Das Fediverse gilt als Vorbild für eine dezentrale, offene und frei zugängliche Online-Community. Besonders im Zeitalter der zunehmenden Kontrolle durch große Tech-Konzerne und zentralisierte Plattformen wie Facebook oder Twitter stellt das Fediverse eine attraktive Alternative dar, die auf föderierten Netzwerken basiert. Doch wie dezentral ist das Fediverse in der Realität wirklich? Eine aktuelle Analyse liefert überraschende Erkenntnisse über die Verteilung und Konzentration von Servern und die damit verbundenen Risiken. Viele verbinden das Fediverse vor allem mit Mastodon, doch es umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher föderierter Plattformen wie Pixelfed, Lemmy, Misskey oder PeerTube. Diese Plattformen ermöglichen es Benutzern, sich auf eigenen Servern unabhängig zu vernetzen, während Kommunikation und Inhalte über offene Protokolle wie ActivityPub geteilt und synchronisiert werden.
Die Grundidee ist somit eine Abkehr von zentralisierten Services hin zu einer heterogenen, durch viele unabhängige Betreiber gesteuerten Infrastruktur. Doch wie sieht diese Verteilung tatsächlich aus, wenn man die technische Ebene betrachtet? Rob Ricci, Betreiber des Mastodon-Servers discuss.systems, hat kürzlich eine umfassende Auswertung von Fediverse-Servern veröffentlicht. Die Untersuchung basiert auf einem Server-Index von fedidb, kombiniert mit Netzwerkdaten von ipinfo.io.
Dabei wurden Daten von etwa 2650 Servern analysiert, um die Hosting-Landschaft genauer zu verstehen und die geografische sowie netzwerkbezogene Verteilung festzuhalten. Ein wichtiges Augenmerk lag darauf, ob sich viele Server auf wenige Anbieter oder Regionen konzentrieren oder ob das Fediverse tatsächlich breit gefächert und resilient gegen Ausfälle ist. Die Ergebnisse zeichnen ein differenziertes Bild. So zeigt sich, dass beinahe ein Viertel aller analysierten Server hinter dem amerikanischen Content Delivery Network (CDN) Cloudflare gehostet wird. Cloudflare fungiert dabei als Schutzschild gegen Angriffe, versteckt jedoch gleichzeitig viele Details zum eigentlichen Hosting-Standort.
Diese Konzentration birgt insofern Risiken, als dass eine Störung oder ein Ausfall von Cloudflare massive Auswirkungen auf einen signifikanten Teil des Fediverse haben könnte. Abseits von Cloudflare konzentrieren sich viele Server vor allem auf einige wenige große europäische und amerikanische Hosting-Dienste. Hetzner, ein deutscher Anbieter, hostet rund 14 Prozent aller Fediverse-Server, dicht gefolgt von DigitalOcean und OVH, die ebenfalls bedeutende Anteile ausmachen. Aber auch andere Anbieter wie netcup, Amazon Web Services, Akamai oder Google spielen eine Rolle. Insgesamt hosten die Top 20 Netzwerke die Mehrheit der bekannten Fediverse-Server.
Trotz dieser relativen Konzentration zeigt die Untersuchung, dass ungefähr die Hälfte aller Server auf Netzwerken liegt, die weniger als 50 Server beherbergen, was insgesamt auf eine gewisse Verteiltheit hinweist. Interessant wird die Betrachtung bei den sogenannten BGP-Präfixen. Internetanbieter teilen große IP-Adressbereiche, sogenannte Präfixe, aus und diese geben Aufschluss über die technische Infrastruktur und deren Verwundbarkeiten. Im Fediverse zeigen sich über 25 unterschiedliche Präfixe, wobei 75 Prozent der Server auf Präfixen liegen, in denen maximal zehn Server gehostet werden. Dies impliziert eine erhöhte Resilienz gegenüber großflächigen Netzausfällen, da die Server auf verschiedene Infrastruktur-Teile verteilt sind.
Auch länderbezogen gibt es spannende Muster. Etwa ein Drittel der Fediverse-Server befindet sich in den USA und Deutschland, weitere signifikante Anteile stammen aus Frankreich, Japan, Finnland, Kanada und den Niederlanden. Dennoch zeigt die Verteilung, dass die europäischen Anbieter teilweise eine größere Zentralisierung auf wenige Hosting-Dienste aufweisen. In Deutschland sind mehr als 80 Prozent der Server bei Hetzner angesiedelt, in Frankreich konzentrieren sich über 70 Prozent auf OVH. Im Gegensatz dazu ist die Hosting-Landschaft in den USA vielfältiger, mit kleineren Anteilen auf unterschiedliche Anbieter verteilt.
Dies führt Experten zur Einschätzung, dass das Fediverse in Europa eine höhere Infrastruktur-Abhängigkeit auf wenige große Provider hat, was potenziell eine Schwäche darstellen kann. Die theoretische Dezentralisierung im Fediverse wird durch diese Fakten also technisch und geografisch eingegrenzt. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass die Dezentralisierung der Struktur nicht automatisch bedeutet, dass auch die Infrastruktur vollständig verteilt und resistent gegen Ausfälle ist. In diesem Zusammenhang ist die Rolle großer, zentraler Cloudanbieter und CDN-Dienste nicht zu unterschätzen, da sie aufgrund ihrer technischen Position erheblichen Einfluss auf die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit einzelner Instanzen haben. Darüber hinaus wird deutlich, dass bei der Hosting-Wahl vieler Betreiber pragmatische Faktoren wie Kosten, Zuverlässigkeit und Vertrautheit eine große Rolle spielen.
Hetzner ist beispielsweise aufgrund seines Preis-Leistungs-Verhältnisses besonders beliebt in Europa, während in den USA vielseitigere und häufig teurere Anbieter genutzt werden. Manche Server-Administratoren betreiben ihre Instanzen sogar teilweise privat zu Hause oder nutzen kostengünstige VPS-Proxy-Lösungen, um ihre Sichtbarkeit im Netz zu erhöhen, ohne komplett auf eigene Hardware angewiesen zu sein. Zudem setzen manche Betreiber auf VPNs oder Proxys, was die Genauigkeit der Standortbestimmung und Anbieterzuordnung erschwert. Die Frage der Dezentralisierung ist auch eng mit der Nutzerzahl und Aktivität verbunden. Die Anzahl der Server allein gibt nur bedingt Auskunft über die Anzahl der aktiven Nutzer oder über die tatsächliche Belastung der jeweiligen Infrastruktur.
Ein einzelner großer Server mit mehreren tausend Nutzern kann mehr Einfluss auf das Netzwerk haben als viele kleine Instanzen mit wenigen Nutzern. Genauere Analysen der Nutzerverteilung und ihres Verhaltens wären daher wünschenswert, um ein noch vollständigeres Bild der Netzstruktur und ihrer Widerstandsfähigkeit zu erhalten. Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass das Fediverse hinsichtlich der Serververteilung durchaus eine gewisse Redundanz und Dezentralität aufweist, besonders im Hinblick auf die Vielzahl unterschiedlicher Hosting-Provider und geografischer Standorte. Auf der anderen Seite besteht eine gewisse Abhängigkeit von wenigen großen Akteuren, vor allem Cloudflare und den großen europäischen Hosting-Dienstleistern, was eine zentrale Schwachstelle darstellt. Diese Analyse verdeutlicht, dass die technische und organisatorische Dezentralisierung des Fediverse eine dynamische Herausforderung bleibt.
Für Nutzer und Betreiber bedeutet das, stets wachsam zu sein und potenzielle Risiken zu beobachten, insbesondere im Hinblick auf Ausfälle, politische Einflussnahme oder Geschäftspraktiken, die zum plötzlichen Abschalten von Servern führen könnten. Die Förderung kleinerer, unabhängiger Anbieter und Eigenhosting-Initiativen kann dazu beitragen, die Dezentralität und Resilienz weiter zu stärken. Abschließend zeigt sich, dass das Fediverse trotz seiner offenen und föderalen Struktur in der Realität von marktbedingten und infrastrukturellen Faktoren geprägt wird, die zentrale Konzentrationen erzeugen können. Die Auseinandersetzung mit diesen Aspekten ist zentral, um die Vision einer wirklich dezentralen, demokratischen und widerstandsfähigen Online-Plattform weiter zu verfolgen und auszubauen.