Die Erwartungen an Schüler: Weniger Bücher im Englischunterricht In den letzten Jahren hat sich das Bild des Englischunterrichts in vielen Schulen in den Vereinigten Staaten erheblich gewandelt. Die zukunftsorientierten Ansätze, die einst auf dem Lesen ganzer Bücher basierten, sind zunehmend von einer neuen Sichtweise abgelöst worden: Immer mehr Lehrer setzen auf kürzere Textformen und digitale Medien. Diese Entwicklung bleibt jedoch nicht ohne Folgen – die Buchliebe vieler Schüler scheint zu schwinden. Ein Beispiel dafür ist Chris Stanislawski, ein 14-jähriger Schüler aus Garden City, New York. In seiner Mittelschule hatte er kaum die Gelegenheit, vollständige Bücher im Unterricht zu lesen.
Stattdessen wurden detaillierte Zusammenfassungen der behandelten Romane bereitgestellt, und die Lehrer nutzen häufig Audioversionen der Bücher. „Wenn einem das Buch in einer Art Zusammenfassung serviert wird, ruiniert das die gesamte Geschichte für einen“, sagt Chris. „Es stellt sich die Frage, warum man überhaupt lesen sollte.“ In vielen Klassenräumen der USA wird zunehmend auf die Lektüre vollständiger Romane verzichtet. Stattdessen konzentrieren sich Lehrer auf ausgewählte Passagen, als Reaktion auf die Wahrnehmung, dass die Aufmerksamkeitsspannen der Schüler kürzer geworden sind.
Der Druck zur Vorbereitung auf standardisierte Tests und der Glaube, dass kürzere Texte die Schüler besser auf die digitale Welt vorbereiten, tragen ebenfalls zu dieser Entwicklung bei. Diese Veränderungen haben die National Council of Teachers of English (NCTE) zu einer Erklärung veranlasst, in der festgestellt wird, dass es an der Zeit sei, das Lesen von Büchern und das Schreiben von Aufsätzen nicht mehr als die Hauptbestandteile des Englischunterrichts zu betrachten. Seth French, einer der Mitautoren dieser Erklärung, führt aus, dass es nicht darum gehe, Bücher zu entfernen, sondern darum, Medienkompetenz zu lehren und Texte zu integrieren, die für Schüler relevant sind. So lasen die Schüler in seiner ehemaligen Klasse lediglich ein Buch gemeinsam, während sie sich ansonsten mit Theaterstücken, Gedichten und Artikeln beschäftigten. Eine skeptische Haltung gegenüber dieser Entwicklung gibt es jedoch auch.
Experten sind sich einig, dass das tiefgehende Lesen von Büchern entscheidend ist, um das kritische Denken, das Hintergrundwissen und das Einfühlungsvermögen der Schüler zu fördern. Maryanne Wolf, Kognitionswissenschaftlerin an der UCLA, betont die Wichtigkeit des Lesens ganzer Bücher: „Wir müssen unseren jungen Menschen die Möglichkeit geben, zu verstehen, wer andere sind, nicht durch kleine Ausschnitte, sondern durch das Eintauchen in die Gedanken und Gefühle anderer.“ In der Garden City Middle School gibt es zwar eine Verpflichtung, mehrere Bücher pro Jahr vollständig zu lesen – darunter Klassiker wie „Von Mäusen und Menschen“ und „Romeo und Julia“ – jedoch bietet die Schule auch Audioversionen und Zusammenfassungen als zusätzliche Ressourcen an. Chris, der an Legasthenie leidet, fand die Audioformate wenig hilfreich und fühlte sich stattdessen gelangweilt. In diesem Jahr wechselte er auf ein katholisches Internat, da seine Mutter glaubt, dass ihm dort eine bessere Vorbereitung auf das College zuteilwerden wird.
Es gibt relativ wenig Daten darüber, wie viele Bücher Schulen tatsächlich auf ihre Leselisten setzen. Allerdings zeigt eine Umfrage, dass junge Teenager insgesamt weniger lesen. Nur noch 14 Prozent der Jugendlichen geben an, täglich aus Vergnügen zu lesen, verglichen mit 27 Prozent im Jahr 2012. Diese alarmierende Entwicklung haben viele Englische Lehrer als Folge der COVID-19-Pandemie erkannt. Kristy Acevedo, die an einer Berufsschule in New Bedford, Massachusetts, unterrichtet, erklärt: „Während der Pandemie gab es einen Trend, auf die Lektüre vollständiger Romane zu verzichten, und wir haben uns nicht davon erholt.
“ Die veränderten Anforderungen an Schüler und Lehrer führen dazu, dass immer weniger Zeit für das Lesen ganzer Bücher bleibt. Terri White, Lehrerin an der South Windsor High School in Connecticut, gibt zu, dass sie ihren Schülern in der Neunten Klasse nicht mehr das gesamte „Werther“ vorlegen kann. Stattdessen lässt sie sie nur ein Drittel des Buches lesen und legt eine Zusammenfassung des Restes vor. „Es ist, als würde man mit einem Zirkus jonglieren“, beschreibt White die Herausforderung, den Lehrplan zu bewältigen und gleichzeitig das Wohlbefinden der Schüler zu berücksichtigen. Ein weiteres Problem, das viele Lehrer ansprechen, ist die Überlastung der Schüler durch außerschulische Aktivitäten.
Weniger Hausaufgaben werden aufgegeben, um den vollen Terminkalender der Schüler zu berücksichtigen, der oft Sport, Clubs und andere Aktivitäten umfasst. Dies macht es für die Lehrer noch schwieriger, das kritische Denken und die Vertrautheit mit komplexen Texten zu fördern. Alden Jones, eine Literaturprofessorin am Emerson College in Boston, betont, dass diese Entwicklung langfristig negative Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten der Schüler haben könnte. Um dem entgegenzuwirken, gibt es Schulen, die versuchen, die Liebe zum Lesen neu zu entfachen. Dort werden Projekte und Lesewettbewerbe ins Leben gerufen, um die Schüler wieder für die Welt der Bücher zu begeistern.
Einige Lehrkräfte setzen sich für eine Rückkehr zu einer umfangreicheren Lektüre ein, indem sie den Schülern die Möglichkeit geben, frei zu wählen, welche Bücher sie lesen möchten. Nach wie vor bleibt das Lehren von Buchlektüre jedoch eine Herausforderung, und Lehrkräfte kämpfen darum, einen Mittelweg zu finden, der sowohl den Anforderungen der modernen Bildung als auch dem Bedürfnis der Schüler entspricht, in die Welt der Literatur einzutauchen. Die Zunahme von digitalen Medien kann viele Vorteile bieten, doch um die Fähigkeiten und Empathie zu fördern, die aus dem Lesen umfangreicher Texte entstehen, ist ein ausgewogenes Verhältnis notwendig. Wohin wird sich die Lesekultur an Schulen entwickeln? Ist es möglich, dass die Schüler wieder zu echter Lektüre zurückkehren? Die Zukunft wird zeigen, ob die Schulen in der Lage sind, die Begeisterung für Bücher neu zu entfachen oder ob die neuen Ansätze in der Bildung die Zeiten ändern werden. Fest steht, dass das Lesen von Büchern weit mehr als nur eine akademische Übung ist: Es ist ein Schlüssel zu Verständnis, Empathie und Kreativität.
Die Herausforderung besteht nun darin, den Schülern die Möglichkeit zu geben, diese Türen nach wie vor zu öffnen.