Die Erwartungen an die Entwicklung und Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in Wirtschaft und Gesellschaft sind groß und vielfältig. Viele Forschende und Experten prognostizieren einen rasanten Wandel durch intelligente Maschinen, die menschliche Arbeit nicht nur unterstützen, sondern in vielen Bereichen ersetzen könnten. Insbesondere im Bereich der Wissensarbeit, die typische Bürotätigkeiten, Forschung, Recht oder Finanzentscheidungen umfasst, wird oft von einem stark beschleunigten Wandel innerhalb der nächsten zehn Jahre ausgegangen. Doch trotz großer technologischer Fortschritte bleibt die Adoption von KI in der Praxis bislang vergleichsweise langsam. Ein genauerer Blick auf die Hintergründe zeigt, dass zahlreiche fundamentale Herausforderungen diesen Prozess verzögern und dämpfen.
Die folgenden Argumente bieten überzeugende Gründe, warum der Wandel durch KI nicht so abrupt und umfassend stattfinden wird, wie manche es erwarten. Ein Hauptgrund liegt in der Komplexität und Unübersichtlichkeit der realen Arbeitsprozesse in der heutigen Wissensarbeit. Im Gegensatz zu gut strukturierten Daten und klar definierten Aufgaben, die in den Standard-Datensätzen für KI-Modelle häufig vorkommen, sind viele Aufgabengeschichte und -abläufe hochspezialisiert, warten mit undokumentiertem Wissen auf und sind das Ergebnis jahrzehntelanger, oft informeller Optimierung. Dieses Wissen ist zumeist in Unternehmen, Institutionen und lokalen Gemeinschaften verborgen und nicht öffentlich zugänglich. Dies ist vergleichbar mit einem tiefen, sumpfigen Terrain, das die Verbreitung und den Einsatz von KI erschwert.
So wie eine Gruppe von Softwareingenieuren zwar in kurzer Zeit ein funktionsfähiges KI-Chatbot-Demo entwickeln kann, ist es vollkommen unterschiedlich herausfordernd, ein komplexes System wie die Grafikprozessor-Architektur CUDA zu replizieren. CUDA ist ein hochspezialisierter, umfangreicher und kaum dokumentierter technologischer Bauplan, der in wirtschaftlicher Hinsicht von enormer Bedeutung und damit ein schwer überwindbarer Wettbewerbsvorteil ist. Ähnlich verhält es sich mit den vielschichtigen Prozessen der Wissensarbeit. Sie bestehen aus einer Vielzahl verschachtelter, interdependenter Teilaufgaben, die kaum dokumentiert und oft nur durch informelles Wissen steuerbar sind. Die Aufgabe, diese Prozesse komplett und zuverlässig durch KI zu automatisieren, ist somit bei Weitem komplexer als der reine Umgang mit großen Textmengen oder strukturierten Trainingsdaten.
Diese Unübersichtlichkeit und Vielschichtigkeit bedeutet, dass wir es bei KI nicht einfach mit linearem Fortschritt zu tun haben. Kleine Verbesserungen in einem Bereich mögen schnell möglich sein, doch der Schritt zur vollumfänglichen Automatisierung komplexer Wissensarbeit gleicht eher dem mühseligen Durchqueren eines unkartierten Sumpflands. Jedes Teilproblem gleicht einer tiefen Senke oder einem schwierigen Geländeabschnitt, der sorgfältig analysiert, verstanden und überwunden werden muss. Ein solcher Prozess erfordert nicht nur technologische Innovationen, sondern auch Verständnis für die spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Kontexte, in denen Arbeit stattfindet. Hier treffen die KI-Entwickler auf eine Zersplitterung von individuellen und institutionellen Praktiken, die nicht einfach vereinheitlicht oder standardisiert werden können.
Außerdem stellt sich die soziale Seite menschlicher Zusammenarbeit als besonders schwer zu automatisieren heraus. Eine der wichtigsten Erkenntnisse in der KI-Forschung ist, dass viele alltägliche Aufgaben, die für Menschen selbstverständlich wirken, für Maschinen extrem komplex sind. Moravecs Paradoxon beschreibt genau dieses Phänomen: Was für Menschen leicht ist, fällt Maschinen schwer, obwohl diese wiederum in komplexen mathematischen oder abstrakten Problemlösungen oft überlegen sind. Die motorischen Fähigkeiten oder die soziale Interaktion sind typische Beispiele, die Maschinen bislang nicht in ihrer vollen Bandbreite reproduzieren können. Das betrifft etwa die Fähigkeit, in Teams zu arbeiten, Aufgaben zu delegieren, langfristig zu planen oder auf unvorhergesehene menschliche Verhaltensweisen angemessen zu reagieren.
Diese „Soft Skills“ sind für den Erfolg der meisten wirtschaftlichen Prozesse elementar und bilden oft ein unsichtbares aber entscheidendes Fundament. Ein weiteres Hemmnis ergibt sich aus dem Blick auf die Entstehung der menschlichen Intelligenz selbst. Anders als viele Forscher ursprünglich annahmen, ist allgemeine Intelligenz nicht das Produkt simplen oder rein skalierbaren Trainings von neuronalen Netzen, sondern das Ergebnis eines langwierigen, evolutionären Prozesses, der über Milliarden von Jahren enorme Rechenressourcen in Form von Zeit, Millionen von Lebenszyklen und Umweltinteraktionen erforderte. Die Evolution kann als riesiger natürlicher Reinforcement-Learning-Algorithmus verstanden werden, der mit medialer Effizienz weit entfernt von den heutigen KI-Trainingsansätzen arbeitet. Die enorme Dimension dieses Prozesses stellt eine fast unüberwindbare Barriere dar, die gegenwärtige KI-Systeme weit entfernt von echter, generalisierter Intelligenz hält.
Aktuelle Verstärkungslernverfahren, die versucht werden als Brücke zum AGI (Artificial General Intelligence) zu nutzen, sind zwar ein Schritt in diese Richtung, zeichnen sich aber durch enorme Rechenineffizienz und eine gewisse Unvorhersehbarkeit aus. Zudem sind gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen keine statischen Größen. Die menschlichen Aktivitäten, die KI übernehmen soll, sind eingebettet in rechtliche, regulatorische und zwischenmenschliche Strukturen, die häufig undokumentiert und stets im Wandel sind. Die Vielzahl von Akteuren mit teils widersprüchlichen Interessen sowie der dezentrale Charakter unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems erschweren eine schnelle Transformation zusätzlich. KI muss sich in diesem komplexen Geflecht langsam und Schritt für Schritt etablieren, um Vertrauen zu gewinnen, Fehler zu minimieren und nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen.
Ein abrupter und umfassender Wandel würde zu massiven Verwerfungen führen, die nicht nur ökonomisch schwierig sind, sondern auch gesellschaftlich instabil machen können. Daher ist der viel zitierte Hype um kurzfristige Durchbrüche und die schnelle Ersetzung menschlicher Arbeitskräfte durch KI mit Vorsicht zu genießen. Die Realität zeigt eher einen graduellen, inkrementellen Prozess, bei dem kleine, spezialisierte Aufgaben automatisiert werden, während die hochkomplexen, sozialen und kontextabhängigen Tätigkeiten weiterhin überwiegend von Menschen ausgeführt werden. Dieses langsame Herantasten ist ein natürlicher Weg, um die vielschichtigen Herausforderungen zu bewältigen und dabei die positiven Aspekte der KI nutzbar zu machen, ohne unverhältnismäßige Risiken einzugehen. Schlussendlich gibt es auch einen praktischen Aspekt: Die derzeitige KI-Technologie ist noch immer stark von großen Datenmengen abhängig, die in vielen Bereichen schlicht nicht in ausreichender Qualität oder Breite vorhanden sind, um alle Aufgaben abzudecken.
Das bedeutet, dass viele Nischen und Spezialgebiete sowie subtile, kontextbezogene Entscheidungen nicht ohne weiteres durch Algorithmen ersetzt werden können. Dieser Mangel an repräsentativen Daten begrenzt die Anwendungsmöglichkeiten erheblich. Die Konsequenz daraus ist, dass die Überwindung der metaphorischen „Sümpfe“ in Gang gesetzt wird, jedoch keinen plötzlichen Durchbruch erwarten lässt. Die Fortschritte in der KI-Forschung sind beeindruckend, doch die tatsächliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Umsetzung benötigt Zeit, vor allem um die komplexen und stark verzweigten menschlichen Prozesse zu verstehen, zu modellieren und zu automatisieren. Es bedarf umfangreicher interdisziplinärer Arbeit, bei der nicht nur technologische Neuerungen, sondern auch rechtliche, wirtschaftliche und soziale Aspekte berücksichtigt werden müssen.
Insgesamt zeigt sich, dass eine langsame Adoption von KI kein Versagen der Technologie ist, sondern vielmehr Ausdruck der enormen Komplexität und Tiefe menschlicher Wissensarbeit und sozialer Interaktionen. Diese Erkenntnis hilft, unrealistische Erwartungshaltungen abzubauen, und fördert ein tieferes Verständnis für die realen Voraussetzungen und Herausforderungen beim Übergang in eine zunehmend von KI geprägte Welt. Für Unternehmen, Interessenvertretungen und politische Entscheidungsträger bedeutet dies, dass sie den Fokus neben schnellen Innovationen vor allem auf nachhaltige, schrittweise Integration und die Schaffung passender gesellschaftlicher Rahmenbedingungen legen sollten, um den Wandel verantwortungsvoll und erfolgreich zu gestalten.