Gedanken rasen, das Potential wirkt gigantisch, und man sieht nur die positiven Seiten. Doch genau dieser Zustand blinde uns gegenüber Kopfzerbrechen, Hürden und logistischen Herausforderungen. Wir sind so gefesselt von der Vision, dass wir die Schwächen nicht erkennen.
Die direkte Folge: Eine häufig überkomplexe Idee, die in ihrer Rohform schwer umzusetzen ist und mehr Probleme schafft, als sie löst. Dieser anfängliche Enthusiasmus wird aber auch von psychologischen Mechanismen befeuert. Das menschliche Gehirn liebt Neuheiten und setzt dabei Glückshormone frei, die den Eindruck erwecken, etwas Großartiges zu erreichen. Damit verknüpft ist der Wunsch, sofort in die Tat umzusetzen, um den Reiz nicht zu verlieren. Doch echte Innovation braucht Zeit und vor allem Abstand.
Wie bei einem guten Wein muss eine Idee reifen. Denn Wert entsteht oft erst durch kritische Überprüfung und Überarbeitung. Gute Ideen können Langeweile überstehen. Sie verlieren nicht ihren Wert, wenn man sie einige Tage, Wochen oder sogar Monate ruhen lässt. Schlechte Ideen hingegen brauchen die Aufregung, um überhaupt am Leben gehalten zu werden.
Kyrylo Silin empfiehlt deshalb, neue Ideen nicht sofort zu verfolgen, sondern sie erst einmal in eine Art „Ideen-Puffer“ zu verschieben. Das bedeutet, die Gedanken aufzuschreiben und dann für eine gewisse Zeit beiseite zu legen. Wenn du nach mehreren Tagen oder einer Woche immer noch von der gleichen Idee besessen bist, lohnt es sich, tiefer einzutauchen. Du kannst dann an einem Plan arbeiten, Alternativen durchdenken und versuchen, mögliche Schwachstellen herauszufinden. Ein nützlicher Ansatz ist es außerdem, eine externe Perspektive einzuholen.
Dabei können moderne Werkzeuge helfen, wie zum Beispiel ein Large Language Model (LLM). Diese KI-gestützten Textgeneratoren können dazu genutzt werden, die Idee zu beschreiben, und diese dann durch gezielten Fragen nach Schwächen oder potenziellen Problemen zu prüfen. Dadurch kannst du schon früh kritische Punkte identifizieren, die deine Begeisterung vielleicht vernebelt hat. Es ist wichtig, sich auch mit der eigenen emotionalen Haltung auseinanderzusetzen. Viele Menschen verfallen in eine Art Besessenheit, wenn sie eine Idee spannend finden.
Doch das kann in die Irre führen. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass wahre Innovation nicht aus dem Zwang entsteht, sofort alles umzusetzen, sondern aus geduldigem und kritischem Nachdenken. Dies erfordert die Bereitschaft, Ideen auch mal loszulassen oder zu verändern. Eine weitere Herausforderung ist die Komplexität. Viele „brillante“ Konzepte sind – zumindest am Anfang – zu kompliziert.
Sie versuchen, zu viel auf einmal zu leisten, haben zu viele Funktionen oder sind technisch schwer umsetzbar. Eine Vereinfachung kann dabei helfen, die Kernidee zu fokussieren und ihre Realisierbarkeit zu erhöhen. Minimalismus und Pragmatismus sind oft die Schlüssel zum Erfolg. Die einfachsten Lösungen sind nicht selten die wirksamsten. Ein langfristiger Blick auf den Entwicklungsprozess von Ideen zeigt, dass viele prominente Erfindungen und Geschäftsmodelle mit einer simplen, aber gut durchdachten Grundidee gestartet sind.
Sie wurden über Zeit verbessert, angepasst und optimiert. Ohne diese iterative Entwicklung würden selbst die besten Ansätze scheitern. Manchmal hilft es auch, Ideen mit einem Team oder Gleichgesinnten zu diskutieren. Ein neutraler Feedbackprozess ist Gold wert, um blinde Flecken zu identifizieren und Probleme früh zu erkennen. Es braucht eine gewisse Offenheit, um Kritik anzunehmen und flexibel zu bleiben.
Für alle, die ständig von neuen Einfällen „geplagt“ werden, gibt Kyrylo Silin praktische Ratschläge: Notiere jedes Mal deine Einfälle, ohne sofort in Aktion zu verfallen. Verfolge sie dann im Abstand und gebe nur denen deine Aufmerksamkeit, die dich tatsächlich noch nach Tagen oder Wochen beschäftigen. So verhinderst du, dich in einer Flut von halbfertigen oder undurchdachten Projekten zu verlieren. Das Erkennen, dass deine Idee wahrscheinlich „sucked“ – also nicht so gut ist, wie sie sich anfühlt – bedeutet nicht, dass du keine guten Ideen haben kannst. Es ist vielmehr ein Aufruf zum bewussten Umgang mit Kreativität.
Abstand, Reflexion, kritisches Hinterfragen und Vereinfachung sind die Säulen, auf denen echte Innovationen aufbauen. Letztlich geht es darum, den eigenen Ideengebern nicht blind zu vertrauen, sondern die Qualität und Umsetzbarkeit der Gedanken systematisch zu prüfen. Erfolg entsteht nicht durch die Menge an Ideen, sondern durch die Fähigkeit, die richtigen auszuwählen und konsequent weiterzuentwickeln. Mit genug Geduld und einer gesunden Portion Skepsis können auch deine „verrückten“ Gedanken irgendwann nachhaltigen Einfluss haben.