Die europäische Pharmaindustrie steht an einem entscheidenden Wendepunkt. Die Herausforderungen durch den globalen Wettbewerb, insbesondere mit den USA, nehmen stetig zu. In diesem Kontext hat Pascal Soriot, CEO von AstraZeneca, eindringlich an die europäischen Regierungen appelliert, die Investitionen in pharmazeutische Innovationen erheblich zu steigern. Seine Aussagen unterstreichen die Bedeutung einer stärkeren finanziellen Unterstützung, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit Europas im Bereich der Gesundheitswissenschaften zu sichern. Die Innovationskraft ist der Motor der pharmazeutischen Weiterentwicklung.
Sie sorgt nicht nur für bahnbrechende Therapien, die Patienten weltweit helfen, sondern stärkt auch die wirtschaftliche Position der Branche auf globaler Ebene. Dennoch zeigt sich laut Soriot ein beunruhigender Trend: In vielen europäischen Ländern – so auch im Vereinigten Königreich – sinkt der Anteil der Gesundheitsbudgets, der für innovative Medikamente vorgesehen ist. Im Vereinigten Königreich beträgt dieser Anteil laut Soriot derzeit lediglich etwa sieben Prozent. Gleichzeitig betonte er: „Was kann man mit sieben Prozent der Gesundheitskosten für innovative Medikamente erreichen? Sicherlich nicht viel.“ Diese nachlassende Investitionsbereitschaft bringt erhebliche Risiken mit sich.
Zum einen entsteht eine Schieflage im Verhältnis zwischen den USA und Europa, da in den Vereinigten Staaten nach wie vor deutlich höhere Mittel für Forschung und Entwicklung in der Pharmaindustrie bereitgestellt werden. Zum anderen verzögern sich durch finanzielle Engpässe der Zugang der europäischen Patienten zu neuartigen Therapien oftmals um Jahre, was nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen beeinflusst, sondern auch den medizinischen Fortschritt behindert. Bereits im April warnten Vertreter des europäischen Pharmasektors vor dem Wegfall von Investitionen in Milliardenhöhe, wenn es nicht gelingt, das regulatorische Umfeld zu reformieren und Investitionsanreize zu verbessern. Die Europäische Föderation der Pharmaindustrie (EFPIA) äußerte Besorgnis darüber, dass zwischen 2025 und 2029 rund 100 Millionen Euro an geplanten Kapital- und Forschungsinvestitionen verloren gehen könnten, sollte die EU keine tragfähigen Lösungen finden. Neben AstraZeneca haben auch andere führende Pharmaunternehmen wie Novartis und Sanofi direkt an die Europäische Kommission appelliert.
In einem offenen Brief, der im April veröffentlicht wurde, fordern sie eine Anpassung der Arzneimittelpreise in Europa. Ihr Argument: Höhere Preise, wie sie etwa in den USA üblich sind, würden Innovationen fördern und die Entwicklung neuer Medikamente beschleunigen. Zudem empfehlen sie der Europäischen Kommission, ein ehrgeiziges Ausgabenziel für Medikamente und Impfstoffe zu setzen, um Innovation angemessen zu honorieren. Pascal Soriot betont in seinen Kommentaren nicht nur die ökonomischen, sondern auch die strategischen Implikationen einer unzureichenden Innovationsoffenheit. Für ihn steht fest, dass wohlhabendere europäische Länder ihre Investitionen in pharmazeutische Forschung deutlich erhöhen müssen – ähnlich wie sie auch größere Beiträge zur Verteidigung leisten.
Diese Umverteilung des Bruttoinlandsprodukts könne entscheidend dazu beitragen, den Zugang zu innovativen Medikamenten zu beschleunigen und gleichzeitig ein neues Gleichgewicht in der Finanzierung von Innovationen zwischen Europa und den USA zu schaffen. Während kurzfristige Sorgen um Handelszölle noch relativ gut beherrschbar seien, sieht Soriot im strukturellen Investitionsmangel ein weit gravierenderes Problem. Es gehe dabei nicht alleine um die Preisgestaltung von Medikamenten, sondern vor allem um die Zeit, die Patienten in Europa auf den Zugang zu neuen Therapien warten müssten. Verzögerungen von zwei oder gar drei Jahren seien in vielen Ländern die traurige Realität, was die medizinischen Fortschritte in Europa erheblich einschränke. Die Forderung nach einem Wandel hat weitreichende Konsequenzen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Zum einen müssen europäische Regierungen und Institutionen den Wert von Innovation in der Pharmaindustrie stärker anerkennen und entsprechende finanzielle Rahmenbedingungen schaffen. Dies betrifft nicht nur die Vergütung von Arzneimitteln, sondern auch steuerliche Anreize, Investitionsförderprogramme und ein innovationsfreundliches regulatorisches Umfeld. Zum anderen ist es essenziell, den europäischen Markt für Forschung und Entwicklung attraktiver zu machen, um nationale und internationale Investoren zu gewinnen. Nur so kann Europa im globalen Wettbewerb um Talente, Wirkstoffe und Technologien bestehen. Dazu gehört auch, bürokratische Hürden abzubauen und die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Gesundheitsbehörden zu verbessern.
Für Patienten bedeutet eine verstärkte Investition in Innovation vor allem schnellerer Zugang zu effektiven und oft lebensrettenden Therapien. Die medizinische Versorgung könnte durch bahnbrechende Fortschritte in den Bereichen personalisierte Medizin, Biotechnologie und digitale Gesundheitslösungen revolutioniert werden. Europa hätte zudem die Chance, eigene Innovationsführerschaft im Pharma- und Gesundheitssektor zurückzugewinnen und langfristig auszubauen. Die Pläne und Forderungen von AstraZenecas CEO sind ein Weckruf für Europa. Sie machen deutlich, dass wirtschaftliches Wachstum, technologische Fortschritte und gesellschaftliches Wohlergehen eng miteinander verbunden sind.
Die Zukunft der europäischen Pharmaindustrie hängt maßgeblich von der politischen Bereitschaft ab, Reformen vorzunehmen und die notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen. Nur durch ein gemeinsames und nachhaltiges Engagement kann sichergestellt werden, dass Europa nicht den Anschluss an internationale Wettbewerber verliert. Die Investition in pharmazeutische Innovationen ist dabei keine bloße Kostenfrage, sondern eine strategische Entscheidung zur Sicherung der Gesundheitsversorgung, der Arbeitsplätze und des wissenschaftlichen Fortschritts in der Region. Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Aufruf von Pascal Soriot nicht nur die Industrie betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft. Um die Chancen der modernen Medizin für alle Bürger zugänglich zu machen, bedarf es entschlossener Maßnahmen und eines klaren Bekenntnisses zu Innovation als Schlüssel zur Zukunft.
Europas Rolle als globaler Gesundheitsakteur steht auf dem Spiel – und jetzt ist die Zeit zu handeln.