In den letzten Jahren hat die chinesische Regierung mehrfach die Einlagenzinsen bei Banken gesenkt, um den Haushalten Anreize zu bieten, weniger zu sparen und mehr zu konsumieren. Diese Maßnahme ist Teil eines größeren geldpolitischen Instruments, mit dem die Behörden das wirtschaftliche Wachstum stimulieren wollen. Trotz der Zinssenkungen hat sich bei den chinesischen Sparern jedoch wenig am Verhalten geändert. Vielmehr häufen die Haushalte weiterhin enorme Summen auf ihren Konten an, was eine große Herausforderung für das Wachstum der chinesischen Binnenwirtschaft darstellt. Der Zusammenhang zwischen sinkenden Zinsen und Konsumneigung in China gestaltet sich deutlich komplexer als von den Entscheidungsträgern erwartet.
Einer Umfrage auf sozialen Medien zufolge präferieren über 80 Prozent der Befragten trotz niedrigerer Zinsen weiterhin das Sparen gegenüber dem Ausgeben. Dieses Verhalten zeugt von großer wirtschaftlicher Vorsicht und einer stark ausgeprägten Zukunftsabsicherung unter den chinesischen Haushalten. Viele Menschen sorgen sich um die Stabilität ihrer Arbeitsplätze, zum Teil auch um ihre Altersvorsorge, und bevorzugen daher Sicherheit vor kurzfristigem Konsum. Die chinesische Zentralbank hat die Obergrenze für Einlagenzinsen bewusst gesenkt, in der Hoffnung, dass geringere Renditen auf Spareinlagen die Bevölkerung zum vermehrten Konsum oder Investitionen anlocken würden. Allerdings ist das Gegenteil eingetreten.
Die Sparquote der chinesischen Haushalte ist weiter gestiegen und erreichte zuletzt Rekordwerte. Offizielle Statistiken zeigen, dass die Gesamtguthaben auf den Privatkonten einen Wert von über 160 Billionen Yuan überschritten haben, was etwa dem 118-fachen des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Im Vergleich dazu blieb das Einzelhandelswachstum mit knapp unter 5 Prozent in etwa stabil, ein Hinweis darauf, dass die Konsumelektronik nicht im gleichen Maß zunimmt wie die Ersparnisse. Experten sehen mehrere Gründe für dieses Phänomen. Zum einen herrschen erhebliche wirtschaftliche Unsicherheiten vor, die durch den jahrelangen Handelskonflikt mit den USA und andere globale Risiken verstärkt werden.
Zum anderen befinden sich viele Branchen in einem strukturellen Umbruch. Die Beschäftigungssituation ist instabil, viele Menschen befürchten Jobverluste oder Einkommensrückgänge. Diese Sorge wirkt sich unmittelbar auf das Konsumverhalten aus und fördert die Neigung, Geld zurückzulegen anstatt es auszugeben. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist das chinesische Rentensystem und die soziale Absicherung. Die staatlichen Systeme wirken für viele unzureichend und unsicher, was das Vertrauen in eine verlässliche Altersvorsorge schwächt.
Menschen, insbesondere die Generation der 1980er Jahre und jünger, fühlen sich gezwungen, eigenverantwortlich für ihr Alter vorzusorgen und sparen deshalb verstärkt. Die Prognosen von Wissenschaftlern und der chinesischen Akademie der Wissenschaften bestätigen, dass die staatlichen Pensionsfonds in den kommenden Jahren dauerhaft unter Druck geraten könnten und in der derzeitigen Form nicht nachhaltig sind. Die Folgen dieses Sparverhaltens sind weitreichend. Eine geringe Konsumneigung bremst das wirtschaftliche Wachstum, da Konsumwachstum maßgeblich für die Dynamik der Binnenwirtschaft ist. Niedrige Zinsen können somit nur bedingt die Strukturprobleme ausgleichen, wenn die Haushalte ihr Geld weiterhin zurückhalten.
Die Regierung steht daher vor der Aufgabe, nicht nur monetäre Anreize zu schaffen, sondern auch das soziale Sicherheitsnetz zu verbessern und das allgemeine Vertrauen der Bevölkerung in die wirtschaftliche und soziale Stabilität zu stärken. Wirtschaftswissenschaftler fordern verstärkte Investitionen in die öffentliche Altersvorsorge und in soziale Leistungen, um den Spardruck der Haushalte zu reduzieren. Ein stabiles und verlässliches soziales System würde es den Menschen ermöglichen, sich stärker auf den gegenwärtigen Konsum zu konzentrieren, anstatt tiefgreifende Vorsorgeängste zu hegen. Zudem könnten Reformen am Arbeitsmarkt mehr Sicherheit und Flexibilität schaffen, was ebenfalls konsumfördernd wirken würde. Auch die Veränderungen im Immobilienmarkt spielen eine Rolle.
Die seit Jahren anhaltende Immobilienkrise hat Vermögen vieler Haushalte geschmälert oder das Gefühl der Vermögensunsicherheit verstärkt. Da Immobilien traditionell als wichtigster Vermögenswert und Altersvorsorge dienen, führt die aktuelle Lage zu einer vorsichtigen Haltung bei Konsumentscheidungen. Trotz niedriger Zinsen hoffen viele Hausbesitzer oder potenzielle Käufer eher auf Stabilisierung des Marktes als auf eine schnelle Erholung. Ein anschauliches Beispiel ist der Fall von Lawrence Pan, einem 30-jährigen Freelancer, der nach dem Verlust seines festen Jobs seine eigene Vorsorge betreibt, da er dem staatlichen System kaum Vertrauen schenkt. Er spart einen Großteil seines Einkommens und sieht in den aktuellen Zinssätzen keinen ausreichenden Anreiz, sein Geld anders zu investieren.
Solche persönlichen Geschichten spiegeln letztlich die gesamtgesellschaftliche Situation wider. Insgesamt zeigt sich, dass sinkende Zinsen allein nicht ausreichen, um das Konsumverhalten in China maßgeblich zu verändern. Vielmehr müssen umfassendere Reformschritte unternommen werden, um wirtschaftliche Sicherheit zu schaffen und das Vertrauen der Verbraucher gezielt zu stärken. Die chinesische Regierung steht in diesem Zusammenhang vor der Herausforderung, eine Balance zwischen kurzfristiger Stimulierung durch Geldpolitik und langfristiger Sicherung der sozialen Systeme zu finden. Für die chinesische Wirtschaft, die einen stetigen Verbrauchermarkt benötigt, ist es unerlässlich, die Sparneigung zu durchbrechen und eine stärkere Nachfrage zu generieren.
Nur so kann das Wirtschaftswachstum nachhaltig und stabil gehalten werden. Die Nachfrage nach entsprechenden politischen Maßnahmen ist damit groß, und die nächsten Jahre werden zeigen, wie flexible und wirkungsvolle Antworten auf dieses vielschichtige Problem aussehen können.