Der Energiesektor hat in den letzten Jahren eine Phase intensiven Wachstums und zahlreicher Fusionen und Übernahmen (M&A) erlebt, nicht zuletzt aufgrund stabiler Ölpreise, die strategische Investitionen erleichterten. Doch diese Entwicklung erfährt seit Mitte 2024 durch eine Kombination aus geopolitischen Spannungen, der Einführung neuer Zölle und einer erhöhten Volatilität bei Rohstoffpreisen einen drastischen Rückschlag. Insbesondere die Entscheidungsfindung rund um große Transaktionen im Öl- und Gassektor steht unter erheblichem Druck, wodurch etliche Deals geplatzt oder auf Eis gelegt wurden. Das Ergebnis ist ein stark veränderter Markt, in dem Risiken neu bewertet und Wachstumshoffnungen gedämpft werden. Die Auswirkungen dieses „außergewöhnlichen Volatilitäts“-zustands durch Zölle sind weitreichend und werfen Fragen auf, wie sich der Energiemarkt in Zukunft positionieren wird.
Ein erklärendes Beispiel für die aktuelle Lage ist der Fall des kleinen Öl- und Gasproduzenten Amplify Energy. Anfang 2025 kündigte das Unternehmen eine „transformationale“ Akquisition an, mit der es seinen Besitz um fast 300.000 Netto-Acker in rohölreichen Gebieten Wyoming erweitern wollte. Diese Übernahme, die als großer Wachstumsschritt gewertet wurde, musste jedoch bereits im April desselben Jahres wieder rückgängig gemacht werden – offiziell aufgrund „außergewöhnlicher Volatilität am Markt“. Die ursprüngliche Euphorie wich schnell einer Skepsis der Anteilseigner, die nicht nur die Risiken des Übernahmegeschäfts erkannten, sondern auch durch die eingeführten Zölle und anhaltende Ängste um ein globales Überangebot an Öl verunsichert wurden.
Die Volatilität an den Öl- und Gasmärkten wirkt sich massiv auf die Preisstabilität aus. Nach einer langanhaltenden Periode, in der die Benchmarkpreise der US-Rohölsorte zwischen 75 und 80 US-Dollar pro Barrel lagen, fiel der Kurs jüngst auf knapp über 60 Dollar. Dieses Niveau gilt als kritische Schwelle, bei deren Unterschreitung die Energiekonzerne gezwungen sind, Investitionen und die Ausgaben für Explorations- und Produktionsvorhaben zu kürzen. Die Folge daraus sind zögerliche Käufer, die bei potenziellen Akquisitionen vorsichtiger agieren, während Verkäufer angesichts fallender Preise bei der Vermarktung ihrer Assets weniger Spielraum haben. Übergeordnete Einflussfaktoren wie die von Präsident Trump verhängten Zölle auf Energieimporte verstärken diese Problematik zusätzlich.
Die Zölle führen zu Unsicherheiten hinsichtlich zukünftiger Kostensituationen und Handelsbeziehungen, was die Marktteilnehmer vor weitere Herausforderungen stellt. Während große Übernahmen wie die milliardenschweren Deals von Exxon Mobil, ConocoPhillips und Chevron vor gut einem Jahr noch das Bild des Marktes prägten, ist die Stimmung heute gedämpft. Es ist nicht nur die Schwierigkeit, sich auf Preise zu einigen, sondern es geht auch darum, strategische Investitionsentscheidungen im Angesicht unklarer wirtschaftlicher Aussichten zu treffen. Angie Gildea, Energieexpertin bei KPMG, beschreibt den Zustand der Branche anschaulich: Bei „zusammengesetzten Volatilitäten“ – also der Kombination aus Preisschwankungen, politischen Eingriffen und globalen Angebotssituationen – kommt es typischerweise zu einem Rückgang der Transaktionen. Die Unternehmen tendieren dazu, ihren Fokus von Wachstum durch Übernahmen auf den Erhalt und die Optimierung bestehender Geschäftsbereiche zu verlagern.
Dazu zählen unter anderem der Verkauf von nicht-essentiellen Vermögenswerten, die Reduktion von Belegschaft und die Neuverhandlung von Verträgen. Insgesamt verhalten sich viele Energieanbieter defensiv und sichern ihre Positionen gegen weitere Unsicherheiten ab. Die Folgen auf dem Arbeitsmarkt und in den Unternehmensstrukturen sind hierdurch erheblich. Investitionszurückhaltung wirkt sich langfristig auf die Innovationsfähigkeit und die Wettbewerbsposition der Industrie aus. Insbesondere kleinere Unternehmen wie Amplify Energy sind von Preisschwankungen und regulatorischen Änderungen besonders stark betroffen.
Ihre begrenzten finanziellen Spielräume erlauben weniger Flexibilität, was im Ergebnis häufig zu Kursstürzen an den Börsen führt – so geschehen beim Aktienkurs von Amplify, der innerhalb weniger Monate um über 50 Prozent fiel und die Firma bis in den Mikro-Kap-Bereich trieb. Andrew Dittmar, Analyst bei Enverus Intelligence Research, kommentiert die Situation als „bedauerlich, aber nicht überraschend“. Kleine Marktteilnehmer reagieren naturgemäß sensibler auf die Schwankungen in Rohstoffpreisen und sind daher in besonderem Maße von der jetzigen Situation betroffen. Dies spiegelt sich auch in der Zurückhaltung wider, grosse Projekte zu starten oder bestehende Projekte durch Übernahmen auszubauen. Die Kombination von volatilen Rohstoffmärkten, tarifären Hemmnissen und globalen politischen Unsicherheiten schafft ein Umfeld, in dem Fusionen und Übernahmen deutlich schwieriger durchzuführen sind als noch vor einem Jahr.
Die Energiebranche steht damit vor fundamentalen Herausforderungen, die nicht nur kurzfristige Finanzentscheidungen betreffen, sondern auch die strategische Ausrichtung der Unternehmen nachhaltig prägen. Die Zukunft wird zeigen, wie sich die Branche anpasst. Digitalisierung, Effizienzsteigerung und möglicherweise eine stärkere Fokussierung auf nachhaltige Energieträger könnten Wege sein, um die Widerstandsfähigkeit gegen Marktschwankungen zu erhöhen. Bis dahin bleibt zu erwarten, dass der M&A-Sektor weiterhin unter Druck steht und Investoren vorsichtig agieren. Größere Deals werden sich eher verzögern oder ganz fallen gelassen, während sich der Markt insgesamt auf eine Phase der Konsolidierung und Risikominimierung einstellt.
Die außerordentliche Volatilität durch Zölle hat damit eine neue Ära der Marktunsicherheit im Energiesektor eingeläutet. Wer heute auf Stabilität hoffen will, braucht starke Resilienz und eine flexible Geschäftsstrategie, um sich erfolgreich in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld zu behaupten.