Im Herzen des ländlichen Alabama liegt Lowndes County, ein Gebiet, in dem seit Jahrzehnten die grundlegenden sanitären Einrichtungen fehlen. Viele der hier lebenden Menschen – die Bevölkerung ist zu über 70 Prozent schwarz und ein erheblicher Teil lebt unter der Armutsgrenze – sind gezwungen, mit unzureichenden Abwassersystemen zu leben. Die Konsequenzen sind gravierend: kontaminiertes Wasser sammelt sich in den Häusern und Höfen, was zu gesundheitlichen Problemen wie Parasitenbefall mit dem eigentlich ausgerotteten Hakenwurm führt. Die Situation ist so prekär, dass sie als öffentliche Gesundheitskrise eingestuft wurde. Im Jahr 2023 legte das US-Justizministerium (DOJ) eine Untersuchung vor, die eindrucksvoll belegte, dass die Bewohner Lowndes Countys seit Generationen systematisch vom Zugang zu grundlegenden sanitären Dienstleistungen ausgeschlossen wurden.
Die besondere geologische Beschaffenheit des Bodens, verbunden mit hohen Kosten für private Abwasseranlagen, führte dazu, dass viele Anwohner auf sogenannte „straight piping“ Systeme zurückgreifen mussten. Dabei wird das Abwasser ungefiltert durch Rohre oder Gräben abgeleitet, wodurch es in der natürlichen Umwelt landet und Menschen direkt gefährdet. Die Politik versuchte, auf diese Notsituation zu reagieren: Das unter der Regierung von Präsident Joe Biden gestartete Programm sah vor, fast 26 Millionen US-Dollar in die Sanierung der Wasserinfrastruktur in Lowndes County zu investieren. Ziel war es, nicht nur die hygienischen Zustände zu verbessern, sondern auch die gesundheitlichen Risiken zu mindern und der anhaltenden Umweltungerechtigkeit entgegenzuwirken. Das Programm wurde von vielen Aktivisten, darunter die engagierte Umweltaktivistin Catherine Coleman Flowers, als ein dringend nötiger Schritt angesehen, um seit langem vernachlässigte ländliche Gemeinden zu unterstützen.
Doch diese Hoffnungen wurden durch eine drastische politische Kehrtwende zunichtegemacht. Präsident Donald Trump stoppte das Programm per Exekutivverordnung und bezeichnete es als „illegal DEI“ – eine direkte Kritik an Diversität-, Gerechtigkeits- und Inklusionsmaßnahmen. Das DOJ unter der damaligen Leitung von Harmeet K. Dhillon teilte mit, dass unter der Trump-Administration Umweltgerechtigkeit nicht länger durch die Linse von DEI-Programmen betrachtet werde. Diese Entscheidung hatte zur Folge, dass die bereitgestellten Mittel bis auf kleine Ausnahmen nicht ausgezahlt wurden und viele Familien weiterhin in unzumutbaren hygienischen Verhältnissen leben müssen.
Die Abwasserkrise in Lowndes County ist jedoch kein neues Problem, sondern Teil einer lange andauernden strukturellen Vernachlässigung. Historisch gesehen geht die Problematik bis ins Jahr 1866 zurück, als mit dem Southern Homestead Act Schwarze Landkäufer gezwungen wurden, Gebiete zu erwerben, die umweltbedenklich waren. Daraus ergab sich eine soziale und ökologische Ungleichheit, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Die Versäumnisse umfassen dabei nicht nur fehlende Infrastruktur, sondern auch einen Mangel an staatlicher Regulierung und Unterstützung, was die Situation noch verschlimmert. Anwohner wie Annye Burke schildern eindringlich die Realität des Alltags mit unzureichender sanitären Versorgung.
Verstopfte und beschädigte Septiktanks führen dazu, dass Abwasser sowohl in die Wohnräume als auch in den Außenbereich zurückfließt. Der Kontakt mit dem kontaminierten Wasser und Boden birgt nicht nur eine große gesundheitliche Gefahr, sondern ist auch eine ständige Belastung für Leib und Seele. Um ihre Familien, einschließlich Kinder und Enkelkinder, zu schützen, reinigen sie ihre Häuser täglich mit mehreren Desinfektionsmitteln. Dennoch bleiben die Gefahren bestehen, und der Zugang zu sauberem Wasser bleibt unerreichbar. Die Entscheidung der Trump-Administration, das Abwasserprogramm zu stoppen, wird von lokalen Politikern und Bürgerrechtsaktivisten scharf kritisiert.
So nennt die Abgeordnete Terri Sewell den vorgeblichen Grund, das Programm habe „nichts mit DEI zu tun gehabt“, als schwachen Vorwand. Für sie gehe es um medizinische und soziale Gerechtigkeit, um ein grundlegendes Menschenrecht auf gesunde Lebensbedingungen. Die Einstellung des Programms stelle eine Missachtung der Bedürfnisse und Gesundheit der Einwohner dar. Ebenso weisen Experten auf eine systematische Untätigkeit staatlicher Stellen hin. Die Alabama Department of Public Health erklärte, für die Installation von sanitären Anlagen nicht zuständig zu sein, obwohl sie zumindest einen Teil der finanziellen Mittel aus dem ausgefallenen Bundesprogramm verwaltete und bereits einige wenige Projekte umsetzte.
Insgesamt jedoch war die Wirkung dieser Arbeiten minimal und reichte bei weitem nicht aus, um die gravierenden Mängel zu beheben. Die Folgen der mangelnden Infrastruktur dauern an: Niederschläge und zunehmende Starkregen aufgrund des Klimawandels führen dazu, dass das Abwasser aus vorhandenen und defekten Systemen nicht abfließen kann und stattdessen in Häuser eindringt und die Umwelt verschmutzt. Dies schafft eine permanente Gesundheitsgefahr, die vor allem Kinder und ältere Menschen betrifft. Trotz der widrigen Umstände formieren sich in der Region Initiativen und Engagements, die sich für Veränderungen einsetzen. Catherine Coleman Flowers ist seit mehr als zwei Jahrzehnten unermüdlich aktiv, um das Problem in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.
Sie betont die enge Verbindung der Bewohner zu ihrem Land, das für viele nicht nur Heimat, sondern auch Symbol ihrer Kultur und Geschichte ist. Ein Umzug wäre nicht nur ein Wohnortwechsel, sondern ein großer Verlust für die Gemeinschaft und ihre Identität. Der Fall von Lowndes County verdeutlicht eine größere Thematik: Umweltgerechtigkeit ist nicht nur eine Frage der Infrastruktur, sondern auch von sozialer Verantwortung und politischem Willen. Ländliche, arme und insbesondere von Minderheiten bewohnte Regionen sind oft von einer Vernachlässigung betroffen, die sich über Jahrzehnte hinweg verfestigt hat. Die Ablehnung von Programmen, die gezielt auf die Behebung solcher Ungleichheiten abzielen, führt dazu, dass Probleme ungelöst bleiben und sich verschärfen.
Im Vergleich dazu zeigt die Lösung von Abwasserproblemen in anderen Teilen des Landes, dass es durchaus möglich ist, durch koordiniertes Zusammenspiel von Kommunen, Bundesstaaten und Bundesregierung nachhaltige Verbesserungen zu erzielen. Beispielhaft ist die Stadt Mount Vernon in New York, wo ein zusammenhängendes Engagement innerhalb von nur fünf Jahren sichtbare Ergebnisse im Bereich der Wassersanierung erzielte – im Gegensatz zur jahrzehntelangen Stagnation in Lowndes County. Ein weiteres wesentliches Argument für die Dringlichkeit der Sanierung sind die gesundheitlichen Konsequenzen. Hakenwürmer, die durch den Kontakt mit kontaminiertem Boden übertragen werden, verursachen schwere gesundheitliche Probleme wie Hautausschläge, Durchfall und Fieber. Obwohl diese Parasiten in den meisten Teilen der USA als ausgerottet gelten, erleben Gemeinden wie Lowndes County eine Rückkehr, bedingt durch die anhaltende Umweltunsicherheit und mangelnde hygienische Bedingungen.
Die wiederholten strukturellen Versäumnisse werfen grundsätzliche Fragen nach Gleichberechtigung, öffentlicher Gesundheitspolitik und nachhaltiger Entwicklung auf. Sie zeigen, wie eng soziale Probleme und Umweltfragen verflochten sind und dass politische Entscheidungen tiefgreifende Auswirkungen auf die Lebensqualität ganzer Bevölkerungsgruppen haben. Die Herausforderungen, mit denen Lowndes County konfrontiert ist, spiegeln eine weit verbreitete Problematik in vielen ländlichen Regionen wider, die oft von Infrastrukturmängeln und unzureichender staatlicher Unterstützung geprägt sind. Die Sanierung der Abwasserinfrastruktur ist daher nicht nur eine technische Frage, sondern ein wichtiger Schritt zur Überwindung sozialer und ökologischer Benachteiligungen. Noch ist unklar, ob die Bundesmittel und das entsprechende Programm unter zukünftigen Regierungen reaktiviert und die dringend benötigte Infrastruktur verbessert werden.
Die Bevölkerung von Lowndes County bleibt jedoch unerschütterlich in ihrem Glauben an Veränderung und engagiert sich weiterhin leidenschaftlich für eine gesunde und gerechte Zukunft. Die Geschichte von Lowndes County mahnt zur Wachsamkeit gegenüber politischen Entscheidungen, die rassistische und soziale Ungerechtigkeiten verschärfen können. Sie verdeutlicht den dringenden Bedarf an Initiativen, die Umweltgerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen – nicht als politische Floskel, sondern als Realisierung des Rechts auf Gesundheit, Würde und Teilhabe für alle Menschen, egal ob Stadt oder Land.