Funktionelle Magnetresonanztomographie, kurz fMRI, ist seit den 1990er-Jahren ein zentrales Werkzeug für die Neurowissenschaften. Mit ihr können Wissenschaftler vermeintlich in Echtzeit beobachten, welche Regionen des Gehirns bei bestimmten Aufgaben aktiv sind, indem sie die Durchblutung messen. Die bunten Bilder, die daraus entstehen, sind faszinierend, da sie scheinbar lebendige Landkarten der Gedanken und Gefühle eines Menschen zeichnen. Doch genau hier beginnt die Problematik, wenn die Interpretation dieser Bilder unkritisch erfolgt. Eine ungewöhnliche und humorvolle Studie aus dem Jahr 2009 hat eindrucksvoll gezeigt, wie leicht Forscher dabei in die Irre geführt werden können, wenn statistische Verfahren nicht korrekt angewandt werden – und das mit einem toten Atlantik-Lachs als Probanden.
In dem Experiment legten der Neurowissenschaftler Craig Bennett und die Psychologin Abigail Baird einen bereits toten, eingefrorenen Lachs in einen fMRI-Scanner und zeigten ihm 48 Bilder von Menschen in sozialen Interaktionen. Auch wenn das absurd klingt, erzeugten die anschließenden Daten erst einmal das Bild, als ob in dem toten Fisch bestimmte Hirnregionen auf die Bilder reagierten und Emotionen erkannten. Natürlich wusste das Forschungsteam, dass dies unmöglich ist. Die Studie demonstrierte auf humorvolle Weise, wie leicht fälschliche Ergebnisse – sogenannte “False Positives” – in der fMRI-Forschung entstehen können, wenn statistische Fehler nicht vermieden werden. Doch warum liefert ein toter Fisch überhaupt ein „Signal“ im fMRI? Das liegt daran, dass fMRI die Magnetfeldveränderungen misst, die mit der Sauerstoffversorgung im Gehirn zusammenhängen.
Das Gehirn wird bei Aktivität stärker durchblutet, um den Bedarf an Sauerstoff zu decken. Sauerstoffreiches und sauerstoffarmes Blut unterscheiden sich in ihren magnetischen Eigenschaften, was fMRI misst. Allerdings ist dieses Signal sehr anfällig für Störungen und Rauschen. Jegliche kleinste Veränderung, sei es vom Herzschlag, bewegten Organen oder technischen Störungen, kann das Ergebnis verfälschen. Im Fall des toten Lachses handelte es sich um rein statistische Zufälle und artefaktbedingte „Aktivitäten“.
Diese zeigten, dass ohne angemessene statistische Kontrollen selbst ein toter Fisch „Denkprozesse“ zu haben scheint. Die Studie warnt vor der sogenannten Problematik der multiplen Tests. Bei fMRI werden Tausende von Punkten (Voxeln) im Gehirn gleichzeitig ausgewertet. Selbst wenn an jedem Punkt das Risiko eines Fehlers klein ist, summieren sich diese Fehlerwahrscheinlichkeiten bei so vielen Messungen auf. Deshalb ist es entscheidend, die Daten mit geeigneten statistischen Methoden zu kontrollieren, um zufällige Fehlinterpretationen auszuschließen.
In ihrer Untersuchung fanden Bennett, Baird und Kollegen, dass viele veröffentlichte Arbeiten diesen notwendigen Korrekturprozess entweder nicht oder unzureichend anwenden, was die Aussagekraft vieler Studien in Frage stellt. Die Folgen dieser Erkenntnis sind weitreichend. Viele Medienberichte präsentieren fMRI-Bilder als spektakuläre Beweise für unterschiedliche geistige Zustände, politische Einstellungen oder Persönlichkeitsmerkmale. Doch oft werden dieResultate allzu plakativ dargestellt, als „leuchtet“ das Gehirn auf, wenn eine Person beispielsweise politische Überzeugungen äußert. Die Wahrheit ist komplexer.
fMRI misst lediglich die Wahrscheinlichkeit an einem Ort im Gehirn eine erhöhte Aktivität im Vergleich zu einem anderen Ort oder zu einem Zustand. Es handelt sich meist um Gruppendurchschnitte, keine individuellen Diagnosen. Zudem zeigen die Studienergebnisse häufig nur Korrelationen, nicht aber kausale Zusammenhänge. Die Sensationslust und das sogenannte „Hirn-Farben-Fieber“ führen häufig zu überzogenen oder irreführenden Interpretationen. Craig Bennett vergleicht die Interpretation von fMRI-Ergebnissen gerne mit der Untersuchung eines Verkehrsunfalls anhand von Bremsspuren.
Man kann anhand der Spuren Rückschlüsse ziehen, was wohl passiert sein könnte, aber es ist keine direkte Beobachtung der Unfallzeit. Ähnlich misst fMRI nicht die tatsächliche neuronale Aktivität, sondern „das, was man erwarten würde“ basierend auf Blutflussänderungen – ein indirekter und verzögerter Indikator. Ein weiteres Problem liegt darin, dass der Messvorgang selbst relativ langsam ist. Die Blutzufuhr zu aktiven Hirnarealen erfolgt mit einer Verzögerung von vier bis sechs Sekunden nach dem eigentlichen neuronalen Ereignis. Folglich sind zeitliche Auflösungen von Sekunden typisch, während echte neuronale Aktivitäten im Millisekundenbereich liegen.
Das führt zu einer gewissen Ungenauigkeit und macht es schwierig, komplexe kognitive Prozesse in Echtzeit präzise abzubilden. Die zentrale Lehre der toten-Lachs-Studie ist daher eine Mahnung zur Vorsicht bei der Interpretation fMRI-generierter Daten. Ohne rigorose statistische Korrekturen, kontrollierte Versuchsdesigns und kritische Analyse können Wissenschaftler und die Öffentlichkeit leicht in die Irre geführt werden. Die flüchtige Schönheit der bunten Hirnkarten darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass jede bunte Fläche eine komplexe statistische Berechnung darstellt – nicht das unmittelbare Abbild von Gedanken oder Gefühlen. Darüber hinaus sollte bei Studien mit kleineren Stichproben, komplexen Fragestellungen und breitgefächerten Bedingungen besonderes Augenmerk auf die Spezifität der Hypothesen gelegt werden.
Studien, die alle möglichen Hirnareale untersuchen „was leuchtet denn nun auf?“, sind anfällig für zufällige Funde. Genau hierin liegt die Gefahr von sogenannten „P-hacking“ oder dem „fishing for results“, also dem Suchen nach irgendwelchen signifikanten Ergebnissen ohne vorher definierte Hypothese. Die Kombination dieser Erkenntnisse hat die fMRI-Forschung nach 2012 nachhaltig geprägt. Es wurden strengere statistische Standards und Kontrollmechanismen eingeführt, um die Aussagekraft und Replizierbarkeit von Studien zu verbessern. In gewisser Weise rettete der tote Fisch die Feldforschung vor sich selbst, indem er den wissenschaftlichen Diskurs anstieß.
Zusammenfassend verdeutlicht die Geschichte des toten Lachses, wie anspruchsvoll und komplex die Anwendung moderner bildgebender Methoden in der Neurowissenschaft ist. Sie macht deutlich, dass jeder Blick „ins Gehirn“ mehr Interpretation und Methodensicherheit braucht, als es auf den ersten Blick scheint. Für die künftige Forschung bedeutet das, Erfolge wie Erkenntnisse nur mit einem soliden Fundament aus Statistik, Methodik und kritischer Reflexion zu feiern, und die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Möglichkeiten und Grenzen von fMRI-Technologien transparent aufzuklären. Die Faszination fürs menschliche Gehirn und die Hoffnung, mittels Technologie geistige Geheimnisse zu entschlüsseln, wird dadurch nicht gemindert – im Gegenteil. Doch sie fordert eine gesunde Skepsis und den Willen zur wissenschaftlichen Genauigkeit ein, um Verzerrungen und Fehlinterpretationen zu vermeiden.
So lehrt uns ein toter Fisch eindrucksvoll die Bedeutung von Statistik und Methodik in der Neurowissenschaft und sensibilisiert sowohl Wissenschaftler als auch Laien für die Nuancen behind modern brain research.